© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/13 / 15. November 2013

Umwelt
Atomare Vertreibung
Volker Kempf

Der Beginn der Kernschmelze in Fukushima ist 32 Monate her, Berichte über die Folgen erscheinen unter Vermischtem. In Japan geht es indes darum, die Gebiete zu benennen, die menschenleer bleiben müssen. Das erklärte kürzlich der Generalsekretär der Regierungspartei LDP, Shigeru Ishiba, im Massenblatt Asahi Shimbun. Die Hoffnungen von 150.000 Atomvertriebenen, wieder zurück in ihre Heimat zu können, werden damit vereitelt. Dieser Schritt war überfällig, ein neuerliches Beben der Stärke 7,1 nur der Anlaß. Die Risiken der radioaktiven Verseuchung noch länger herunterzuspielen, gelingt nicht mehr. Die Strahlenfolgen treten in Form von Krebs oder Mißbildungen bei Babys allerdings erst nach Jahren oder Jahrzehnten auf. Die meisten Leukämiefälle bei Hiroshima-Überlebenden wurden beispielsweise erst 1951, sechs Jahre nach dem US-Atombombenabwurf verzeichnet.

In der Region um Fukushima muß Schaden durch weitere Kontaminierung der Menschen abgewendet werden. Dabei hatten die Japaner noch Glück im Unglück, denn der Hauptteil der radioaktiven Partikel geriet 2011 auf offene See. Andernfalls wären weite Teile des dicht besiedelten Landes unbewohnbar geworden. Es war fatal, nach Harrisburg (1979) und Tschernobyl (1986) nur die Sicherheitstechnik zu verbessern, statt auf Alternativen zu setzen. Die Rede von der Brückentechnologie war nur ein Vorwand, um die Atomtechnologie weiter zu verbreiten. Es sind paradoxerweise Länder mit hoher Erdbebengefahr wie China, Taiwan oder die Türkei, welche weiter auf den AKW-Neubau setzen. Hybris im Atomzeitalter ist es, wenn aus Katastrophen nichts gelernt wird. Das Kurzzeitdenken des Menschen und die Langzeitwirkung der Strahlung passen offenbar nicht zusammen, sondern verdichten sich zu einem Handeln nach der Devise „Nach uns die Kernschmelze“ (Robert Spaemann).

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