© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/13 / 22. November 2013

„Ich bin dankbar für das Asyl in Deutschland“
„Heiliger Krieg“: Islamisten verlassen Deutschland für den Djihad in Syrien / JF-Reporter trifft im Libanon einen angeblichen Drahtzieher
Billy Six

Er hatte keine Hoffnung hier“, sagt Straßenhändler Omiros, sunnitischer Moslem griechischer Abstammung, dessen Familie es im letzten Jahrhundert ins nordlibanesische Tripoli verschlagen hat. Er verweist auf ein über die Straße gespanntes Transparent, welches das Konterfei von Ahmed zeigt – einem 30jährigen Märtyrer der islamischen Sache. Der Libanese starb dieses Jahr im Gemetzel um das syrische Al-Kussair, im Korridor zwischen der levantinischen Küste und der Hauptstadt Damaskus.

Im Mai 2013 kam es dort zum großangelegten Zusammenprall der syrischen Kriegsparteien: Syrische Aufständische und internationale Dschihadisten auf der einen, die syrische Armee und Hisbollah-Kämpfer auf der anderen Seite. Nach über einem Jahr Belagerung gelang es Syriens Präsident Assad, das Widerstandsnest zu erobern und damit die libanesische Nachschubroute seiner Feinde im Großraum Homs entscheidend zu schwächen.

Omiros zeigt auf einen 18jährigen, der in seinem Schuhgeschäft kauert: „Er wird als nächster gehen. Was soll er auch tun? Es gibt keine Arbeit für ihn, so daß er nie heiraten kann. Im Paradies dagegen wird ihm Allah 72 Jungfrauen geben.“ Der Jüngling lächelt, kippt seinen Kopf zur Seite und streckt die Zunge raus – um sodann beide Hände gen Himmel zu heben. Danach versinkt er erneut in Trübsal. „Hilf ihm“, fordert Omiros. „Sorge dafür, daß er nach Deutschland kommt. Dann verzichtet er auf den Einsatz in Syrien.“ Berufliche Qualifikationen? Sprachkenntnisse? Keine. „Ihr Europäer seid hochmütig gegenüber dem Islam“, meint der Schuhhändler. „Und Demokratie habt ihr auch nicht. Wieso wird es Frauen bei euch verboten, sich zu verschleiern?“ Aus Omiros Sicht sei dies nicht nur freiheitsfeindlich, sondern auch gegen die Frauen gerichtet: „Wenn ich dir zwei Stück Schokolade anbiete, eines verpackt, das andere offen: Welches würdest du nehmen?“

Im Auftrage Amerikas würde die libanesische Regierung darüber hinaus „die Muslime von Tripoli im Dreck halten“. Doch der Tag der Abrechnung, auch mit den Tätern der syrischen Besatzung von 1976 bis 2005, werde kommen. Propagandistisch hat Tripoli bereits aufgerüstet: An allen Ecken und Enden der Stadt hängen die schwarzen Flaggen mit dem islamischen Glaubensbekenntnis aus. Sie sind als Aushängeschild der ominösen Al-Qaida-Bewegung bekannt, die keiner zentralen Führung bedarf. Wie Pilze sind entsprechende Zellen in Syrien aus dem Boden geschossen. „Dschabat al-Nusra“ ist die bekannteste der neuen Salafistentruppen. Nachzuziehen braucht der Libanon nicht: Bewaffnete Gefolgsleute des Propheten Mohammed gab es hier schon immer. Der stets vorgetragene Gedanke, die islamische Erweckung habe etwas mit der Armut zu tun, stellt sich beim näheren Hinsehen immer wieder als falsch heraus.

Firas Miknas (28) ist Leiter einer McDonalds-Filiale in Tripoli. Geld hat er – das sieht man seiner Kleidung an. Manieren und gute Kenntnisse der englischen Sprache auch. Die größte Freude bereite es ihm jedoch, Menschen davon zu überzeugen, zum Islam überzutreten. Vor etwa zwei Jahren habe er sein „zuvor sündiges Leben“ erkannt und arbeite nun daran, Allah und seinem Gesandten wohlgefällig zu leben. Die Explosion einer Bombe vor der nahen Salam-Moschee habe er unverletzt überstanden – während um ihn herum im Gebetsraum Tote und Verletzte gelegen hätten. „Welchen größeren Beweis konnte Allah mir geben“, so fragt Firas, „daß ich ausersehen bin, Belohnung für mein richtiges Handeln zu erhalten?“

Diesen blinden Schicksalsglauben der Muslime stellt überraschend ausgerechnet der als Salafist bekannte Scheich Salem Rafei in Frage: Kontaktmänner haben mich zu ihm in ein von einer zwei Meter hohen Mauer geschütztes Anwesen am recht vornehmen Stadtrand von Tripoli gefahren. „In der Frage der Vorherbestimmung des Lebens gibt es keinen Unterschied zu den Christen“, meint der vom Leben gezeichnete Mann.

Das „Umm al-Kitab“, das „Mutterbuch“ im Himmel, gebe nur wieder, was Allah über das Handeln jedes einzelnen Menschen wisse – die Entscheidungen, welche in der Hand des Menschen lägen, treffe jeder aber frei. Die Aussage widerspricht der orthodoxen Lehrmeinung von der „leeren Schreibfeder“ Allahs, wonach der Weltenschöpfer des Islams nicht nur alle Handlungen wie bei einem zurückgespulten Film voraussagen könne, sondern selbst das Drehbuch geschrieben habe. Daß viele Moslems sich ihrer Armut und Unbildung fügen und Allah die Verantwortung zuschieben, ist für den Scheich ein Fehler, der dem Sufismus anzulasten sei – den Mystikern und Spiritisten des Islam.

Nicht unwahrscheinlich, daß Salem al Rafei selbst zumindest ein wenig durch seinen 20jährigen Aufenthalt in Deutschland geprägt wurde. „Ich bin dankbar, daß die Deutschen mir Asyl geboten haben und habe die Natur sowie die Einfachheit der Menschen geliebt“, sagt der Prediger im Gespräch. Allerdings, so fügt er im Tenor islamistischer Verschwörungstheorien hinzu, stehe Deutschland „unter Kontrolle der Juden“.

Die Abschiebung aufgrund seiner Aktivitäten beim Aufbau der Neuköllner Al-Nur-Moschee (siehe Kasten) kann er nicht nachvollziehen: „Ich habe nur die Toleranz der Religionen gepredigt“, behauptet er. Doch der Verfassungsschutz habe ihn im Visier gehabt und verfolge ihn bis heute. 2005 wurde er am Berliner Flughafen Tegel an der Einreise gehindert und wieder in den Libanon zurückgeschickt. Immerhin gilt Rafei deutschen Sicherheitsbehörden als Organisator für den Transfer von Dschihadisten aus Deutschland nach Syrien. Dabei soll es sich nach Informationen des Spiegel um etwa 200 Personen handeln.

Über die genaue Zahl konnte das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT keine Angaben machen. „Die Entwicklung, daß eine steigende Anzahl junger Islamisten mit Kampferfahrung und einer Ausbildung an Waffen wieder aus Syrien nach Deutschland zurückkommt oder in die Türkei geht, beobachten wir durchaus mit Sorge“, sagte ein Sprecher des BfV der JF.

Darüber mag Rafei jedoch nicht sprechen. Überhaupt will er sich nicht zu Politik äußern, sondern „nur zu religiösen Fragen“. Ebensowenig darüber, daß er im April 2013 beim Verlassen der Al-Takwah-Moschee in Tripoli von einem Unbekannten beschossen wurde. Als am 23. August 2013 eine Bombe vor derselben Moschee in die Luft ging, war er ebenfalls vor Ort. Auf den Straßen der Stadt ist man sich sicher: Der syrische Geheimdienst oder die Hisbollah stünden hinter den Anschlägen auf die zwei sunnitischen Moscheen, welche rund 47 Menschenleben auslöschten und über 500 Leute verletzten. In dieser Woche die Antwort: Zwei Autobomben erschütterten Beirut, töteten vor der iranischen Botschaft 23 Menschen, darunter Teherans Kulturattaché.

„Ich lehne Terrorismus ab“, bekräftigt Rafei und bezieht auch die Attentate vom 11. September 2001 ein, für die er Osama bin Laden in der Verantwortung sieht. Seitdem sei im Westen der Haß auf Molems gestiegen.

Rafei wirkt bedrückt. Daß er Deutschlands geordnete Verhältnisse vermißt, sieht man ihm an. In Tripoli ist der salafistische Prediger wohlbekannt; die Sunniten sprechen meist mit Hochachtung von ihm, ganz anders die Schiiten in der Bekaa-Ebene, die keine hohe Meinung von ihm haben.

Sein Bruder, ein Ingenieur mit ebenfalls perfekten Deutschkenntnissen, stimmt zu – kritisiert jedoch, daß in Europa alles in Frage gestellt werde. „Die Leute interessieren sich nicht für Religion. Ich mußte immer Marias Jungfräulichkeit verteidigen. Es ist für uns so fremd, wie man sich mit der Unsicherheit arrangieren kann.“ Er sei vom westlichen Fortschritt tief beeindruckt gewesen. Doch der Anblick von Obdachlosen und Prostituierten am Bahnhof Zoo habe ihn sich wieder stärker in Richtung Islam orientieren lassen.

Wer die Bomben in Tripoli gelegt hat, die angeblich auch seinem Bruder galten, ist für ihn gewiß: „Das war der syrische Geheimdienst. Sie wollten von dem Giftgasangriff zwei Tage vorher ablenken und der Welt zeigen: Greift uns nicht an, sonst gibt es einen Flächenbrand.“ Doch Bruder Salem ruft ihn daraufhin zur Ordnung, nicht mehr über Politik zu sprechen.

 

Al-Nur-Moschee: Prediger und Rapper

Die Al-Nur-Moschee im Berliner Bezirk Neukölln gilt als einer der Treffpunkte von Salafisten (JF 21/12) in der deutschen Hauptstadt. Die dort stattfindenden „Islam-Seminare“ mit zum Teil mehreren hundert Teilnehmern dienen nach Angaben des Landesamtes für Verfassungsschutz der Vermittlung der salafistischen Ideologie.

Maßgeblich beteiligt am Aufbau der Moschee war der Libanese Salem al Rafei, der bis zu seiner Rückkehr in den Libanon 2004 zehn Jahre lang in Berlin gelebt hatte. Rafei, der an der Al-Nur-Moschee als Imam regelmäßig predigte, ist 2002 die Einbürgerung in Deutschland verweigert worden. Ihm wurden Kontakte zu einem der Attentäter des 11. September 2001 nachgesagt. 2005 hinderten ihn deutsche Behörden an der Einreise in Berlin. Wie ein Sprecher des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT bestätigte, ist die Al-Nur-Moschee Beobachtungsobjekt der Kölner Behörde. Inwieweit auch al Rafei beobachtet wird, sagte das BfV nicht. Medienberichten zufolge verteilt der ehemalige Neuköllner Imam Spendengelder seiner früheren Gemeinde, die auch für Waffenlieferungen an islamistische Kämpfer in Syrien verwendet werden.

Sorge bereitet dem Verfassungsschutz laut seinem Sprecher auch, daß junge aus Deutschland stammende Islamisten am Bürgerkrieg in Syrien teilnehmen und „mit Kampferfahrung und einer Ausbildung an Waffen“ wieder zurückkehren könnten. Einer von ihnen ist der Berliner Rapper Denis Cuspert (ehemals als „Deso Dogg“ bekannt). Auch der Rapper Bushido ist ein gerngesehener Gast in der Al-Nur-Moschee und fordert Moslems in einem Video zum Besuch auf.

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