© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/13 / 22. November 2013

Pragmatisch eine Grenze ziehen
Ein Ende mit Schrecken? Der Hirntod als willkürliches Instrument, um Organtransplantationen möglich zu machen
Mathias von Gersdorff

In Deutschland dürfen zwecks Transplantationen Organe nur von Personen entnommen werden, die dies ausdrücklich und schriftlich zugelassen haben. Seitdem sind die Krankenkassen verpflichtet, regelmäßig ihre Kunden zu fragen, ob sie eine entsprechende Einwilligung unterschreiben möchten. Obwohl sich in Umfragen viele Menschen bereit erklären, ihre Organe im Todesfalle zu spenden, sind es schließlich wenige, die die dazu notwendige Einwilligung abgegeben haben. Aus diesem Grund werden etliche Werbekampagnen organisiert, damit die Menschen ihre latent existierende Bereitschaft konkretisieren.

Was zunächst recht menschenfreundlich aussieht, hat einen Haken: In Deutschland wird das sogenannte Hirntodkriterium angewendet, um festzustellen, ob jemand tatsächlich tot ist. Viele Wissenschaftler, Ärzte, Philosophen sind aber der Meinung, daß auf diese Weise der eigentliche Tod nicht festgestellt werde. Das Hirntodkriterium sei nichts anderes als eine pragmatische Regelung, um möglichst viele Organe für Transplantationen zu erhalten. Anders ausgedrückt: Wenn jemand zu tot ist, taugen seine Organe nichts mehr, weil der Zersetzungsprozeß des menschlichen Körpers sehr schnell einsetzt. Er darf lediglich „hirntot“ sein. Der Begriff selbst ist eigentlich irreführend, denn wichtige Teile des Gehirns, vor allem der Hypothalamus, sind durchaus noch quicklebendig. Deshalb funktionieren bei Hirntoten die Kreislaufregulation, die Temperaturregulation und die hormonelle Regulation. Hirntote haben eine Herztätigkeit, sie sind warm, haben Stoffwechselvorgänge usw. Wäre das Gehirn völlig passiv – also tot –, könnte der menschliche Körper diese Tätigkeiten nicht verrichten und würde schnell verfallen, es würde beispielsweise die Leichenstarre eintreten.

Gegen diese geradezu makabre Situation hat nun die Ärztin Regina Breul das Buch „Hirntod – Organspende“ im Verlag Media Maria herausgegeben. Das Buch enthält ein langes Gespräch Breuls mit Professor Wolfgang Waldstein, langjähriges Mitglied der „Päpstlichen Akademie für das Leben“. Die Hauptthese des Buches: Das Hirntodkriterium dient nicht der Feststellung des Todes eines Menschen, sondern soll lediglich die Bedingungen der Explantation von Organen zwecks Transplantationen erleichtern. Die Formulierung des Hirntodkriteriums folgte also bloß pragmatischen Erwägungen.

Das führt laut Breul dazu, daß viele Menschen erst auf dem Operationstisch bei der Organentnahme getötet werden.Im Buch werden etliche Fälle von Menschen geschildert, die nach dem Hirntodkriterium tot waren, sich aber erholt haben. Waldstein berichtet unter anderem von einem österreichischen Schüler, der nach seinem „Hirntod“ sogar seine Matura gemacht hat.

In der Tat ist das Hirntodkriterium sehr jung. Erst die erfolgreichen Herztransplantationen führten dazu, daß man in den Vereinigten Staaten dazu überging, das „irreversible Koma“ in „Hirntod“ umzubenennen. So fügte man das entscheidende Wort „Tod“ ein. Rasch meldeten sich Kritiker, die sich jedoch in der öffentlichen Debatte nicht durchsetzen konnten. Das Hirntodkriterium setzte sich genauso schnell durch, wie die Transplantationstechniken verbessert wurden.

Regina Breul gibt einen zeitlichen Überblick über den Widerstand gegen den Pragmatismus bei der Definition des Todes. Kräftigen Rückenwind bekamen die Kritiker im Jahr 2010. Kein geringerer als die US-amerikanische „President’s Commission on Bioethics“ hat diese Zweifel im Mutterland der Hirntoddefinition erhoben. In einem langen Artikel vom 14. Oktober 2010 fragte die Frankfurter Allgemeine Zeitung angesichts der zunehmenden Zweifel an der Hirntoddefinition, ob die Organspende noch zu retten sei. Seitdem ist die Zahl der Gegner stetig gestiegen. Konkretes ist aber nicht geschehen, ganz im Gegenteil.

Die Befürworter der Hirntoddefinition ließen sich nicht in die Defensive drängen und organisieren seit Jahren massive Werbekampagnen. Allein die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hat im Jahr 2011 über 2,5 Millionen Euro für eine Organspende-Werbung ausgegeben, die von der Hirntoddefinition ausgeht.

Weitere Kampagnen wurden vom „Deutschen Herzzentrum“ in Berlin, von Organisationen wie der „Aktion Pro“ oder der Techniker Krankenkasse organisiert. Unterstützt werden solche Initiativen von Firmen wie der Deutschen Bahn, der Telekom und vor allem durch Pfizer, eines der größten Pharmaunternehmen weltweit.

Das Gespräch zwischen Regina Breul und Wolfgang Waldstein soll insbesondere aufklären, wie hinter den Kulissen getrickst wird. Es werden haarsträubende Details über die Machenschaften derjenigen geschildert, die am Hirntodkriterium festhalten wollen. Resümee von Waldstein: „Diese Manipulationen zeigen eben die völlige Gewissenlosigkeit des Vorgehens in dieser Frage. (...) Es müßte endliche einmal rechtlich klargestellt werden, was hier geschieht. Da kann der Staat nicht umhin, wirklich einmal einzugreifen. Zu zeigen, daß hier in einem unvorstellbaren Ausmaß Verbrechen am menschlichen Leben begangen werden, und das im Namen der Lebensrettung, der Menschlichkeit, der Hilfsbereitschaft und der Liebe. Es ist absurd.“

Der Einfluß der Transplantations-Lobby reicht sogar bis in den Vatikan. Diese konnte eine eindeutige und klare Stellungnahme, die auch von der großen Öffentlichkeit wahrgenommen wird, bislang verhindern. Deshalb trägt das Buch den Untertitel „und die Kirche schweigt dazu“. Im Gespräch werden die Methoden erörtert, wie man dieses Schweigen erreicht hat. „Die Transplantationsmedizin zeigt zweifellos mafiöse Züge“, resümiert Waldstein.

„Hirntod – Organspende“ ist deshalb ein wichtiges und mutiges Buch. Die faktenreiche und leicht verständliche Schrift rüttelt auf und zeigt, in welchem Maße das menschliche Leben in diesem Bereich zu einer Ware verkommt und zur Disposition steht. Es ist zu hoffen, daß die Politik diese Argumente wahrnimmt und bald eingreift.

Regina Breul im Gespräch mit Wolfgang Waldstein: Hirntod – Organspende. Und die Kirche schweigt dazu. Media Maria, Illertissen 2013, broschiert, 160 Seiten, 14,95 Euro

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