© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/13 / 06. Dezember 2013

Grüße aus Moskau
„Fluch“ der Patrioten
Thomas Fasbender

Viel Lärm um nichts“ hat Shakespeare eine seiner Komödien genannt. Ende November wurde sie in der Moskauer Realität neu inszeniert. Das Nichts war in diesem Fall ein riesiger, neun Meter hoher Koffer der Marke Louis Vuitton, Kantenlänge dreißig Meter, mitten auf dem Roten Platz.

Wie er dorthin gekommen war, erinnerte an Bulgakows Zaubermeister Voland und dessen Kater Behemoth: niemand wußte es. Hinzu kam, daß der Koffer nicht nur eines Morgens da war. Es vergingen auch sieben lange Tage, bis überhaupt einer der abgebrühten Hauptstädter ein erstes Urteil dazu fällte. Anfangs hatten die Moskauer ihn nämlich ebensowenig zur Kenntnis genommen wie die übrigen Monstrositäten in ihrer Stadt.

Als dann ein Abgeordneter das teure Stück aus Frankreich – man spricht von über fünf Millionen Dollar – mit dem Fluch der russischen Patrioten belegte, brach der Zorn los. Ob links oder rechts, autoritär oder liberal, die Moskauer Elite, auf deren Einkaufszettel Louis-Vuitton-Koffer sonst eher zu den bescheidenen Posten zählen, kriegte sich kaum mehr ein: Entehrung einer heiligen Stätte, Symbol von Prunksucht und Protz. Dabei stand der überdimensionale Koffer ganz unschuldig auf dem Roten Platz und hielt nur denen, die Grund hatten, sich darin wiederzuerkennen, den Spiegel vor.

Kein Wunder, daß alle Seiten sofort, nachdem er bemerkt worden war, unter Androhung von Höchststrafen seine unverzügliche Entfernung forderten.

Eigentlich sollte der Pavillon, der sich im Koffer verbarg, noch bis in den Januar hinein eine künstlerisch gestaltete Rückschau zum Thema Reise zeigen. Nachempfunden dem Gepäckstück eines Grafen Orlow war der Koffer Louis Vuittons Beitrag zum 120. Jubiläum des Kaufhauses GUM am Roten Platz. Doch ungeachtet des frühen Endes wird das Projekt für den Sponsor angesichts des weltweiten Echos kein Reinfall gewesen sein.

Auch Moskau hat seinem Ruf als Weltmetropole, in der das Unmögliche möglich wird, alle Ehre gemacht – wenn auch nur wenige Tage lang. Das Ensemble des Roten Platzes in der frühen Dämmerung mit der langgezogenen, in Lichterketten gehüllten Fassade des GUM, das Mausoleum aus rotem Granit, die Zwiebelspitzen der Basiliuskathedrale und die erhabenen Kremltürme, der winterliche Eislaufplatz und daneben der riesige Koffer mit den gräflichen Initialen – glücklich kann sich schätzen, wer es mit eigenen Augen gesehen hat.

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