© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/13 / 29. November 2013

Zeitschriftenkritik: Geschichte der Germanistik
Philologie global ausrichten
Robert Hubschmid

Begründet 1991, als schmales Mitteilungsblatt eines im Deutschen Literaturarchiv Marbach frisch etablierten Arbeitskreises zur Geschichte der Germanistik, erscheint dieses Fachorgan in diesem Herbst als dickes, in Richtung Jahrbuch strebendes Heft. Die Entfernung von den kargen Anfängen markiert jedoch nicht allein der Umfang. Auch Titel und Untertitel haben sich ein drittes Mal verändert. Das von Christoph König, dem ersten Leiter der Marbacher Arbeitsstelle für die Erforschung der Germanistik und seinem Nachfolger Marcel Lepper edierte Periodikum nennt sich nun: Geschichte der Germanistik. Historische Zeitschrift für die Philologien.

Die damit in Aussicht gestellte Neuorientierung auf eine „Komparatistik der Philologien“ bleibt in diesem Heft vorerst noch Programm. Die vergleichende Perspektive beschränkt sich auf die romanischen Sprach- und Literaturwissenschaften, die auch diesmal wieder mit einem Nachruf auf den „Weltphilologen“ Jean Bollack (1923–2012), mit Studien zu Giambattista Vico oder zur „Kulturkunde-Debatte“ deutscher Romanistik in der Weimarer Zeit respektabel vertreten sind.

Doch welches Thema auch immer ansteht, stummer Gast aller Diskurse ist die „völkische Nationalphilologie“. Die Marbacher Arbeitsstelle sah stets ihre Hauptaufgabe in der „Aufklärung“ über den „kritisch“ zu wertenden Anteil, den die germanische Philologie seit 1800 als „Legitimationswissenschaft“ bei der Herausbildung deutschen Nationalbewußtseins hatte. Und selbstredend galt der „Analyse der NS-Verstrickungen“ (König/Lepper) dabei höchste Aufmerksamkeit. Nicht zufällig verschaffte gerade die „Enthüllung“ der NSDAP-Mitgliedschaft Walter Jens’, 2003 im „Internationalen Germanistenlexikon“, dem Arbeitskreis die bislang lebhafteste Resonanz.

In dieser Spur bewegt sich auch Königs Aufsatz über „Peter Szondis Ethik des wissenschaftlichen Essays“, der in einer Konfrontation des jüdischen Komparatisten mit Eugen Gerstenmaier in Sachen „Deutsche und Juden“ mündet. Mit dem erwartbar moralinsauren Fazit zu Gerstenmaiers „falscher Toleranz“, da er in den 1960ern für das Gros der Westdeutschen gesprochen habe, als er den Massenmord an den europäischen Juden als „Katastrophe“ vernebelte und sich der Kollektivschuld-These verweigerte. Nur scheinbar entfernen sich Markus Messlings Reflexionen über das „Erkenntnisinteresse der Fachgeschichte“ von diesem Standarddiskurs. Leitet er doch eine DFG-Forschergruppe über „Philologie und Rassismus im 19. Jahrhundert“, die dem „rassenlogischen“ Potential europäischer Nationalphilologien nachspürt. Offenkundig im Bestreben, Philologie auf „globale Bezüge der Textkulturen“ auszurichten, so am kosmopolitischen Abbau des Identitären mitzuwirken und sich, als neue Variante von „Legitimationswissenschaft“, für „die gegenwärtige Erweiterung des ökonomischen und politischen Raums Europa“ (König) in Brüssel zu empfehlen.

Kontakt: Geschichte der Germanistik. Historische Zeitschrift für die Philologien, Wallstein Verlag, 37073 Göttingen. Das Heft mit 182 Seiten kostet 10 Euro.

www.wallstein-verlag.de

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