© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/13 / 22. November 2013

Das 250-Millionen-Dollar-Projekt
Hat Glenn Greenwalds Nachrichtendienst Erfolgsaussichten? / Eine Analyse der globalen Medienlandschaft
Ronald Gläser

Glenn Greenwald hat vor drei Wochen seine letzte Kolumne im Guardian veröffentlicht. Kurz zuvor war durchgesickert, daß er fortan ein eigenes Nachrichtenportal betreiben wird. Sein Finanzier: Ebay-Gründer Pierre Omidyar. Das ist eine Nachricht von einem anderen Kaliber als „Bild-Redakteur geht zum Spiegel“. Oder umgekehrt. Der Enthüllungsjournalist kehrt der traditionellen Zeitung den Rücken, um ein Start-up aufzubauen? Auch wenn er den Versteigerungs-Krösus hinter sich weiß, riskiert er doch einiges. Wie viele Internetprojekte sind in den letzten Jahren gescheitert?

Die Verlage schaffen es nicht, Bezahlschranken zu errichten, weil die Kunden sofort davonlaufen, wenn sie für Inhalte bezahlen sollen. (Ausnahmen bestätigen die Regel.) Die deutsche HuffPo hat sich bislang nicht als Erfolgsgeschichte herausgestellt. Rupert Murdochs The Daily ist trotz massiver Investitionen gescheitert und wurde sang- und klanglos eingestellt. Die Versuche der TV-Sender, im Netz Geld zu verdienen – Fehlanzeige.

Das Internet ist aus Sicht der klassischen Medien und insbesondere der Zeitungen wie ein Tsunami. Es ist nicht vor zwanzig Jahren mit einer gewaltigen Flutwelle über sie gekommen, sondern überflutet nun alles langsam, aber gewaltig – mit ungeheurer Wucht.

Wenig bleibt beim alten. Die Lesegewohnheiten der Kunden, die Arbeitsbedingungen der Journalisten, die Auflagen der Zeitungen, die Geschäftszahlen der Verlagshäuser – nichts ist wiederzuerkennen. Keine Branche unterliegt durch die digitale Revolution einer solch dramatischen Veränderung.

Die Nachrichtenbranche, insbesondere die Zeitungen, müssen sich etwas ausdenken. Bald. In Deutschland ist die Auflage der Tagespresse im dritten Quartal 2013 schon wieder um fast dreieinhalb Prozent gesunken. In wenigen Monaten wird sie erstmals unter der 20-Millionen-Marke liegen. Vor zehn Jahren waren es noch fast 27 Millionen. Hält der Trend so an, dann ist bald niemand mehr bereit, für Zeitungen zu bezahlen. Andererseits investiert Omidyar bis zu 250 Millionen Dollar in das Greenwald-Projekt. Geld ist also da, es kommt nur nicht mehr von den Konsumenten. Der Ebay-Gründer wird das Geld nicht grundlos investieren. Er will Einfluß nehmen. So wie Amazon-Gründer Jeff Bezos, der die Washington Post gekauft hat.

Das ist der neue Trend: Milliardäre leisten sich Medien, nicht um primär Geld zu verdienen, sondern als Sprachrohr. Das alte Diktum kehrt zurück, wonach Pressefreiheit bedeute, daß 200 reiche Männer ihre Meinung verbreiten. Nur unter anderen Vorzeichen. So würde es nicht verwundern, wenn demnächst die Brüder Albrecht eine Illustrierte herausbrächten, die neben neutraler Unterhaltung subkutan Produkttips rund um das Aldi-Sortiment enthält. Oder wenn BMW ein Lifestylemagazin herausbrächte, das neben Mode auch über (Motor-)Sport informierte.

Ein zweiter Trend ist die zunehmende Personalisierung: Erfolgreiche Ankermänner verlassen die großen Konzerne und gründen ihr eigenes Projekt. Glenn Beck zum Beispiel. Der amerikanische Moderator hat 2011 seinen eigenen Internetsender The Blaze aus dem Boden gestampft und macht bereits einen Millionenumsatz. In Deutschland ist Ken Jebsen mit seiner Radiosendung nach dem Rauswurf beim RBB ins Internet gewechselt.

Der dritte Trend: Journalisten werden wieder mehr zu Aktivisten. Sie nehmen Standpunkte ein und befriedigen nicht nur das Informationsbedürfnis ihrer Kunden, sondern appellieren auch an deren Gesinnung. Oft bieten sie ihre Produkte kostenfrei an und bitten dann um Unterstützung. Joachims Siegerists Spendenaktionen funktionieren seit Jahren so. Ken Jebsens Geschäftsmodell ebenfalls. Und auch die taz ist vergleichsweise erfolgreich mit der Bitte um flattr-Spenden für ihre kostenfreie Webseite.

Glenn Greenwald vereint all das: Er hat einen Namen als Reporter (287.000 Twitternutzer folgen ihm), eine eindeutige Position, was Geheimdienste angeht, und einen schwerreichen Investor hinter sich. Die Voraussetzungen für ihn sind blendend.

Den etablierten Medien jagt diese Entwicklung einen Schrecken ein. Bill Keller von der New York Times hat Glenn Greenwald zu einem Meinungsaustausch eingeladen, den seine Zeitung auf ihrer Netzseite veröffentlicht hat. (Der QR-Code am Ende des Textes führt auf den englischen Text.) Die beiden diskutieren das Für und Wider journalistischer Neutralität und die Zukunft der Medien. Keller verweist in fast weinerlichem Ton darauf, daß auch die Zeitgeistpresse ihre Verdienste habe: „Die Art von Journalismus, die die New York Times praktiziert, beinhaltet viel, auf das wir stolz sein können – von Watergate bis zur Aufdeckung von Folter und Geheimgefängnissen.“

Greenwald antwortet, Mainstreamjournalisten drückten sich oft darum herum, die Wahrheit klar auszusprechen. „Indem sie ihre eigentliche Meinung hinter dem Berg halten, erweitern sie die Möglichkeit der Manipulation ihres Publikums.“

Mainstreamjournalisten betrieben Regierungs-PR und den Ausverkauf des echten Journalismus. „Die Pressefreiheit in den USA zurückzuerobern ist ein wichtiger Antrieb für unser Projekt.“ Da hat er sich viel vorgenommen.

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