© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/13 / 29. November 2013

Sarrazins Kinder
„Kampf gegen Rechts“: Eine Veranstaltung in Berlin sorgt sich um den Nachwuchs rechtsextremistischer Familien
Lion Edler

Auch bei einem Schuldenstand von rund 61,3 Milliarden Euro steckt Berlin bei der Finanzierung von Maßnahmen gegen Rechtsextremismus nicht zurück. Mit dem „Landesprogramm gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus“ gab die Stadt 2011 über 2,3 Millionen Euro für Initiativen und Vereine aus, deren Kompetenz von manchen Experten immer wieder in Zweifel gezogen wird. Mit den Geldern werden derzeit rund 40 Projekte gefördert, die Maßnahmen gegen „Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit“ entwickeln und den derzeitigen Stand des Problems einschätzen sollen. Überraschender Befund des vom Beauftragten des Berliner Senats für Arbeit, Integration und Frauen geförderten Projekts „Eltern stärken“ der Amadeu-Antonio-Stiftung: Das Problem nimmt zu – sogar schon im Kindergarten.

„Rechtsextrem orientierte Eltern als Herausforderung in der Jugendhilfe und in Kitas“ lautete deshalb am Montag eine Fachtagung im Roten Rathaus. Es gebe „immer mehr Kinder von rechtsextremen Eltern in den Einrichtungen“, behauptete Gabriele Schlarmann von der „Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus“ (MBR). Zu allem Überfluß sei die politische Einstellung vieler Eltern „nicht immer“ bekannt.

Schlarmanns Mitstreiterin Heike Radvan von der Fachstelle Gender und Rechtsextremismus bei der Amadeu-Antonio-Stiftung versuchte sich indessen der Frage zu nähern, wie man rechtsextreme Eltern anhand des Verhaltens der Kinder erkennen kann. Jedoch: „Es gibt nicht den einen Erziehungsstil, es gibt nicht den einen Weg, wie rechtsextreme Eltern mit ihren Kindern umgehen.“ Zwar habe man oft die Vorstellung im Kopf, daß die Eltern solcher Kinder eine autoritäre Erziehung pflegten und es sich um zurückhaltende Kinder handle, doch scheine dies „nicht immer so der Fall zu sein“. Doch viele Eltern versuchten, „diese völkische Ideologie in den Kindergarten hineinzutragen“ und ihren Kindern ein „Freund-Feind-Schema“ nahezubringen. Außerdem würden diese Eltern ihren Kindern vermitteln, „was rechte Ideologie ausmacht: daß Kinder lernen, Menschen sind ungleichwertig“.

Aus dem Publikum meldete sich eine Frau von der sozialpädagogischen Familienhilfe zu Wort, die in der Wohnung eines Elternpaars „Neonazi-Literatur“ und eine SS-Rune im Kinderzimmer fand. Ob denn in so einem Falle schon das Kindeswohl gefährdet sei und deshalb das Jugendamt die Kinder entziehen könne, wollte die Teilnehmerin wissen. Eine andere Frau kritisierte, daß das Bürgerliche Gesetzbuch meist „keine Grundlage“ für die Entziehung des Sorgerechts der entsprechenden Kinder biete. Solange das Kindeswohl nicht gefährdet sei, würden sich die Eltern immer auf die Meinungsfreiheit berufen können, beklagte sie.

Doch Radvan hat Vorbehalte gegen einen Kindesentzug, wenn das Kindeswohl nicht gravierend beeinträchtigt ist. Ein vorschneller Entzug sei nämlich „aus verschiedenen historischen Perspektiven noch mal kritisch zu diskutieren“. Das Elternrecht stehe in Deutschland nun einmal sehr weit oben. Nötig seien Ganztagsschulen und die gezielte Aufnahme von Zuwanderern und Behinderten in bestimmten Kindertagesstätten.
Radvan beklagte zudem eine „gewisse Verhaltenheit“ bei Jugendämtern, sich in solchen Fällen überhaupt um das Thema zu kümmern, das „wie eine heiße Kartoffel“ angefaßt werde.

Einige Diskussionsteilnehmer dachten beim Thema „Rechtsextremismus“ indes bei weitem nicht nur an SS-Runen. Ein Mann wie der ehemalige Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) etwa würde „genau die gleichen Ungleichwertigkeitsphantasien“ vermitteln, klagte ein Teilnehmer. Durch diese „latente Idee von ganz anderen Wertvorstellungen“ würde auch das Klima in den Kindertagesstätten stark vergiftet. Doch wenn Sarrazin Kinder in einer Kindertagesstätte hätte, dann hätte man keine juristische Handhabe für Maßnahmen, weil Sarrazin in keiner rechtsextremen Partei sei, sondern in der SPD.

Hinweis der Redaktion: Noch vor Ende der Veranstaltung wurde unser Autor Lion Edler unter Verweis auf das Hausrecht des Raumes verwiesen. Begründet wurde dieser Schritt von den Organisatoren mit der politischen Ausrichtung de JF.

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