© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/13 / 29. November 2013

Absichtliche Versprecher
Kabarett: Zum Tod von Dieter Hildebrandt
Toni Roidl

Er war „das personifizierte schlechte Gewissen der Nation“ (FAZ), wahlweise der „Störenfried der Republik“ (Südwest Presse) oder „eine Säule der alten Bundesrepublik“ (Welt), und in jedem Fall der „Grandseigneur des politischen Kabaretts“ (NDR). Generationen deutscher Fernsehzuschauer sind mit seinen „Notizen aus der Provinz“ und dem „Scheibenwischer“ aufgewachsen. In der vergangenen Woche nun ist Dieter Hildebrandt mit 86 Jahren in München gestorben.

Mit seiner 1980 erstmals ausgestrahlten Sendung „Scheibenwischer“ kam Hildebrandt in der gesellschaftlichen Mitte an. Das offenbarte aber auch ein Dilemma des Kabaretts: Wenn Parteispitzen sich darüber amüsierten, wie Hildebrandt sie durch den Kakao zog und auch noch Beifall klatschten, hatte das schon etwas Absurdes. Das war in den Anfangszeiten, den fünfziger und sechziger Jahren, anders. Da konnte ein scharfer politischer Witz auf der Bühne tatsächlich noch Empörungsstürme und persönliche Anfeindungen nach sich ziehen. Hildebrandt wagte sich auf vermintes Gelände.

In diesen Jahren fand der Sozialdemokrat noch Spottziele von bedeutender Gewichtsklasse vor. Der Tod von Franz Josef Strauß war für alle linken Kabarettisten ein schmerzlicher Verlust, auch für Hildebrandt. An Helmut Kohl biß auch er sich die Zähne aus. Am schwarzen Riesen aus Oggersheim perlten alle Versuche ab, dessen robustes Image durch Lächerlichkeit zu untergraben.

Auf Bühne und Bildschirm war Dieter Hildebrandt ein Meister der Rhetorik. Seine Spezialität war der absichtliche Versprecher. Dies ließ seine Reden oft bedeutender erscheinen, als sie es waren. Viele geradezu haßerfüllte Polemiken wirken heute nur noch skurril.

Dabei ging es Hildebrandt nie um verbalen Vandalismus als Selbstzweck. Seine Botschaften waren ihm ein tief empfundenes Anliegen. Darum waren ihm plumpe „Comedians“ erklärtermaßen immer ein Graus.

Viel besser war Hildebrandt als Schauspieler in den Kinofilmen von und mit Gerhard Polt, „Kehraus“ (1983) sowie „Man spricht deutsh“ (1988). Großartig war er vor allem in der Kultserie „Kir Royal“ (1986) als zynischer Boulevard-Fotograf Herbie.

Daß er nun posthum von superlativsüchtigen Journalisten zur „moralischen Instanz“ erhoben wird, ist zumindest fragwürdig. Das wollte er nie sein, und das war er sicher auch nicht. Unvergeßlich bleibt Hildebrandt trotzdem.

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