© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/13 / 29. November 2013

Geschenke eines Chamäleons
Hans Pfitzner und Hans Frank: Zum Erscheinen des Orchesterwerks „Krakauer Begrüßung“
Johann Peter Vogel

Es hat überaus lange gedauert und ist dem zähen Bemühen der Hans-Pfitzner-Gesellschaft zu verdanken, daß das einzige noch ungedruckte, mit einer Opus-Zahl versehene Werk Pfitzners, die ominöse „Krakauer Begrüßung“ op. 54 für Orchester, endlich im Druck erschienen ist (Ries & Erler, Berlin). Das etwa sechs Minuten dauernde Stück wurde im Herbst 1944 komponiert und am 2. Dezember 1944 in Krakau unter der Leitung von Hans Swarowski und als da Capo von Hans Pfitzner mit der Philharmonie des Generalgouvernements (eine Gründung Hans Franks aus den besten Musikern polnischer Orchester) uraufgeführt.

Das Werk ist eine Bestellung des damaligen Generalgouverneurs Hans Frank und ihm auch gewidmet (das Eingangsmotiv hat den Rhythmus des Wortes „eccola basta“, mit dem Frank seine Geschenke reichte). Pfitzner erhielt am nächsten Tag einen warmherzig dankbaren Brief Franks mit 100 Flaschen Sekt und Wein, einer Silberdose und einem Honorar von 10.000 Reichsmark. Die Mord- und Ausbeutungspolitik Franks gegenüber seinem Herrschaftsbereich gibt dem Werk und seinem Komponisten einen haut goût, der durch die lange Nichtveröffentlichung eher noch gewachsen ist. Nun können wir es lesen und vielleicht auch einmal hören.

Das Stück beginnt festlich mit Fanfaren und vollem Blech, die von den Streichern lyrisch fortgesponnen werden. In einem weiteren Abschnitt wird das „Eccola basta“-Motiv mit einem Gegenmotiv kontrapunktisch durchgeführt und übergeleitet zum nächsten. Der besteht in der Mitte, intoniert von den Holzbläsern, aus einer zart wehmütigen Polonaise. Danach wird der festliche erste Teil, um eine Coda erweitert, wiederholt.

Wenn man will, kann man aus der Musik eine Art Porträt Franks herauslesen, wie ihn der 75jährige Pfitzner sah: Sein pompöses Auftreten („König Frank“), seine mäzenatische Freigebigkeit, dazu eine Erinnerung an die polnische Landschaft (Polonaisen wurden allerdings im Generalgouvernement wie alles polnische Brauchtum unterdrückt). Das große Orchester wird nach Art der Alterswerke Pfitzners eher kammermusikalisch eingesetzt. Kein Hauptwerk Pfitzners, ein Gelegenheitswerk als Dank für die dem Komponisten entgegengebrachte respektvolle Hochachtung und Verwöhnung, die dieser im „Reich“ vermißte. Pfitzner wurde bei der Uraufführung enorm gefeiert; wie er später äußerte, hätte er sich einen solchen Beifall für seine bedeutenderen Werke gewünscht. Der „Krakauer Begrüßung“ hat er dann aber doch eine Opus-Zahl gegeben, weil er sie „seiner Feder nicht unwürdig“ fand.

Das Verhältnis Pfitzners zu Frank begann mit einem Zusammenstoß. 1933 sollten zum Juristentag in Leipzig zwei Werke von Pfitzner unter seiner Leitung aufgeführt werden. Kurzfristig wurden sie wieder abgesetzt; vielleicht waren die Eichendorff-Texte der Werke mit ihrem Gottesbezug nicht im Sinne der Nationalsozialisten; möglicherweise zeigte sich hier die Animosität Hitlers gegen Pfitzner, die jener vom ersten (und einzigen) Gespräch 1923 zurückbehalten hatte. Frank, damals Justizminister, erhielt einen bitterbösen Brief von Pfitzner mit der Schlußpointe: „Wie lange das ‘Dritte Reich’ besteht, weiß man nicht, daß meine Werke bestehen werden gemäß einem ewigen Gesetz, das weiß ich.“ Das Verhältnis war beendet, noch ehe es angefangen hatte.

Acht Jahre später baute sich Frank, passend zu seinem prunkvollen Hofstaat „auf der Burg“, als Mäzen auf und nahm Kontakt zu den Spitzen des kulturellen Lebens im „Reich“ auf, auch mit Richard Strauss und Hans Pfitzner. Für dessen Wiederannäherung zu Frank war entscheidend, daß Frank sich in Reden an deutschen Universitäten als Rechtswahrer aufspielte und rechtsförmiges Verhalten der politischen Stellen anmahnte. Pfitzner, der eine Neigung hatte, Lebensverhältnisse und Auseinandersetzungen zu Memoranden gerinnen zu lassen, besuchte 1942 einen Vortrag Franks in München und war „beeindruckt und begeistert“. In Wahrheit kämpfte Frank allerdings gar nicht um mehr Rechtssicherheit für die Bürger, sondern um die Wahrung seiner Machtbefugnisse gegen die exzessiven Übergriffe der ihm nicht untergebenen SS-Einheiten in seinem Machtbereich; es war schließlich seine allein ihm von Hitler zugeteilte Aufgabe, das Generalgouvernement zu einem Reservoir für niedere Arbeiten zu machen und dazu Intelligenz und Kirche auszurotten; da sollte ihm keine andere Instanz reinpfuschen, und es sollte „rechtsförmig“ bemäntelt werden.

Pfitzner und vermutlich der Großteil des Publikums ahnten davon nichts. Sie sahen nur die für das Recht eintretende Kritik eines Mächtigen an den anderen Mächtigen und hielten das unter den damaligen Umständen für mutig (Hitler, Goebbels und Himmler sahen die gefährliche Scheinheiligkeit und unterbanden weitere Vorträge). Diese Chamäleonbegabung Franks betraf auch seine Rolle als Mäzen; von Musik verstand er etwas, und er fuhr alle Möglichkeiten seiner pompösen Hofhaltung auf, um die prominenten Künstler anzulocken und zu verwöhnen. Außer mit den gut behandelten polnischen Elite-Instrumentalisten dürften sie keine Gelegenheit gehabt haben, mit Polen zu sprechen. Keiner von ihnen dürfte geahnt haben, daß Frank nachmittags in seiner „Regierung“ Abschiebungs- und Liquidationsbefehle gab, wenn er sich abends ihnen herzlich zuwandte.

Ob sich Pfitzner, Richard Strauss oder andere Künstler Gedanken über die Herkunft der reichlichen Geschenke machten – wir wissen es nicht; da viele NS-Potentaten ein großspuriges Leben führten und sich teure Vorlieben leisteten, war Frank in den Augen der Dotierten wohl nur einer, der das eben auch machte. Außerdem umgab Frank das Flair eines kritisch und rechtsbewußt denkenden Mannes. Wir dürfen annehmen: keiner der damaligen Gäste traute Frank die Verbrechen zu, die er tatsächlich, unmittelbar neben ihnen, beging.

Strauss schickte Frank ein Lied auf ein eigenes (peinliches) Gedicht auf ihn, Pfitzner schrieb ihm ein kurzes Orchesterstück. Beide gaben damit kein Einverständnis mit der Politik ab, die Frank betrieb; sie kamen mit ihr nicht in Berührung. Sie bedankten sich bei einem ihnen wohlgesonnenen Potentaten für Vorteile, die er ihnen gewährte – Pfitzner für entbehrte Meisterverehrung, Aufführungsmöglichkeiten und Lukullisches, Strauss für Politisches (Einquartierungsbefreiung für sein Garmischer Haus).

Pfitzner, der jedes Abweichen vom Sich-selbst-treu-Bleiben als Verrat empfand, schickte im Oktober 1946 seinem Wohltäter Frank in den Nürnberger Gerichtshof ein mitfühlendes Telegramm; wir wissen nicht, wieviel er bis dahin von dessen strafwürdigen Handlungen erfahren hat, denn er lebte zu dieser Zeit wegen seines Augenleidens von der Öffentlichkeit weitgehend abgeschnitten und war auf Vorlesen angewiesen. Außerdem dürfte er den Alliierten nicht geglaubt haben, denn er kannte Frank persönlich ganz anders. Schließlich widersprachen auch Grausamkeiten seinem nationalen Idealbild vom Deutschen (er hat es bei zunehmender Information aufgeben müssen).

Pfitzner und Frank – eine Begegnung im Auge der turbulenten Verhältnisse der Endkriegszeit. Frau Pfitzner, die im Mai 1944 ihren Mann begleitete, ist erfüllt von der Abgehobenheit, in der sie in Krakau (auf der Burg) oder in Franks Privatpalais in Kressendorf lebten, als sei der Krieg weit weg. Im Dezember 1944 hörte man schon Geschützdonner in der Ferne; als Frank bedauernd meinte, die „Krakauer Begrüßung“ in B-Dur hätte besser in a-Moll stehen müssen, kalauerte Pfitzner: „Nein, in g(eh) mol(l)“. Mit dem Untergang des Generalgouvernements und der Flucht Franks Anfang 1945 verschwand auch das Stück aus der Öffentlichkeit.

Die Ausgabe, sorgfältig besorgt von Peter P. Pachl (Berlin), enthält drei ausführliche Vorworte, in denen Pachl selbst, Walter Keller (Schweiz) und Rolf Tybout (Niederlande) – alles Mitglieder des Präsidiums der Hans-Pfitzner-Gesellschaft – verschiedene Aspekte des Werks und seiner Umstände beleuchten. Dies erscheint erforderlich gegenüber Vorverurteilungen angesichts der Verwicklungen mit dem „Polenschlächter“ Frank und der häufig damit in Verbindung gebrachten politischen Einstellung Pfitzners. Jetzt ist es an dem Werk zu erweisen, ob es zu den dauerhaften Opera Pfitzners gehört oder zum Repertoire der vergessenen Musik.

 

Prof. Dr. Johann Peter Vogel ist Autor der Rowohlt-Monographie „Hans Pfitzner. Mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten“ (1989, vergriffen) und des Buches „Pfitzner: Leben – Werke – Dokumente“ (1999).

Foto: Komponist Hans Pfitzner (1869–1949): „Wie lange das ‘Dritte Reich’ besteht, weiß man nicht, daß meine Werke bestehen werden gemäß einem ewigen Gesetz, das weiß ich.“

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