© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/13 / 06. Dezember 2013

Die Reise ist vorüber
Selbstzerstörung: Ulrich Tukur glänzt in dem Drama „Houston“
Sebastian Hennig

Der Spielfilm „Houston“ wirkt wie das Remake von Michelangelo Antonionis „Professione: Reporter“. Und für Ulrich Tukur könnte die Rolle des absackenden Headhunters im Dienste der Automobilindustrie ähnlich profilierend wirken wie seinerzeit für Jack Nicholson die des investigativen Journalisten in Afrika. Eine bedeutungsvoll in Szene gesetzte feindselige Landschaft, die Geräusche, die Fahrzeuge, die Ungewißheit und Gleichgültigkeit sowie das finale Verschlungenwerden durch ein antizipiertes tödliches Schicksal haben beide Filme gemeinsam.

Der Kopfjäger Clemens Trunschka soll einem texanischen Ölkonzern den Manager abwerben. Er und seine Auftraggeber sind voll verwegener Zuversicht für dieses Unterfangen. Während eines Arbeitstreffens in Berlin soll es ins Werk gesetzt werden. Doch Trunschka erhält keine Gelegenheit, seine Fähigkeiten zu beweisen, da die zu kontaktierende Person völlig abgeschottet wird.

Das ist für ihn nur der Anfang einer Serie des Scheiterns. Sein joviales Angesicht wirkt bald müde und verquollen. Auf einer abendlichen Gesellschaft trinkt er dann weit über den Durst. Alarmiert von seinem Zustand, gelingt es seiner Frau (Jenny Schily) gerade noch, ihn ins Auto zu schleppen. Daheim bekommt sie den massigen Schläfer allerdings nicht mehr vom Sitz hoch und läßt ihn unter einer Decke zurück.

Schon in den ersten Szenen der Handlung ist die Niederlage mit den Händen zu greifen. Merkmale der Entschlossenheit schmücken nur den Ring, in dem Trunschka zuletzt gegen unsichtbare Gegner unweigerlich niedergehen wird. Als er am nächsten Tag im ruhenden Auto wartet während der Regen gegen die Scheibe spritzt und dabei von seiner Brotschnitte abbeißt, hält er plötzlich inne, als würde ihm ein Todesurteil zugeraunt.

Mit großzügiger Spesenbemessung und Provisionsaussicht soll er seine Mission in Übersee fortführen. Doch die Auftraggeber wirken bereits etwas angespannt. Für ihn bedeutet die Reise das Ausgesetztwerden einer nur scheinbar beheimateten Existenz im völlig Unbehausten. Die zivile Gleichgültigkeit der texanischen Umgebung vernichtet schärfer als jede Feindschaft.

Die Goldgräberstimmung hat sich längst in Totengräberstimmung verwandelt, als er zwischen den transparent undurchdringlichen Hochhäusern nach Houston einfährt. Trunschka schaut herab vom Hotelzimmer auf die nächtlichen Straßen, auf denen der Verkehr wie auf automatischen Bändern abläuft. Brutal und indezent geht es in der Lobby zu. Während sich im Hintergrund eine wüste Handgreiflichkeit anbahnt, setzt sich ein verkrampft extrovertierter junger Mann neben ihn an die Bar. Robert Wagner (Garret Dillahunt) arbeitet als verdeckter Ermittler der Hotelfirma. Er überwacht nicht nur das Personal, sondern er animiert es zugleich zu kleinen Unregelmäßigkeiten. Wer auf solche Herausforderungen eingeht, wird zumeist gefeuert.

Wagner muß sich täglich den Abscheu vor diesem Job abtrainieren. So fühlt er sich angezogen von Trunschkas rätselhafter Aura und weicht ihm bald kaum noch von der Seite. Der traurig-ernste Mann aus dem alten Europa fesselt seine Aufmerksamkeit. Unter dem Vorwand, ihm behilflich zu sein, sucht er dessen Nähe und führt ihn auf verschiedene Abwege.

Als in Trunschkas Auto eine geschenkte CD mit einer beschwörenden Schulung zum Erfolg zu spielen anfängt, fragt ihn Wagner erschrocken, ob er in einer Sekte sei oder ob man da Hitler höre. Es ist amüsant anzusehen, mit welcher verbalen Vielfalt die wenigen amerikanischen Phrasen wie „Oh boy“ oder „fuck“, die Wagner stets im Munde führt, in deutsche Untertitel übersetzt werden können. Auch in Houston erreicht Trunschka auf geradem Weg nicht sein Ziel. Wo er auch lauert, er wird stets abgewimmelt. Und alles, was sich nicht bezahlt macht, was nicht sogleich erfolgreich ist, das ist hier nur gespenstisch. Zwischen den gerasterten Fronten der Wolkenkratzer fliegt ein Papier in weiten Bögen abwärts. Wer ihm wie Trunschka nachblickt, der hat sich schon aufgegeben.

Bald nach einem Bildschirm-Telefon-Duell mit seinen heimatlichen Auftraggebern wird Trunschka gefeuert. Auf der Serviette des Hotels liest er: „Die Reise ist vorüber. Sie sind hier. Sie haben es geschafft.“ Nun, wo es nicht mehr nötig ist, scheint ihm Wagner weiterhelfen zu können mit dem zufälligen Hinweis auf eine komprimittierende Bekanntschaft der gesuchten Person. Die Spur führt dann endgültig ins Abseits.

Auf dem Weg zur letzten entscheidenden Begegnung wimmelt er seinen Schutzengel ab, der vielleicht alles hätte wenden können. Wagner wirft er aus dem Auto, um allein seinem Verhängnis entgegenzufahren. Nach der erlebten Verachtung und Abweisung geht es ihm diesmal an Leib und Leben.

Zerschunden, zerprügelt und mit zerborstener Frontscheibe fährt Clemens Trunschka am Morgen über die Fernstraße im gleißenden Licht und zu den federnden und schmatzenden Geräuschen der Musik des Düsseldorfer Duos NEU! nach Houston zurück und zugleich wie aus der Welt heraus.

Ähnlich wie das Werk von Antonioni ist dieser Film nicht trostlos. Er spendet aber seine Zuversicht nicht auf wohlfeile Art. Er zeigt zwar die Welt als eine ungerührte Gegebenheit, aber gleichwohl den Menschen darin als eine Möglichkeit. Wir sehen Trunschka noch aus dem Auto aussteigen, nachdem er in einer Parade mit phantastisch-barbarisch geschmückten Wagen steckengeblieben ist.

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