© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/13 / 29. November 2013

Das Beben kommt
Wie auch immer der Koalitionsvertrag genau aussehen wird, er ist durch und durch sozialdemokratisch
Paul Rosen

Seltsam instabil wirkt eine Große Koalition im Deutschen Bundestag, und ob sie bis 2017 halten wird, ist mehr als fraglich. 80 Prozent der Abgeordneten gehören Union und SPD an, die Opposition aus Grünen und Linkspartei ist verschwindend klein. Aber niemand, selbst niemand aus der ersten Reihe dieses dritten Bündnisses der beiden großen Parteien in der Geschichte der Bundesrepublik, kommt auf den Gedanken, von einer besonders stabilen Regierung zu sprechen.

Statt dessen ist vom CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe wie vom wiedergewählten CSU-Chef Horst Seehofer unisono zu hören, vor Neuwahlen müsse man keine Angst haben. Und während die SPD auf Bündnisse mit der Linkspartei schielt, blickt die CDU unter dem Schlagwort „Pizza Connection 2.0“ bereits auf schwarz-grüne Bündnisse. Die sich anbahnende CDU/Grünen-Koalition in Hessen ist nichts anderes als die Blaupause für den Bund.

Diese Instabilität hat Gründe. Beide Regierungsparteien befinden sich in schlechtem Zustand. Die Sozialdemokraten sind keine Volkspartei mehr. Ihr Milieu, Industriearbeiter und untere Mittelschicht, schrumpft zusehends. CDU und CSU sonnen sich zwar in Ergebnissen wie zu Helmut Kohls und Franz Josef Strauß’ Zeiten. Aber sie haben für Teile ihrer Klientel wie Konservative und Christen bestenfalls Nichtbeachtung übrig. Noch nie hat eine Parteienformation wie die Union früher hochgehaltene Prinzipien wie christliche Lehre, Freiheit und Marktwirtschaft oder das ordnende Staatsbürgerschaftsrecht so schnell geopfert. Kanzlerin Angela Merkel, Gröhe und die anderen in der CDU-Führung wissen natürlich, daß das Wahlergebnis ein Vorschuß für eine bürgerliche Politik ist, die sie aber nicht mehr wollen und folglich auch nicht mehr umsetzen können.

Vor Neuwahlen im Frühjahr bräuchten CDU und CSU vermutlich mangels großer Alternativen keine Angst zu haben, wenn sich die SPD-Basis bei der Mitgliederbefragung zum Koalitionsvertrag der eigenen Parteiführung verweigern sollte. Aber in vier Jahren sieht das ganz anders aus. Die Gesellschaft verändert sich mit wachsender Geschwindigkeit. Niemand soll glauben, daß in ganz Europa sichtbare Veränderungen ausgerechnet vor dem deutschen Parteiensystem haltmachen. Die Alternative für Deutschland (AfD) ist erst als Anfang zu verstehen.

Sogar Politiker spüren das Zittern des Bodens vor dem kommenden Beben. Vor diesem Hintergrund entsteht im Bundestag eine Sehnsucht nach Stabilität, die – in die Praxis umgesetzt – wie eine „Staatsdampfwalze“ (so der Publizist Thomas Schmid) über Deutschland rollt. Was auch immer diese Koalition anpackt, heraus kommt mehr Staat, weniger Freiheit, weniger Selbstverantwortung, weniger Markt. Der Staat regelt Löhne (Mindestlohn von 8,50 Euro), Managergehälter, Mieten (Mietpreisbremse), Renten (Mindestrente, Mütterrente). Selbstbeschränkung kennt dieser Staat nicht mehr, sondern er entwickelt sich wie die Mythenfigur Hydra: Wo ein Kopf abgeschlagen wird, wachsen zwei nach. Zwar ist aus der Union noch leise zu hören, es werde keine Steuererhöhungen geben, aber die faktische Abschaffung des Lebensleistungsprinzips und der Ersatz durch Mindestrenten für alle kostet genauso enormes Geld wie die Ausweitung der Pflegeleistungen. Entsprechend werden Rentenbeiträge nicht gesenkt, dafür wird der Pflegebeitrag erhöht. Und auch die Pkw-Maut, wenn sie denn mehr wird als eine Prüfoption im Koalitionsvertrag, wird nicht ohne eine Belastung der deutschen Autofahrer abgehen.

Vergeblich warnt der Wirtschaftsrat der CDU, „daß die Union ihre grundlegenden Wahlversprechen bricht, wirtschaftspolitisches Profil über Bord wirft“. Das ist jedoch längst passiert, und schlimmer ist, daß auch der wirtschaftspolitische Sachverstand mit über Bord gegangen ist. Orientierungslos wie ein Narrenschiff treibt Deutschland durch die Welt.

Die sozialdemokratische Prägung des Koalitionsvertrages ist Realität, auch wenn der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz (SPD), meint, die SPD habe Kröten schlucken müssen. Dennoch stecken Risiken in der Abstimmung der 470.000 SPD-Mitglieder über den Koalitionsvertrag. Der gescheiterte Kanzlerkandidat Peer Steinbrück sagte, wenn die Abstimmung scheitert, „dann muß Helmut Schmidt wieder antreten“. Das heißt nichts anderes, als daß die SPD dann am Ende wäre und CDU/CSU im Falle vorzeitiger Wahlen entweder mit den Grünen oder allein regieren würden. Viel ändern würde sich die Politik angesichts der Sozialdemokratisierung der Union nicht.

Entscheidender als Paragraphen und Ziffern im Koalitionsvertrag ist, was in ihm nicht vorkommt oder nur mit Worthülsen erwähnt wird. Keine Antworten erhalten die Bürger zu europäischen und Währungsfragen. Hier regiert das Prinzip „Weiter so“: Mehr Kompetenzen gehen nach Brüssel, wo es mit der demokratischen Legitimation nicht weit her ist. Keine Antworten gibt es zur Geldwertstabilität, obwohl die Teuerung nicht mehr zu übersehen ist und die Euro-Rettung noch teurer werden wird.

Und daß die Antwort der CSU und indirekt auch der CDU auf die EU-Kritiker nur in der Wahl eines Euro-Kritikers wie Peter Gauweiler in den Parteivorstand besteht, zeigt, daß Merkel und Seehofer die Risse im Sockel der alten Welt nicht sehen. Es müssen jedoch nicht die letzten Tage Europas sein, wie Henryk M. Broder meint. So hat die neue norwegische Mitte-Rechts-Koalition in ihrem Koalitionsvertrag massive Steuersenkungen angekündigt. Mehr noch: „Menschen mit Schaffensdrang und Unternehmungslust muß mehr Freiheit gegeben werden“, heißt es in dem Koalitionsvertrag, der dem verkrusteten, müden und halbsozialistisch-bürokratischen Deutschland so fehlt. Im Norden keimt Hoffnung. Der Wind wird die Saat nach Süden tragen.

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