© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/13 / 06. Dezember 2013

Ein zorniger „Neu-Däne“ rechnet ab
Islamdebatte in Dänemark: Mit provokanten Worten kritisiert Poet Yahya Hassan seine Erziehung und die Haltung der moslemische Gemeinschaft
Ralph Schöllhammer

Eine Million Kronen. Das ist der Preis für die Sicherheitsvorkehrungen, wenn man in Dänemark einen Vortrag mit provokativem, anti-moslemischen Inhalt halten will. Umgerechnet 134.000 Euro mußte die Stadt Odense aufbringen, um einem Neuling der Poesieszene die Möglichkeit einer öffentlichen Lesung einzuräumen.

Viele sehen diese Kosten jedoch als gerechtfertigt, schließlich kommt die obige Provokation nicht von einem autochthonen Dänen, sondern von einem, der sich im dänisch-moslemischen Milieu bestens auskennt: dem 18jährigen „Neu-Dänen“ mit palästinensischen Wurzeln und Jungstar der Literaturszene, Yahya Hassan.

Sein kürzlich veröffentlichter und selbstbewußt „Yahya Hassan“ betitelter und nur in Dänisch herausgebrachter Lyrikband ist eine schonungslose Abrechnung mit Hassans Elterngeneration, welche der Autor für die Ghettoisierung und Entfremdung junger Araber und Moslems verantwortlich macht.

Insbesondere Heuchelei ist es, die Hassan den Moslems vorhält: Übertriebene Bekenntnisse zur Religion dienen als Deckmantel, um sich den weltlichen Versuchungen der dänischen Gesellschaft hinzugeben, aber gleichzeitig moralische Überlegenheit zu demonstrieren. Seine Elterngeneration habe die jungen Moslems in einer Welt zwischen Islam und Westen zurückgelassen und ihnen dadurch die Möglichkeit zur Integration genommen, beklagt sich Hassan.

Obwohl kraftvoll in der Sprache, ist der selbsternannte Atheist nicht leicht einzuordnen. Wie viele Moslems seiner Generation begann Hassan als Rapper mit oftmals gegen die konservative Dänische Volkspartei gerichteten Texten – was ihn ursprünglich zu einem Liebling der linken dänischen Kulturelite machte.

Diese sieht sich nun jedoch mit einem Dilemma konfrontiert: Die im Vergleich zu Hassans Textzeilen („Er zeugte fünf Kinder mit bitteren Herzen und machte mit einem neugefundenen Kopftuch drei weitere“) fast harmlosen Mohammed-Karikaturen in Jyllands-Posten (JF 7/06) wurden 2006 als unverantwortlicher Gebrauch der Meinungsfreiheit gebrandmarkt und den bedrohten Karikaturisten unterstellt, sich selbst durch ihre Publikationen in Lebensgefahr gebracht zu haben.

Es kommt daher nicht überraschend, daß die ehemalige Vorsitzende der Dänischen Volkspartei, Pia Kjaersgaard den jungen Künstler weniger euphorisch beurteilt, „auch wenn die gesamte Kultur-elite ihm Beifall klatscht.“ Gleichzeitig stellt jedoch auch die dänische Rechte fest, daß Hassan endlich auf ein Thema aufmerksam macht, welches ihr schon lange am Herzen liegt und weshalb sie nicht selten als rassistisch und islamophob bezeichnet wird.

Hassan jedoch kommt aus der moslemischen Gemeinschaft Dänemarks und wirkt damit als authentischer Kritiker derselben. Vom Sexualverhalten bis zum Sozialmißbrauch beschreibt Hassan mit gleicher Feder Zustände, welche in Deutschland Islamkritikern wie Henryk M. Broder, Necla Kelek oder Seyran Ateş das Prädikat „Neue Haßprediger“ einbrachte.

Der dänische Sozialwissenschaftler Frederik Stjernfelt kritisiert daher im Gespräch nicht ganz ohne Grund den scheinbaren Doppelstandard in der dänischen und europäischen Gesellschaft, der dieselbe Kritik am Islam hochleben läßt, sobald er von einem Moslem formuliert wird, aber jeden anderen Kritiker der Verhetzung und Islamophobie beschuldigt. Für Stjernfelt ist die Reaktion der Gesellschaft auf Hassan daher interessanter als das Werk des Poeten selbst. Es scheint fast so, als ob Hassans Poesie ein Ventil darstellt, über das die dänische Gesellschaft den Druck ablassen kann, welcher sich im Zuge der Islamdebatte in Europa zusehends aufstaut. Die Karikaturisten der Jyllands-Posten zu verteidigen würde jemanden automatisch dem Verdacht der Islamophobie aussetzen, während Applaus für Hassan Islamkritik mit multikulturellem Hintergrund ist.

Fast scheint es so, als ob die Präsenz einer starken islamkritischen Szene von moslemischen Intellektuellen und Künstlern als Ermutigung verstanden wird. Trotzdem sehen dänische Moslems Hassan zumeist als Nestbeschmutzer und unnötigen Provokateur.

Wie Yahya Hassan jedoch bereits am eigenen Leib erfahren mußte, gibt es eine Gruppe in Dänemark, welche nur einem einzigen Standard folgt: Ende November wurde er am Kopenhagener Hauptbahnhof von dem 2010 aus dem Gefängnis entlassenem Terroristen Isaac Meyer alias Abdul Basit Abu Lifa attackiert und erhielt mittlerweile über 27 Morddrohungen. Dem Beifall der dänischen Elite zum Trotz eilt Yahya Hassan nun unter Polizeischutz von Lesung zu Lesung: „ ... so floh dein Vater vom Flüchtlingslager, und so floh mein Vater, und so verwandelten unsere Väter dänische Wohnblocks in Flüchtlingslager, die holten ihre Großeltern, ihre Tanten und Onkels, und alle zusammen erhielten sie Sozialhilfe, die holten ihre Cousinen und ihre Cousins, und legten los mit ihrer Indoktrination.“

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