© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/13 / 22. November 2013

„Dann mach doch die Bluse zu!“
Birgit Kelle ist ein Medien-Wunder: Die Hausfrau und Feminismus-Kritikerin eroberte „aus dem Nichts“ die Talkshows, dann katapultierte sie sich mit einem Online-Artikel zum „Social-Media-Phänomen des Jahres“, jetzt hat sie ein Buch geschrieben.
Moritz Schwarz

Frau Kelle, sind Sie eine Frauenfeindin?

Kelle: Im Gegenteil, ich kämpfe für die Interessen vieler Frauen und genau deshalb gegen die Feminismus-Industrie.

Klingt wie ein Widerspruch.

Kelle: Der Feminismus ist einmal angetreten, damit wir Frauen uns nicht mehr von den Männern vorschreiben lassen müssen, wie wir zu leben haben. Nun aber schreiben Frauen uns dies vor. Und sie erheben den Anspruch, für alle Frauen zu sprechen, während die Altfeministen in Wahrheit viele Frauen verachten, ja sogar bekämpfen. Zum Beispiel Frauen wie mich. Insofern: Ich bin Teil der Frauenbewegung, laufe aber in eine andere Richtung.

Ihre Thesen führen zu teils haßerfüllten Reaktionen. Nach Medienauftritten werden Sie in sozialen Netzwerken als „Schande“, „Scheiße“ und „Nazi“ beschimpft. Es wird aufgefordert, Sie zu schlagen und aus der Gesellschaft zu entfernen. Ein WDR-Redakteur schlug via Twitter sogar vor, Sie als „Hexe“ zu „verbrennen“.

Kelle: Früher hätte ich mir nicht träumen lassen, welches Ausmaß an Haß einem entgegenschlägt, wenn man Positionen gegen den Zeitgeist vertritt. Heute sehe ich das entspannt, weil ich erfahren habe, daß ich viel mehr Menschen an meiner Seite habe, als gegen mich.

2011 tauchten Sie zum ersten Mal bei „Maybrit Illner“ auf – und plötzlich waren Sie zu Gast in fast jeder Talkshow. Die „taz“ fragte sich irritiert, wie Sie das geschafft haben, als damals „Unbekannte, ohne Amt, ohne Buch oder sonst was“.

Kelle: Offenbar habe ich eine Marktlücke gefüllt. Ich stehe wohl für eine erhebliche Anzahl von Frauen – die aber sonst keine Stimme in den Medien haben.

2013 erschien Ihr Artikel „Dann mach doch die Bluse zu!“, der laut Branchendiensten zum „Social-Media-Phänomen des Jahres“, zum „Massenphänomen“, zum „Klickmonster“ wurde und „Web-Geschichte geschrieben hat“.

Kelle: Nun, offenbar habe ich damit einen Nerv getroffen. Das aufgeschrieben zu haben, was viele dachten, aber nicht laut auszusprechen wagten. Die überwältigende Leserresonanz auf den Artikel zeigt, daß er wohl ein Ventil geöffnet hat.

Er war eine Reaktion auf den Sexismus-Vorwurf einer „Stern“-Journalistin gegen FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle.

Kelle: Ja, der soll bekanntlich gegenüber der Dame zu später Stunde an der Bar geäußert haben, daß sie gut „ein Dirndl ausfüllen“ könne und ihr eine Tanzkarte angeboten haben. Darauf erhob sich eine aufgeregte „Sexismus“-Debatte, Tausende von Frauen klagten im Internet über unangenehme Begegnungen mit Männern, die Initiative „#aufschrei“ entstand. Folgte man den Medien, gibt es in Deutschland ein massives, flächendeckendes Sexismus-Problem – und das, obwohl wir überall Frauenbeauftrage haben. Und natürlich war klar, es ging nicht eigentlich um Politiker und Journalistinnen, sondern um „die Männer“ als Täter und „die Frauen“ als Opfer. So simpel ist die Welt aber nicht.

Halten Sie sexuelle Belästigung nicht für ein Problem?

Kelle: Doch, sogar für ein sehr ernstes. Ich habe vier Jahre als Kellnerin gejobbt und da selbst so einiges erlebt. Aber unzählige der nun geschilderten Fälle bewegten sich – ebenso wie die Brüderle-Episode – am Rande der Nichtigkeit und verdeckten dadurch sogar, was tatsächlich Gegenstand der Debatte hätte sein sollen. Nun wurde jeder falsche Blick zu Sexismus stilisiert, so daß die echten Fälle in einem Meer von Banalitäten untergingen. Dann kam die Sendung von Günther Jauch, die mir den Rest gab: Da saßen neben anderen eine fast triumphierende Alice Schwarzer, die es ja schon immer gewußt hatte, die sehr, sehr betroffene „#aufschrei“-Initiatorin Anne Wizorek und Thomas Osterkorn, Chefredakteur des Stern, der natürlich nur einen Mißstand aufdecken wollte – weswegen das Magazin die Brüderle-Episode ein Jahr lang nicht gedruckt hatte, um sie dann passend zu dessen Nominierung zum FDP-Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl zu publizieren. Dennoch, es hätten an diesem Abend viele interessante Fragen gestellt werden können: Etwa, warum blöde Witze über Männer lustig, blöde Witze über Frauen aber sexistisch sind. Warum halbnackte Frauen in der Werbung Sexobjekte sind, aber keiner was gegen Anzeigen mit David Beckham in Unterwäsche hat. Warum es Sexismus ist, Frauen als Schlampen zu bezeichnen, aber völlig legitim, sie als Heimchen am Herd zu titulieren. Oder, was wohl passiert wäre, wenn nicht Rainer Brüderle, sondern George Clooney der Dame vom Stern gegenübergesessen hätte?

Ihre Vermutung?

Kelle: Ich weiß es natürlich nicht, aber vielleicht wäre uns diese Debatte erspart geblieben, denn dann wäre es unter Umständen die Geschichte eines heißen Flirts geworden, und die Dame hätte bis an ihr Lebensende einen echten Clooney bei ihren Freundinnen zum besten geben können. Das führt zum Punkt meiner Kritik: Wo persönliche Befindlichkeit als ausreichender Gradmesser erscheint, um Sexismus zu definieren, verkommt der Begriff zur Beliebigkeit.

Das Brisante Ihres Artikels war, daß Sie die Täter-Opfer-Aufteilung in Frage stellen.

Kelle: Unheimlich viele Männer, die mir nach Lektüre meines Textes schrieben, waren gerade dafür dankbar. Denn wie viele Männer sich anständig verhalten, sich teilweise gar nichts mehr trauen und wie viele Frauen andererseits ihr Aussehen zu ihren Gunsten nutzen, all das wurde in der Debatte nicht erwähnt. Ich glaube, daß Sexismus keineswegs nur ein männliches Phänomen ist, aber diskutiert wird nur über den Sexismus der Männer. Dabei fordern auch Frauen nur allzu gern die Männer heraus, kokettieren mit ihrer Sexualität. Wir nehmen uns, was wir wollen und wen wir wollen. Aber natürlich nur, wenn wir wollen. Wir reklamieren für uns das Recht, daß nicht etwa gilt, was der Mann gemeint hat, sondern, wie es bei uns ankommt. Was aber ist, wenn die Männer sich mal auf den gleichen Standpunkt stellen? Und angeblich, so höre ich immer wieder von Frauen, putzen wir uns ja nur für uns selbst heraus, verbringen nur für uns selbst Stunden im Fitneßstudio, vor dem Spiegel, beim Friseur. Ich bitte jetzt alle Frauen, die Frage zu beantworten, wann sie sich zuletzt für einen gemütlichen Fernsehabend alleine zu Hause geschminkt, frisiert und in Schale geworfen haben? Keine Frage, die weibliche Anatomie taugt sehr gut als Waffe. Und wir Frauen setzen sie ein und gleichzeitig beschweren wir uns. Als ich den Artikel schrieb, zierte die US-Schauspielerin Megan Fox in Unterwäsche gerade den Titel des Esquire, gab aber gleichzeitig zum besten, sie wolle weg von ihrem Ruf als Sexbombe. „Dann mach doch die Bluse zu!“, hätte ich ihr spontan am liebsten zugerufen.

Nun wurde aus Ihrem Artikel ein Buch gleichen Titels.

Kelle: Die Idee zu einem Buch stand schon länger im Raum, und das jetzt an der Sexismus-Debatte aufzuhängen, bot sich geradezu an, weil diese gezeigt hatte, wieviel Gesprächsbedarf es gibt, wenn nicht immer nur die einschlägigen Dinge besprochen werden, sondern das Thema in seiner ganzen Breite. Also nicht nur die Sexismus-Frage, denn im Grunde orientiert sich an unserem Bild von der Rolle der Frau unsere ganze Frauen- und damit unsere Familien- und Gesellschaftspolitik, Stichworte: Kinderbetreuung, Gender oder Quote. Deshalb frage ich, wer definiert unser Frauenbild eigentlich? Und steht diese Definition in Übereinstimmung mit der Realität?

In Ihrem Buch bekennen Sie, Sie seien verheiratet, katholisch, vierfache Mutter, von Beruf Hausfrau – und fragen sich dann, wie Ihr Leben nur so mißlingen konnte.

Kelle: Ja, ich wußte lange gar nicht, in welchem Unglück ich lebe. Doch dann erfuhr ich von anderen Frauen, was für eine gescheiterte Existenz ich bin. Denn ich „glucke“ zu Hause über meinen Kindern, zwinge ihnen selbstgekochtes Essen auf und freue mich, wenn mein Mann von der Arbeit nach Hause kommt.

Sie sind ja tatsächlich ein schwerer Fall.

Kelle: Hoffnungslos und nicht therapierbar, würde ich sogar sagen! Ich gehörte einfach zu jener glücklichen Generation junger Frauen, die es als selbstverständlich empfand, die Freiheit zu haben, zu tun und zu lassen, was sie will. Mit 21 Jahren überstiegen vier Kinder in der Tat mein Vorstellungsvermögen, dann aber ist es einfach so gekommen, und heute blicke ich zurück auf 14 turbulente, unfaßbar schöne Jahre. Damals habe ich mich nicht mit Feminismus und der Frauenrolle befaßt. So wußte ich nicht, daß zur selbstverständlichen Freiheit nicht gehört, gerne Mutter zu sein.

Als die „Sarrazinin der Familiendebatte“ hat Sie eine Tageszeitung bezeichnet.

Kelle: Damit ist wohl gemeint, daß ich Dinge ausspreche, die andere nicht auszusprechen wagen, so zumindest deute ich diese Titulierung. Dazu gehört, daß Mutter und Hausfrau zu sein eine Frauenrolle ist, die in Deutschland permanent beleidigt werden darf. Als Hausfrau gilt man vielen tonangebenden Multiplikatoren als unemanzipiert, faul, zurückgeblieben, ja als eine Art Prostituierte mit Festanstellung, die sich von ihrem Mann aushalten läßt. Ich habe als junge Frau im Beruf nie Diskriminierung durch Männer erfahren, im Gegenteil, ich bin von Männern gefördert worden, ohne daß diese dafür Ansprüche gestellt haben. Erst als Mutter wurde ich mit Diskriminierung konfrontiert – aber diese kam von Frauen. Ich habe mich dann intensiv mit dem Feminismus beschäftigt und festgestellt, daß er in Wirklichkeit nie darauf aus war, uns Freiheit zu bringen, sondern nur darauf, uns eine neue Rolle zu geben. Heute dominieren in den Medien wie in der Politik Frauen, die keine Kinder haben oder diese aus Karrieregründen in Fremdbetreuung geben. Dieses Frauenbild wird als modern und fortschrittlich hingestellt. Die „Generation von der Leyen“ gibt nannyhaft den Ton an. Hätten wir eine andere Stimmung in unserer Gesellschaft, würden auch viel mehr Frauen zu Hause bleiben, und es würden auch mehr Kinder geboren. Einfach, weil viele Frauen das wollen, ganz freiwillig. Laut Erhebungen bekommen deutsche Frauen im Schnitt ein Kind weniger, als sie sich wünschen.

In Ihrem Buch gehen Sie außerdem mit der „Homo-Ehe“, Gender Mainstreaming, der Quote oder der Abtreibung ins Gericht. Aus feministischer Sicht liest es sich geradezu wie ein „konterrevolutionäres“ Manifest.

Kelle: So war es nie gedacht, aber vielleicht ist es das geworden. Wenn man unvoreingenommen über all die angeblichen Errungenschaften der vergangenen Jahrzehnte nachdenkt, merkt man eben, daß sie uns keineswegs nur befreit haben, sondern wie sehr sie uns auch einengen und wieviel sie kaputtgemacht haben oder im Begriff sind zu zerstören.

Dennoch hat ausgerechnet die „taz“ Ihr Buch als „klug“ und „längst überfällig“ gelobt und bescheinigt, es sei dazu geeignet, „die Debatte zu beleben“.

Kelle: Das hat mich auch gewundert. Aber ich meine, so viel Fairneß, sich meinen Argumenten unideologisch zu nähern, spricht für die taz.

Sie und Ihr Buch erinnern an Eva Herman und deren Buch „Das Eva-Prinzip“.

Kelle: Eva Herman hat einen ganz anderen Lebenslauf als ich, deshalb kann man das nicht ohne weiteres vergleichen. Aber natürlich hat sie in vielen Dingen, die sie geschrieben hat, recht.

Wurden Sie von Eva Herman beeinflußt?

Kelle: Nein, aber bestätigt, da ich schon damals an diesen Themen dran war.

Eva Herman gilt heute – trotz gegenteiliger Gerichtsurteile – vielen als Sympathisantin der NS-Familienpolitik.

Kelle: Ich halte das für das Ergebnis einer üblen Hetzkampagne. Inhaltlich ist es – wie Sie schon angedeutet haben – durch nichts zu belegen. Aber es ist gelungen, sie mundtot zu machen und gesellschaftlich zu ächten.

Fürchten Sie nicht das gleiche Schicksal?

Kelle: Nein. Focus, Welt, FAZ und viele andere haben mich zum Gespräch über mein Buch gebeten. Ich habe eher das Gefühl, eine überfällige Debatte anzustoßen. Natürlich gibt es genug Leute, die mit mir nur zu gerne ebenso wie mit Eva Herman verfahren würden. Sie kam aus diesem „modernen“ Frauen-Milieu, hat sich verändert und galt plötzlich als eine Verräterin, die dafür besonders gehaßt wurde. An dieser Gnadenlosigkeit sieht man, daß es bei Feminismus eben nicht um Freiheit, sondern um Ideologie geht. Ich war dagegen schon immer auf diesem Weg, vielleicht ist das der Unterschied. Und ich bleibe, wie ich bin.

 

Birgit Kelle, „Rhetorisch brillant“ nennt sie die FAZ; als eine Frau, „die sich traut, gegen den Strom zu schwimmen“, beschreibt sie der Spiegel. Kelle, hauptberuflich Hausfrau und Mutter von vier Kindern, studierte ursprünglich Jura, absolvierte dann ein Volontariat und ist heute nebenberuflich Publizistin und ehrenamtliche Verbandsvertreterin. Zeitweilig war sie Dauergast in deutschen Talkshows: Illner, Beckmann, Lanz, Will, Plasberg, Deutschlandfunk, alle wollten Birgit Kelle – Welt und Focus luden sie zu Gastbeiträgen. Zuletzt veröffentlichte die FAZ am Sonntag ein ganzseitiges Interview mit ihr. 2012 trat sie als Sachverständige in der Betreuungsgeld-Debatte vor dem Familienausschuß des Bundestags auf. Seit 2011 schreibt Kelle auch regelmäßig für die JUNGE FREIHEIT, zudem als Kolumnistin für The European und Freie Welt. Sie steht dem Verein Frau 2000plus vor und ist Vorstandsmitglied des EU-Dachverbands New Women for Europe. Geboren wurde sie 1975 in Siebenbürgen, 1984 siedelte die Familie nach Deutschland aus.

www.birgit-kelle.de

Foto: Birgit Kelle 2012 in der Talkshow „Tacheles“: „Offensichtlich habe ich eine Marktlücke gefüllt. Ich stehe wohl für eine erhebliche Anzahl von Frauen – die aber sonst keine Stimme in den Medien haben.“

 

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