© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/13 / 29. November 2013

Piraten in Abwicklung
Parteitag: Nach den Wahlpleiten droht den einstigen Hoffnungsträgern das Aus
Henning Hoffgaard

Schicksalsparteitag. Schon wieder. Dreizehn Parteitage haben die Piraten bisher abgehalten. Jedesmal war vorher die Rede von „Neuausrichtung“, „Kursbestimmung“ und „Neuanfang“. Dabei sollte nach der Bundestagswahl doch alles anders sein. „Ob sechs, sieben oder acht Prozent – das bleibt abzuwarten“, stand auf der Einladung zur Wahlparty. Am Ende wurden es 2,2 Prozent. Gerade einmal 0,2 Prozent mehr als 2009. Statt einer Bundestagsfraktion erwartet die Partei in Bremen jetzt ein Scherbenhaufen und vor allem ein dickes Personalproblem.

Parteichef Bernd Schlömer hat seinen Rücktritt angekündigt, sein Stellvertreter Sebastian Nerz sieht von einer weiteren Kandidatur ab, Bundesvorstandsmitglied Klaus Peukert wirft das Handtuch und auch die vor gerade einmal einem halben Jahr gewählte politische Geschäftsführerin Katharina Nocun verzichtet auf ihren Posten. Aussichtsreiche und bekannte Nachfolger? Fehlanzeige. Gerade der angekündigte Rücktritt von Nocun zeigt, daß die Partei seit Jahren an denselben Problemen herumdoktert.

„Ich kann mir die Arbeit im Bundesvorstand unter den aktuellen Umständen leider gerade nicht mehr leisten“, begründet die 27jährige ihren Rückzug. Sie wolle sich wieder stärker auf ihr Studium konzentrieren. Die Weigerung der Piratenbasis, ihre Parteispitze für ihre Arbeit finanziell zu entschädigen, ist ein Dauerbrenner. Viele ehemalige Führungspolitiker beklagen, die Arbeit im Vorstand verschlinge fast die gesamte Wochenarbeitszeit. Der von den Piraten sonst avisierte Mindestlohn zählt in der eigenen Partei wenig.

Dabei erhalten die Piraten aus der Staatskasse so viel Geld wie noch nie. Knapp 800.000 waren es im vergangenen Jahr. Gut 200.000 Euro mehr als noch 2011. Hinzu kommen Spenden und Mitgliedsbeiträge. Bei der Bundespartei kommt davon allerdings kaum etwas an.

Auch die ehemalige Bundesgeschäftsführerin Marina Weisband steht vor ähnlichen Problemen. „Ich kann mir die Arbeit im Bundesvorstand im Moment nicht leisten“, sagt Weisband, von der sich viele in der Partei eine Rückkehr in die Politik wünschen. Noch-Bundesvorstandsmitglied Klaus Peukert sieht das allerdings ganz anders: „Die Arbeit als Bundesvorstand ist ehrenamtlich leistbar“, unterstreicht er und fällt damit seinen Kollegen in der Parteispitze, die sich über Arbeitsbelastungen von 14 bis 16 Stunden am Tag beklagen, in den Rücken.

Doch auch an anderen Fronten droht der Partei der Kollaps. Die 30.955 Mitglieder, die aus den Piraten nach der FDP und vor der AfD die sechstgrößte Partei in Deutschland machen, sind nur die Hälfte der Wahrheit. Seit September 2012 sinkt die Mitgliederzahl rasant. Und von den verbliebenen zahlen nur etwa 40 Prozent ihre Mitgliedsbeiträge. Selbst in Berlin, wo die Partei einen straffen Linkskurs fährt und im Abgeordnetenhaus vertreten ist, sind 76 Prozent der Mitglieder säumig.

Inhaltlich umstritten sind auch die von vielen geforderte Frauenquote für Parteilisten und eine ständige Online-Mitgliedervertretung. Besonders die interne Frauenquote sorgt für Diskussionsstoff. In einem Antrag heißt es: „Alle gewählten Gremien der Piratenpartei sind zu mindestens einem Drittel mit Frauen zu besetzen.“ Gleiches soll künftig auch für alle Wahllisten der Piratenpartei gelten. Unter den ersten drei Listenplätzen muß zudem mindestens eine Frau sein. Bei einer internen Online-Vorabstimmung fiel der allerdings mit 96 Prozent Gegenstimmen durch.

Der Kurs für die Europawahlen zeichnet sich dagegen bereits schon jetzt ab. Mehr Transparenz der EU-Institutionen, mehr Einwanderung und ein „menschenwürdigeres Asylrecht“. Kritik am Euro lehnt die Partei ab. Sie bleibt an der Oberfläche. Ein bißchen mehr Mitbestimmung sollen die EU-Bürger bekommen. Aber das war es dann schon. Die große Zukunftsvision ist nicht zu erkennen. Und selbst wenn die Partei eine hätte, sie könnte sie kaum glaubhaft vermitteln.

Die Pressearbeit der Piratenpartei krankt seit Jahren an langwierigen Entscheidungsprozessen. Selbst bei der NSA-Affäre kamen die Pressemitteilungen meist viel zu spät. Und wurden deswegen kaum aufgegriffen. So fällt es den Piraten schwer, aus der Überwachungsaffäre Kapital zu schlagen. Der erhoffte Neuanfang wird in Bremen ausbleiben. Zu sehr ist die Partei mit sich selbst beschäftigt. Immerhin können sich die Piratenmitglieder mit einer Tatsache trösten: Nach dem Schicksalsparteitag ist vor dem Schicksalsparteitag.

 

Ergebnisse der Piratenpartei

Derzeit ist die Piratenpartei im Berliner Abgeordnetenhaus sowie im Saarland, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein in den Landtagen vertreten. Bei den vergangenen Wahlen in Niedersachsen (2,1 Prozent), Bayern (2,0 Prozent) und zum Bundestag (2,2 Prozent) blieb die Partei dagegen weit unter ihren Erwartungen. Derzeit liegen die Piraten in den Umfragen zwischen zwei und drei Prozent.

Foto: Parteichef Schlömer, Geschäftsführerin Nocun: „Ich kann mir die Arbeit leider nicht mehr leisten“

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