© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/13 / 15. November 2013

Wie ein britischer Gentleman, verschlossen und schweigsam
Münchner Bilderfund: Wem gehören die Bilder? / Verborgene Werte und ein guter Name – Cornelius Gurlitt stammt aus einer angesehenen Familie / Spekulationen über NS-Raubkunst schießen ins Kraut
Sebastian Hennig

Eine Online-Kolumne dieser Zeitung titelte unlängst mit dem eindrucksvollen Bild eines „Fafner in Schwabing“. In seiner Zusammenfassung von Richard Wagners Tetralogie „Ring des Nibelungen“ hat Loriot die Rheintöchter zu „unbekleideten passionierten Schwimmerinnen“ und die Riesen Fasolt und Fafner auf bärbeißige Bauunternehmer heruntergekürzt. Selbst solch spielerische Verschiebung ins Banale gründet noch auf Liebe zum Gegenstand.

Ganz bösartig dagegen zielen die Meldungen zum Münchner Bilderfund auf ihr Opfer. Dabei hätte der Name Cornelius Gurlitt, in dessen Wohnung in Schwabing die etwa 1.400 Kunstwerke im Zuge einer Zollfahndung entdeckt wurden, aufhorchen lassen müssen. Der gleichnamige Großvater dieses geheimnisvollen Bilder-Krösus begründete die Denkmalpflege in Sachsen. So gibt es seit 1946 in Dresden eine Cornelius-Gurlitt-Straße. Vielleicht wäre es schon nach seinem Tode 1938 zu dieser Ehrung gekommen, wenn es der Irrsinn der nationalsozialistischen Rassenpolitik nicht verhindert hätte. Daß sein Vater, der Landschaftsmaler Heinrich Louis (Ludwig) Gurlitt (1812–1897), vormals die Schwester der jüdischen Schriftstellerin Fanny Lewald geheiratet hatte, bot nicht den einzigen Anlaß zur Diskriminierung.

Hildebrand Gurlitt, Sohn des älteren Cornelius und Vater des jüngeren, begann 1925 am König-Albert-Museum in Zwickau die städtische Kunstsammlung aufzubauen. 1930 wurde er vom nationalsozialistischen „Kampfbund für deutsche Kultur“ aus der Stellung gedrängt und wechselte zum Hamburger Kunstverein, wo ihm 1933 ein Gleiches widerfuhr. Später bediente man sich seiner Kenntnisse zur Verwertung jener Kunstwerke, welche die Nationalsozialisten aus dem öffentlichen Besitz veräußerten.

So wurde Hildebrand Gurlitt indirekt mit der Abwicklung des eigenen Lebenwerks beschäftigt. Er wurde zudem zweimal total ausgebombt, hatte keine Publikationsmöglichkeit und die Pensionsansprüche waren verwirkt. Nicht anders erging es dem Bruder Willibald. An der Universität Freiburg hatte dieser das musikwissenschaftliche Seminar und ein Collegium Musicum für historische Aufführungspraxis begründet. Dann wurde er von seinem Lehrstuhl vertrieben.

Die Schwester Cornelia war Malerin und nahm sich 1919 das Leben. Die zeitgenössische Publizistik bezeichnete sie als „vielleicht genialste Begabung der jüngeren expressionistischen Generation“. Im Weltkrieg war sie Lazarettschwester im Osten und gestaltete Landschaft und Menschen jener Gegend in Arbeiten, die zuweilen an Werke Chagalls erinnern.

Für einen melancholischen Maler wurde auch Cornelius Gurlitt von seinen Nachbarn im feinen Salzburg-Aigen gehalten: „Wir sind halt davon ausgegangen, daß sich der Mann in der Dresdner Bombennacht einen Dachschaden geholt hat.“ In feinen Zwirn gekleidet, elegant wie ein britischer Gentleman, war er mit einem schwarzen VW-Käfer unterwegs, verschlossen und schweigsam. Aus einer Gesellschaft, die auf Komfort gerichtet ist, ohne ein Gefühl für Luxus zu besitzen, fiel diese Erscheinung heraus. Sie bot eine Entsprechung zu dem, was an den Gemälden so schätzenswert erscheint: verdichtete Eigenart und anmutige Ausdruckssteigerung. Wer also, wenn nicht er, war dazu disponiert, unmittelbar Genuß aus dem Besitz zu ziehen. Unwahrscheinlich, daß er wie Fafner unfroh auf Unfruchtbarem hockte.

Nach der Beschlagnahmung noch hat Gurlitt die Gouachemalerei „Löwenbändiger“ von Max Beckmann über das renommierte Auktionshaus Lempertz veräußert. Die möglicherweise anspruchsberechtigten Erben des jüdischen Kunsthändlers Alfred Flechtheim (1878–1937) wurden angemessen am Erlös beteiligt. Bei Lempertz erinnert man sich an die gepflegte und seriöse Erscheinung des Einlieferers. Der Justitiar des Auktionshauses berichtet: „Das wirkte, als habe Herr Gurlitt als alter Mann sein Kronjuwel geholt, um für die letzten Jahre noch flüssiges Kapital zu haben.“ Jede auf weitere Bilder zielende Nachfrage habe er abgewiesen.

Es besteht ein Unterschied zwischen Raubkunst, die Privatpersonen in einer existentiellen Notlage abgepreßt wurde, und Bildern aus öffentlichem Besitz, deren sich die damalige Administration, vielleicht ungerechtfertigt, aber völlig rechtmäßig entäußerte. Dazu bemerkte der Kunsthistoriker Uwe Hartmann: „In vielen Fällen handelt es sich nicht um NS-Raubkunst. Es muß davon ausgegangen werden, daß Herr Gurlitt rechtmäßig über diesen Besitz verfügt.“ Hartmann kennt sich mit der Materie aus. Er leitet die Arbeitsstelle für Provenienzrecherche und Provenienzforschung des Instituts für Museumsforschung der Staatlichen Museen zu Berlin.

Was die fiskalische Willkür aus der Wohnung „weggefunden“ hat, wird also wieder zurückerstattet werden müssen. Doch wo die Ruhe derart gestört wurde, gibt es kein Zurück. In den Elaboraten, welche deutsche Journalisten aus der britischen und französischen Regenbogenpresse abschreiben, ist vom „mysteriösen Bunker des Nazischatzsammlers“ und einem „Kunsthändler-Clan“ zu lesen. Fotografen lauerten dem geheimnisvollen Mann auf. Inzwischen wird ihm auch ein Wissen über den Verbleib des Bernsteinzimmers angedichtet. Zuletzt hat sich sein verwitweter Schwager bei der Polizei gemeldet, da er fürchtet, eigenen Kunstbesitz fortan nicht mehr gefahrlos genießen zu können.

Erst mit diesem Spektakel wurde den Bildern ihr Kunstwert geraubt. Sie sind nun, wie die anderen ihrer Art, zu Ikonen der Moderne geworden und damit zu notierten Aktien an der Kunstbörse. In einer Zeitung stand über den Fotoporträts der Künstler zu lesen: „Ihre Werke wurden gerettet.“ Gerettet wurden sie unzweifelhaft, aber vermutlich von den Gurlitts. Und wenn es sich um Raubkunst handelt, dann wurde sie dazu erst wieder durch einen neuerlichen unberechtigten Zugriff der Staatsmacht.

Jüngste Forschungen haben erwiesen, daß die Aussonderung dieser Kunst aus den Museen ihre Exklusivität steigerte und den privaten Handel damit entsprechend befeuerte. Mit den Sammlungen von Josef Haubrich, Bernhard Sprengel, Hermann Reemtsma und Wolfgang Gurlitt, einem Onkel von Cornelius Gurlitt, präformierten sich bereits während der NS-Zeit die Bestände der wichtigen Museen der klassischen Moderne in Köln, Hannover, Hamburg und Linz.

Flucht und Auflösung von Kunstsammlungen in politisch bedingten Notlagen gab es schon vor 1933. In Dresden lebten der russische Zuckerfabrikant Adolf Rothermundt und sein Schwager Oscar Schmitz mit den besten Werken des französischen Impressionismus. Ab 1919 mußte Rothermundt Bild für Bild verkaufen, weil die Bolschewisten seinen Besitz enteignet hatten. Schmitz floh 1932 vor „steuerlichen Schikanen“ mit der „feinsten Privatsammlung moderner französischer Malerei Europas“ in die Schweiz. Nur zwei Mäntel taugen dauerhaft zum Schutz vor Enteignung, der fadenscheinigere einer Stiftung bürgerlichen Rechts oder aber das dichte Gewebe strengster Verschwiegenheit. Cornelius Gurlitt hat sich über Jahrzehnte mit letzterem bedeckt gehalten.

Foto: Hans Christoph (1901–1992), „Paar“, Aquarell, 1924: Das Bild ist eines von 25 Werken aus dem spektakulären Münchner Kunstfund, die seit Montag dieser Woche in der Lostart-Datenbank im Internet aufgelistet und einsehbar sind (www.lostart.de)

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