© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/13 / 22. November 2013

„Fragen, wie ein Kind fragt“
Deutsche Einheit: Bundespräsident Joachim Gauck lud zu einer Podiumsdiskussion mit Repräsentanten der „Dritten Generation Ost“
Christian Dorn

Heute wissen alle, die es wissen wollen, wie die DDR-Diktatur funktioniert hat“. Das Diktum von Bundespräsident Joachim Gauck bildet im Schloß Bellevue den Auftakt der Podiumsdiskussion, die unter dem Titel „Zwischen zwei Staaten. Die Dritte Generation Ostdeutschland“ steht.

Das Phänomen der „dritten Generation“ ist nicht neu. Im Judentum ist es die Enkelgeneration der Holocaustüberlebenden, die ernsthaft die Auseinandersetzung mit der tabuisierten Familiengeschichte sucht. Dabei betrifft das Schweigen über die eigene Geschichte – das machte Gauck in seinem Begleitwort deutlich – alle Gruppen: Täter, die nicht über ihre Verbrechen sprechen, Mitläufer, die sich nicht ihrem Opportunismus stellen, und eben auch Opfer, die nicht noch mal ihrem erlittenen Schmerz, ihrer Entmündigung und ihrer Ohnmacht begegnen wollen.

Wenn Gauck betont, es gebe „auch helfende Fragen derer, die nichts erlitten haben“, so gilt dies wohl nicht zuletzt für die hier diskutierenden Vertreter der „Dritten Generation Ost“. Damit sind jene gemeint, die etwa zwischen 1975 und 1985 geboren wurden, ihre Kindheit und Jugend in der DDR verbracht und daher noch vor dem Erwachsenwerden zwei unterschiedliche politische Systeme erlebt haben. Dies betrifft über 2,4 Millionen Ostdeutsche.

Der Hausherr, der bei diesem Thema erstmals wieder authentisch wirkte, verwies auf den bedenkenswerten Umstand, daß das DDR-Bild der Schüler, die heute Abitur machen, deutlich positiver ausfällt als derjenigen, die noch die DDR erlebt haben. Um das Gespräch zwischen den Generationen zu befördern, so Gauck, sei es wichtig zu fragen, „wie ein Kind fragt“. Mit widersprüchlichem Pathos erklärte indes Anna Kaminsky, Geschäftsführerin der Bundesstiftung Aufarbeitung, daß es „die dritte Generation“ zwar sowenig gebe wie „die 68er“, aber daß diese dennoch – als „Ossi neuen Typs“ – eine „Avantgarde“ bildeten, und fügte an: „Ich freue mich auf ihren Marsch durch die Institutionen.“

Nach Auffassung von Johannes Staemmler (Jahrgang 1982) müßte dieser bei den Aufsichtsräten beginnen. Zwar scheute sich Staemmler, explizit einen „Quotenossi“ für die Führungsebenen großer Unternehmen zu fordern, doch die Sympathie für entsprechende Regelungen war unverkennbar. Auch behauptete der junge Mann, der gerade zum Thema Zivilgesellschaft promoviert, die Diktaturen von Nationalsozialismus und DDR seien „nicht vergleichbar“, da letztere nicht einfach unter „Unrechtsstaat“ subsumiert werden könne. Schon deshalb repräsentiere seine Generation nicht die „zweiten 68er“.

Der Soziologe Karl Ulrich Mayer, der die Wende-Generation erforscht, konnte sich für diese Sichtweise nicht begeistern und sah bei einigen Protagonisten dieses Projekts die Gefahr, „die Fortschritte der deutschen Einheit zu beschädigen“. Zudem gebe es viele erfolgreiche ostdeutsche Direktoren in wissenschaftlichen Institutionen. Gleichwohl wies er auf die bestehenden Unterschiede hin. So sei in der DDR die Schulbildung „viel besser als im Westen“ gewesen. Überdies habe sich die Mentaliät früher unterschieden: Während die Menschen in der DDR ein „heroisches Verhältnis zur Welt“ gehabt hätten, sei das der Westdeutschen als ein „ironisches Verhältnis zur Welt“ zu charakterisieren, das heute auch gesamtdeutsch obsiegt habe.

Das teils widersprüchliche Bild des 2010 gegründeten Projekts „Dritte Generation Ost“, das sich inzwischen als eine gesamtdeutsche Initiative versteht, ist noch immer nicht frei von DDR-Verklärung. Beispielhaft hierfür die Journalistin Sabine Rennefanz von der Berliner Zeitung, welche die Zuschreibung als „Stasi“ oder „Dissident“ für offenbar gleich schlimm hält und glaubt, als Ost-Frau Teil einer „doppelten Minderheit“ zu sein. Auch sie beklagte das Fehlen ostdeutscher Führungskräfte: „Welche Zeitung hat einen ostdeutschen Chefredakteur? Mir fällt keine ein.“ Bislang habe die Devise gelautet, „weiße westdeutsche Männer fördern weiße westdeutsche Männer“. Mit Blick auf die Zuwanderung aber freue sie sich auf die „tolle Vielfalt in unserem Land“.

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