© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/13 / 29. November 2013

„Freunde können wir werden“
Bibliothek des Konservatismus: Eine Tagung zum Verhältnis von Konservativen und Libertären
Thorsten Brückner / Henning Hoffgaard

Mit einem Feuerwerk der intellektuellen Auseinandersetzung ist am vergangenen Samstag die Bibliothekstagung in der Bibliothek des Konservatismus in Berlin zu Ende gegangen. Im Zentrum stand dabei die Frage: Sind Libertäre und Konservative Brüder im Geiste oder eint sie angesichts eines ausufernden Verbotsstaates vor allem der gleiche Gegner?

Ein interessiertes und fachkundiges Publikum mußte bei der Diskussion zwischen dem Chefredakteur des libertären Magazins Eigentümlich frei, André Lichtschlag, und dem Historiker Karlheinz Weißmann nicht lange auf Antworten warten. Zusätzlich war auch der Anarcholibertäre Stefan Blankertz zu Gast. Anders als bei Blankertz, dessen staatslose Utopie bisweilen für den Zuhörer schwer zugänglich war, bestand zwischen Weißmann und Lichtschlag Einigkeit, daß angesichts einer Entwicklung hin zu mehr Staat Utopien wenig hilfreich sind. „Man muß sich bewußt sein, in welcher Welt man lebt“, sagte Lichtschlag. Es gehe derzeit nicht um die Frage null oder fünf Prozent Staat. „Wir sind momentan bei 70 Prozent Staat“, so Lichtschlag.

Auch von Weißmann gab es zu Beginn konziliante Töne. Konservative hätten lange nicht begreifen wollen, daß die Feindschaft des Staates ihnen gegenüber nicht auf einem Mißverständnis beruhe. So entpuppte sich der politisch korrekte Gängelstaat rasch als die einigende Klammer der Diskutanten. Staatseingriffe wie durch die Kita-Politik „führen dazu, daß Unfähigkeit künstlich erzeugt wird“ , klagte Weißmann.

Das Spannungsverhältnis zwischen deutschen Konservativen und Libertären wurde bei drei Themen deutlich. So wußte Weißmann Lichtschlags Einwand, der größte Fehler der Konservativen sei es gewesen, den Staat die Ehe definieren zu lassen, die ja eigentlich ein kirchliches Sakrament gewesen sei, wenig entgegenzusetzen. „Da muß man sich nicht wundern, daß der Staat heute eine Definiton von Ehe einführt, die ihm opportun erscheint“, sagte Lichtschlag.

Gegenseitiges Unverständnis prägte dann die Debatte zum Thema Abtreibung. Lichtschlag nannte die Frage „so schwierig wie keine andere“. Zwar sei für ihn persönlich klar, daß es sich bei Abtreibung um Mord handele. Gerade aber weil die Frage so umstritten sei, sei es das Beste, nicht einen Monopolisten wie den Zentralstaat über diese Frage entscheiden zu lassen, sondern das Problem auf kleinere administrative Ebenen zu verlagern. Weißmann erschloß sich dieses Konzept nicht. „Sie berufen sich auf das Naturrecht, wollen dies aber nicht durchsetzen?“

Heiß her ging es ebenso beim letzten großen Thema, das auch die Zuschauer sichtlich bewegte. Weißmann wehrte sich hier gegen Lichtschlags Einwurf, der Nationalstaatsgedanke entspringe der Französischen Revolution und sei somit ein genuin linkes Konstrukt. Ein Nationalbewußtsein gebe es bereits seit dem Mittelalter, betonte Weißmann, für den Nationalstaaten „die optimale Größe“ darstellen.

Die Nation als Realität anzuerkennen sei auch für Libertäre kein Problem, ergänzte Lichtschlag. Problematisch sei hingegen der übersteigerte Nationalismus wie im 20. Jahrhundert. „Soldaten, die für ihre Nation kämpften, haben 100 Millionen Tote in beiden Weltkriegen gekostet“, mahnte Lichtschlag. In der vornationalstaatlichen Zeit habe es nichts von vergleichbarem Ausmaß gegeben.

Am Ende der sachlich und von allen Beteiligten auf hohem Niveau geführten Debatte überwogen erneut die versöhnlichen Töne. Während Weißmann die Wichtigkeit der Auseinandersetzung zwischen Libertären und Konservativen betonte, gestand selbst Anarchokapitalist Blankertz ein, daß man angesichts der gegenwärtigen Verbotskultur jeden bräuchte, der dagegen seine Stimme erhebt. Salomonisch faßte Lichtschlag die vormittägliche Diskussion zusammen: „Brüder sind wir nicht, weil wir nicht dieselben Eltern haben, aber Freunde können wir werden.“ Auf vielen Feldern könne es Kooperation geben.

An Klartext hatte es auch tags zuvor nicht gemangelt. Béatrice Bourges, eine der Mitbegründerinnen der französischen Initiative „La Manif pour tous“ (Demonstration für alle), sprach über den Erfolg der Massenbewegung, die mehr als eine Million Demonstranten gegen die Homo-Ehe auf den Straßen der französischen Hauptstadt versammelte. Wir haben Frankreich aus dem Dornröschenschlaf geweckt“, betonte Bourges. Frankreich sei ein ganz normales Land. Ihre Botschaft: „Wenn wir das schaffen, schaffen das andere Länder auch.“

Scharf rechnete die 52jährige mit der sozialistischen Regierung von Staatspräsident François Hollande ab. Mit der Homo-Ehe und Gender-Ideologie werde versucht, die Familie zu zerstören. „Keine Kultur, keine Geschichte, keine Nation, kein Geschlecht. Der neue Mensch soll sich mit nichts mehr identifizieren“, warnte Bourges.

Nachdem die Polizei im März zum Teil mit Gewalt gegen „La Manif pour tous“ vorgegangen war, gründete sie die Bewegung „Französischer Frühling“. Eine Anlehnung an den „arabischen Frühling“. Die Ausschreitungen auf den Massendemonstrationen seien von der Polizei fingiert worden, betonte die Familienaktivistin. „Wir waren immer friedlich und wir werden immer friedlich bleiben.“

Mit „La Manif pour tous“ hat Béatrice Bourges inzwischen gebrochen. Zu angepaßt, zu harmlos. „Es gibt höhere Gesetze als die des Staates. Wir wollen den Sturz einer Ideologie, die den Menschen zum Konsumenten macht und ihn des freien Denkens beraubt.“

Obwohl das Gesetz zur Öffnung der Ehe für Homosexuelle mittlerweile in Kraft getreten ist, will sie nicht aufgeben. „Ich weiß, daß wir siegen werden“, wiederholte sie mehrfach. Die Wahrheit werde über die Lüge triumphieren.

Von Aufgabe war auch bei Georg Pazderski nichts zu spüren. Der Leiter der Bundesgeschäftsstelle der Alternative für Deutschland (AfD) hat den Wahlkampf der Partei mitorganisiert und eröffnete dem Publikum einen Blick hinter die Kulissen. Die AfD wolle das Vakuum zwischen CDU und FDP auf der einen Seite und der CSU auf der anderen ausfüllen. Besorgt zeigte sich Pazderski über die derzeitigen Zwistigkeiten zwischen dem liberalen und dem konservativen Flügel der Partei. „Da muß wohl jede junge Partei durch.“ Von einem Rechtsruck will der ehemalige Generalstabsoffizier nichts wissen. „Wenn die Partei nach rechts abdriftet, werde ich gehen.“ Mit Blick auf die Streitereien, die oft auf persönliche Animositäten zurückgingen, sagte er: „Es war vielleicht ganz gut, daß wir es nicht gleich beim ersten Mal in den Bundestag geschafft haben.“

Foto: Brüder im Geiste oder politische Gegner?: Karlheinz Weißmann, Moderator Wolfgang Fenske, André Lichtschlag und Stefan Blankertz (v.l.n.r.) während der Podiumsdiskussion

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