© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/13 / 22. November 2013

Ökonomisches Kabarett
Außenhandel: Der deutsche Exportüberschuß erhitzt weltweit die Gemüter / Leistungsbilanzüberschüsse politisch bekämpfen?
Christoph Braunschweig

Im September dieses Jahres übertrafen die deutschen Exporte die Importe um gut 20 Milliarden Euro. Das ist ein Rekordwert, der das US-Finanzministerium (JF 46/13), den Internationalen Währungsfonds und diverse Ökonomen veranlaßte, Deutschland öffentlich an den Pranger zu stellen. Der Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank (EZB), Peter Praet, stieß vergangenes Wochenende ins gleiche Horn: „Deutschland sollte seine Wettbewerbsfähigkeit nicht schwächen“, meinte der frühere belgische Nationalbankdirektor in der Süddeutschen Zeitung. „Aber für Deutschland ist es wichtig, mehr im Inland zu investieren.“

Die EU will es nicht bei Ermahnungen ihres größten Nettozahlers belassen. „Wir werden untersuchen, ob der hohe Überschuß Auswirkungen auf ganz Europa hat“, erklärte der portugiesische Kommissionschef José Manuel Barroso. Bereits seit sieben Jahren überschreitet der deutsche Leistungsbilanzüberschuß den EU-Grenzwert von sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Theoretisch droht kommendes Jahr ein Bußgeld von 0,1 Prozent des BIP. Bei einer deutschen Wirtschaftsleistung von 2,7 Billionen Euro wären dann zusätzliche Milliarden für Brüssel fällig. Angesichts der bereits übernommenen Haftungen und Milliardenzahlungen wird die EU-Kommission wohl kaum eine Zahlungsaufforderung nach Berlin schicken.

Aber warum stürzen die deutschen Exporte den defizitären Teil der Welt in Armut, Deflation und Massenarbeitslosigkeit? Deutsche Autos oder Maschinen sind gefragt. Sind Leistungsbilanzüberschüsse daher nicht das Ergebnis individueller Entscheidungen souveräner Wirtschaftsakteure? Deutschland und andere Überschußländer wie die Niederlande müssen zunächst Länder finanzieren, die einen Importüberschuß haben. Und ein Handelsbilanzdefizit muß keineswegs schädlich sein. Wenn einzelne Länder mit Auslandskrediten Investitionen finanzieren, die zukünftig Erträge abwerfen, ist das sogar ein Mittel zum wirtschaftlichen Aufstieg.

Die 1,4 Milliarden Dollar Marshallplan-Darlehen, die Westdeutschland zwischen 1948 und 1953 erhielt, waren so ein positives Beispiel. Wenn aber Kredite nur in den Konsum fließen, entsteht auf Dauer eine Schuldenkrise, wie sie etwa die Euro-Zone gerade erlebt. Aufgezwungen werden den Defizitländern weder Kreditgeld noch Warenimporte. Jedoch wurden die Kapitalimporte nicht für produktive Zukunftsinvestitionen, sondern vor allem für Konsumzwecke oder Immobilien eingesetzt. Die deutschen Banken und Sparer bekamen nach dem Platzen der Blasen ihre ausgeliehenen Gelder nicht mehr von den nunmehr überschuldeten Krisenländern, sondern durch öffentliche und Zentralbankkredite an diese Länder zurück.

Die Euro-Sparer haben sie als Steuerzahler faktisch selber finanziert. Insofern mutierten die deutschen Überschüsse indirekt zu Transfers in die Krisenländer. Deutschland verschenkt quasi seine Ersparnisse, denn die Ausfallrisiken schlummern nun bei der Europäischen Zentralbank (EZB/Stichwort: Target-2) und bei den Euro-Rettungsfonds EFSF und ESM. Die Schulden werden in Form von Niedrigzinsen und höherer Geldentwertung (Finanzrepression) zu Lasten der deutschen Sparer abgebaut.

Deutschland soll Importe stimulieren, um so den Überschuß abzubauen. Man könnte die Löhne deutlich erhöhen, die Arbeitszeiten verkürzen, mehr Urlaub gewähren und die Staatsausgaben signifikant erhöhen. Die Folge wäre allerdings eine entsprechende Erhöhung der Staatsschulden, also genau die zentrale Ursache für die aktuelle Krise. Weiterhin drohen mittelfristig Arbeitslosigkeit (höhere Lohnstückkosten senken die Wettbewerbsfähigkeit) und schließlich Konsumzurückhaltung.

Da ein Überschuß prinzipiell mit einem entsprechenden Kapitalexport (Kreditgewährung) verbunden ist, erübrigt sich der Vorwurf, Länder mit Überschüssen lebten auf Kosten der Defizitländer. Die Kritiker der Leistungsbilanzüberschüsse verkennen zwei zentrale Gründe, weshalb manche Staaten mehr exportieren als importieren: zum einen den Aufholprozeß der Schwellenländer, die vor allem viele Investitionsgüter nachfragen; zum anderen historisch gewachsene Strukturen einer Volkswirtschaft, die Länder charakteristischerweise zu Anbietern (wie Deutschland) oder Nachfragern von Investitionsgütern (etwa China) machen. Der grundsätzliche Fehler keynesianisch geprägter Makroökonomen liegt darin, daß ihre Erklärung eines Leistungsbilanzdefizits bzw. -überschusses nur auf der Nachfrageseite ansetzt. Denn es gibt eben auch angebotsseitige Erklärungen für Ungleichgewichte. Volkswirtschaften mit einem relativ hohen Investitionsgüteranteil wie Deutschland sind prädestiniert dafür, Leistungsbilanzüberschüsse zu erwirtschaften.

Was also eine Volkswirtschaft an Gütern und Dienstleistungen anbietet, entscheidet auch darüber, wie ihre Leistungsbilanz aussieht. Die hohe Nachfrage der Schwellenländer führte dort zu einem Investitionsboom, der die Nachfrage nach deutschen Investitionsgütern stark ansteigen ließ.

Die Wirtschaftsgeschichte zeigt allerdings, daß Überschüsse oder Defizite nicht von Dauer sein müssen: In der zweiten Hälfte der neunziger Jahre stagnierten die globalen Investitionstätigkeiten, die deutsche Leistungsbilanz geriet ins Minus. Doch das asiatische Wachstum drehte diese Entwicklung.

Der Versuch, die deutschen Überschüsse durch politische Maßnahmen – etwa verbindliche Obergrenzen für Leistungsbilanzsalden – zu bekämpfen, würde die internationale Arbeitsteilung und die weltweite wirtschaftliche Entwicklung bremsen. Es scheint ein Stück aus dem Tollhaus des „ökonomische Kabaretts“ zu sein. Aber es steht zu befürchten, daß die Politik in ihrer offensichtlichen Kopflosigkeit und Panik auch vor diesem Kardinalfehler nicht zurückschrecken wird.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen