© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/13 / 29. November 2013

Kompromißlos für die Einheit
Gerhard-Löwenthal-Ehrenpreis für Publizistik: Auszüge aus der Dankesrede des Preisträgers Karl Feldmeyer
Karl Feldmeyer

Was war für viele Stein des Anstoßes an meiner Arbeit? Es war mein insistierendes Eintreten für die Lösung der Deutschen Frage durch die Wiedervereinigung der Deutschen; vor allem aber durch mein Drängen an die Adresse der Bundesregierung, sich nicht nur um die Linderung der Teilungsfolgen für die Deutschen in der DDR einzusetzen – was die Regierung Kohl ebenso wie die vorangegangenen Regierungen mit Engagement und vor allem mit damals überraschend großem Erfolg tat. Ich drang auf mehr, nämlich darauf, sich nicht nur in Ost-Berlin um Erleichterungen für die Deutschen in der DDR zu bemühen. Ich warb dafür, die Entwicklung in Moskau, die nach dem Machtantritt von Gorbatschow im Jahre 1985 neue Chancen eröffnete, zu nutzen, um die Teilung Deutschlands friedlich und im Einvernehmen mit Moskau zu beenden.

Damit berührte ich den neuralgischen Punkt. Kohl wollte die Wiedervereinigung nur im Zusammenhang mit der Überwindung der Teilung Europas in zwei feindliche Blöcke und das heißt praktisch nur unter der Voraussetzung, daß es keine totalitäre Sowjetunion mehr gäbe. Das heißt, er stellte Zusatzbedingungen für sein Einverständnis zu einer Wiedervereinigung, die praktisch auf einen Verzicht auf die Beendigung der Teilung hinausliefen. Eine Wiedervereinigung im Alleingang lehnte er strikt ab, so wie es seine innerdeutsche Ministerin, Frau Wilms in ihrer fatalen Rede am 25. Januar 1988 in Paris förmlich bestätigte: „Für uns kommt nur ein Weg in Frage: Die Teilung Europas muß überwunden werden, soll auch die deutsche Teilung ihr Ende finden. Das schließt für uns Lösungen der deutschen Frage im Alleingang oder gegen den Willen unserer Nachbarn aus …Wir wissen, daß die Überwindung der Teilung Deutschlands in naher Zukunft nicht zu erwarten ist, weil auch die Teilung Europas noch andauert.“ Für mich gab es keine Legitimation dafür, unsere Landsleute unter kommunistischer Zwangsherrschaft der SED zu belassen, wenn ihre Befreiung im Alleingang möglich war.

Unter Politikern waren damals Allgemeinplätze und ausweichende Formulierungen die Regel, wenn sie es nicht vermeiden konnten, sich zur Lage Deutschlands öffentlich zu äußern, was ihnen in der Regel unangenehm war, weil sie weder ein klares Bekenntnis zur Wiedervereinigung noch eine klare Absage formulieren wollten.

Das ist heute alles nicht mehr wahr und verdrängt. Damals war es die Wirklichkeit im politischen Bonn. Nun, da dieser Alptraum vorüber ist, kann sich niemand mehr vorstellen, wie sehr die Auseinandersetzung mit dieser Geisteshaltung nicht nur eine politische und intellektuelle Herausforderung war, sondern auch eine psychisch-mentale Belastung, weil man sich in dieser deutschlandpolitisch feindseligen Umgebung auf fast hoffnungslosem Posten fühlte.

Dafür, daß ich trotz des Drucks, der von dieser Haltung auf mich ausging, in der Sache unbeirrt blieb, war entscheidend, daß ich mir in meiner Haltung und Lagebeurteilung absolut sicher war: Ein Verrat an Deutschland – und das war die Akzeptanz und Bejahung der Teilung – kam für mich unabhängig von den Erfolgschancen nicht in Betracht. Es wäre für mich die Preisgabe meiner Identität gewesen.

Noch etwas gab mir Halt: zu wissen, daß ich nicht allein war. Auf die wenigen, die damals politisch Spießruten liefen, war Verlaß. Ich nenne an erster Stelle Detlef Kühn, der mir im gemeinsamen Engagement zum Freund wurde; ich nenne Ludwig Rehlinger, der damals als Staatssekretär im innerdeutschen Ministerium so wie auch Kühn als Präsident des Gesamtdeutschen Instituts eine atemberaubende Gratwanderung zwischen Überzeugung und dienstlichem Zwang zu bewältigen hatte. Ich nenne Karl Wilhelm Fricke und Dettmar Cramer, beide Kollegen vom Deutschlandfunk, Professor Seiffert und Klas Lakschewitz , ehemals Kapitän zur See der Bundesmarine und später Generalsekretär des Bundes der Vertriebenen. Und ich gedenke Bernhard Friedmanns, der 1986 nach dem Treffen von Präsident Reagan und Gorbatschow auf Island und der dort vereinbarten doppelten Null-Lösung als einziger in der CDU-Fraktion die Wiedervereinigung als Antwort auf diese neue Wirklichkeit forderte. „Einheit statt Raketen“ war seine Forderung, für die er in der CDU für fast geisteskrank gehalten wurde. „Blühender Unsinn“ lautete die Reaktion seines Vorsitzenden Kohl. Auch Johann Baptist Gradl und Herbert Czaja blieben in der CDU mit wenigen anderen standhaft, ebenso wie Dieter Haak in der SPD-Fraktion

Wie gesagt: Wir waren kaum mehr als ein gutes Dutzend, die im politischen Bonn bis zum Fall der Mauer kompromißlos für die Einheit eintraten. Daß die Mauer fiel, bewirkten nicht die Politiker, sondern zu ihrem Entsetzen das deutsche Volk, die Leipziger und Berliner vor allem mit ihrem Ruf „Wir sind ein Volk“. Als man im Bundeskanzleramt erfuhr, daß die Demonstranten in Leipzig „Wir sind ein Volk skandierten“ reagierten die bei Kohl Versammelten nach einer Schrecksekunde mit der Frage: „Sind das NPD-Leute von uns?“ Das sagt alles über die Geistesverfassung und Begeisterung, die man im Oktober 1989 im Bundeskanzleramt über die Ereignisse in der DDR empfand.

Inzwischen sind die gleichen Parteien an ihrem nächsten Großprojekt. Sie wollen Deutschland in einem europäischen Zentralstaat aufgehen lassen und zu einem Bundesland degradieren, so wie Sachsen oder Rheinland-Pfalz in der Bundesrepublik. Das politische Urteilsvermögen, das sie in der Deutschlandpolitik gezeigt haben, aber läßt Hoffnung zu, nämlich darauf, daß Deutschland auch das überlebt.

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