© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/13 / 29. November 2013

Kampfansage an die USA
China: Mit Selbstvertrauen und gewagten Reformen will die neue Führung ihren Erfolg stabilisieren
Peter Kuntze

Der Kontrast könnte größer kaum sein: Während auf der einen Seite des Pazifiks die – noch – führende Weltmacht mit schweren wirtschaftlichen und politischen Turbulenzen zu kämpfen hat, verzeichnet auf der anderen Seite die aufstrebende Supermacht allen Unkenrufen zum Trotz ökonomische Rekorde und strotzt vor Selbstbewußtsein.

Kein Wunder: Dreieinhalb Jahrzehnte nach der von Mao Zedongs Nachfolger Deng Xiaoping eingeleiteten Reform- und Öffnungspolitik zeichnen sich die Früchte dieses revolutionären Kurswechsels auf vielen Gebieten immer deutlicher ab. Aus dem armen Bauernstaat der Millionen „blauen Ameisen“ ist längst ein modernes Land mit glitzernden Prachtbauten und einer Modeindustrie geworden, die mittlerweile sogar die Laufstege von Paris und Mailand beschickt.

Selbst Hollywood wird nervös, denn Amerikas Filmindustrie muß befürchten, bald von der fernöstlichen Konkurrenz abgehängt zu werden. Grund: Wang Jianlin, der angeblich reichste Mann der Volksrepublik, läßt zur Zeit in Tsingtau, der einstigen deutschen Kolonialstadt, das größte Filmstudio der Welt bauen, Mehr als acht Milliarden Dollar soll das Mammutprojekt kosten und bis 2017 stehen.

Noch viele derartige Meldungen, die den Entwicklungstrend im heutigen China wiedergeben, ließen sich aufzählen. Doch als Pekings neue Führung im November letzten Jahres die Macht antrat, wurde ihr wie bisher all ihren Vorgängern der baldige Untergang prophezeit. Ob New York Times oder Spiegel – fast unisono malten die westlichen Medien düstere Szenarien: Eine Immobilienblase werde bald platzen, dann eine Kreditblase, an der Korruption werde das Land zugrunde gehen, die Umweltverschmutzung werde es verheeren, das Volk werde die Kluft zwischen Arm und Reich nicht mehr lange hinnehmen, der Drang nach Freiheit werde die KP-Führung stürzen, sollte sie nicht umgehend politische Reformen einleiten und ihr Machtmonopol aufgeben.

Nichts von alledem ist eingetreten, seit Staats- und Parteichef Xi Jinping und Premier Li Keqiang vor zwölf Monaten ihre Ämter für eine Periode von zehn Jahren übernommen haben. Es bleibt unerfindlich, warum politisches Chaos und wirtschaftliches Debakel ausgerechnet in der kommenden Dekade drohen sollten, an deren Ende die Volksrepublik nach Ansicht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) die USA als größte Wirtschaftsmacht ablösen wird. Auch Jim Yong Kim, der neue Präsident der Weltbank, hat China Mitte Oktober eine positive Entwicklung in Aussicht gestellt: „Die Volksrepublik wächst zwar langsamer, setzt ihre Reformen aber fort. Das Land macht eine gigantische Transformation von einer export- und investitionsgetriebenen zu einer mehr konsumgetriebenen Wirtschaft durch. Die Führung beabsichtigt, an dem Kurs trotz Schwierigkeiten festzuhalten. Das ist ein Modell für andere.“

Zwei neue Institutionen sollen den Kurs der Regierung auch weiterhin absichern: Eine dem Kabinett unterstellte Behörde erhält auf Beschluß des Zentralkomitees die Aufgabe, „soziale Konflikte zu verhindern und effektiv zu lösen“, um so die Sicherheit des Staates zu gewährleisten.

Dies zielt zum einen auf die zahlreichen Proteste und oftmals gewalttätigen Demonstrationen gegen Übergriffe lokaler Beamter, zum anderen auf Vorfälle wie den jüngsten Anschlag in Peking. Vor dem Tor des Himmlischen Friedens hatten Ende Oktober drei Uiguren ihren mit Benzin beladenen Wagen in eine Menschenmenge gesteuert und zwei Passanten mit in den Tod gerissen. Ob es sich um das Werk islamistischer Terroristen handelte, wie die Regierung behauptet, bleibt ungewiß. Fest steht, daß es wie in Tibet auch in der von Uiguren-Provinz Xinjiang immer wieder zu Unruhen kommt, weil sich die dortigen Bewohner von den zugewanderten Han-Chinesen an den Rand gedrängt fühlen (JF 22/13).

Ein zweites Gremium, das als „Zentrale Führungsgruppe“ dem Zentralkomitee der KP unterstellt wird, soll den Prozeß der laufenden und der geplanten Reformen beaufsichtigen und für deren „umfassende Vertiefung“ sorgen.

Mit diesen Beschlüssen, die das Zentralkomitee der KP Anfang November nach viertägiger Sitzung getroffen hat, haben sich Xi Jinping und sein Mitstreiter, der smarte Li Keqiang, gegen den Widerstand orthodox-linker Kräfte durchgesetzt. Denn der Markt, so heißt es in der Abschlußerklärung, solle jetzt nicht mehr nur eine „fundamentale“, sondern die „entscheidende“ Rolle bei der Verteilung der Ressourcen spielen. Sowohl staatliches als auch privates Eigentum seien wichtige Bestandteile der „sozialistischen Marktwirtschaft“.

Gleichzeitig wurden bedeutsame gesellschaftliche Reformen beschlossen. So soll die Ein-Kind-Politik gelockert werden, um den die wirtschaftliche Entwicklung gefährdenden Alterungsprozeß zu stoppen. Durften städtische Paare bisher nur dann ein zweites Kind bekommen, wenn beide Eltern geschwisterlos sind, so gilt dies jetzt auch, falls nur ein Partner Einzelkind ist.

Angekündigt wurde ferner die Abschaffung der Arbeitslager, in denen seit 1957 Kleinkriminelle und Regime-gegner bis zu vier Jahre ohne Gerichtsverfahren „umerzogen“ werden können.

Ein Scheitern des chinesischen Aufbauprojekts infolge innerer Unruhen dürfte somit auch in den nächsten Jahren eine Schimäre westlicher Medien bleiben. Denn mittlerweile profitieren zu viele Menschen vom Kurs der Regierung. Dies zeigt jedem Besucher schon der Blick auf Chinas Straßen: Dort läßt sich nicht mehr wie früher nur die Polit-Führungsclique chauffieren, sondern Millionen sitzen stolz hinter den Lenkrädern ihrer fabrikneuen Autos aus Japan, Südkorea, Deutschland und den USA.

Zudem machten sich in diesem Jahr mehr als 90 Millionen Chinesen auf Auslandsreise. Damit sind sie nicht nur Reise-, sondern auch „Shopping“-Weltmeister, denn 2012 gaben sie in der Ferne rund 102 Milliarden Dollar aus – soviel wie keine andere Nation.

Nahezu unbemerkt vom Ausland hat Peking den Kampf um seine eigene Energiewende eingeleitet. Chinesischen Medien zufolge stehen in den nächsten fünf Jahren um die 280 Milliarden Euro für Maßnahmen zur Energieeinsparung und zur Senkung von Umweltbelastungen zur Verfügung – zusätzlich zu den 220 Milliarden, die in den Ausbau erneuerbarer Energien gesteckt werden sollen. Wichtig vor allem: Auf mittlere Sicht will die Führung den Kurs der Landeswährung Yuan freigeben und so, möglicherweise an Gold gekoppelt, den US-Dollar als globale Leitwährung ablösen.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen