© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/13 / 15. November 2013

Mit Kanonen auf Spatzen geschossen
Staatliche Wirtschaftsförderung: Die neue Energiesparverordnung zwingt Immobilienbesitzer, intakte Heizkessel auszutauschen
Markus Brandstetter

Früher hat der Staat Umweltmaßnahmen gefördert und Bürger, die besonders umweltfreundliche Technik als erste einsetzten, dafür belohnt. Als vor genau dreißig Jahren das bleifreie Benzin an deutsche Tankstellen kam, wurde der Preisunterschied zum verbleiten Benzin per Steuersenkung ausgeglichen – Ziel war es, die Autofahrer durch Vergünstigung zum Tanken eines neuen Kraftstoffes zu bewegen, der die Abgase entgiften und sogar das Waldsterben beenden sollte.

Die Wälder wurden zwar vor allem durch die Rauchgasentschweflung von Kohlekraftwerken gerettet, aber das bleifreie Benzin trat seinen Siegeszug an, der Voraussetzung für den Einsatz von Katalysatoren war. Auch als 1989 zunächst der ungeregelte und 1993 der geregelte Drei-Wege-Kat zur Pflicht bei neuen Benzinern wurde, konnten Autobesitzer, die frühzeitig Fahrzeuge mit Kat kauften oder nachrüsteten, Steuervergünstigungen erhalten. „Stinkern“ wurde eine fünfjährige Übergangsfrist eingeräumt. Wer aber weiter mit einem alten Auto fuhr, das keinen Katalysator hatte, wurde deswegen nicht bestraft.

Psychologen und Betriebswirtschaftler, die sich mit dem Verhalten von Konsumenten beschäftigen, wissen seit Jahrzehnten, daß nicht Strafen Menschen zu einer Änderung ihres Verhaltens bewegen, sondern Belohnungen und positive Anreize. Nur die Bundesregierung weiß das nicht oder kümmert sich ganz einfach nicht darum. Der Gesetzgeber arbeitet nämlich seit Jahren schon immer seltener mit dem Zuckerbrot und immer öfter mit der Peitsche, insbesondere dann, wenn es um unser aller höchstes Gut geht, die Umwelt. Hier scheint nunmehr alles erlaubt zu sein, solange es nur vorgeblich dem Umweltschutz und der Bekämpfung des Klimawandels dient.

Ein gutes Beispiel für diese Geisteshaltung ist die Novellierung der Energieeinsparverordnung (EnEV), die das Kabinett am 16. Oktober beschlossen hat. Schon in den alten EnEV aus den Jahren 2002 bis 2009, die sich mit Neubauten und Sanierungen beschäftigten, war festgelegt worden, daß Heizkessel, die vor dem Jahr 1978 eingebaut worden waren, gegen neue ausgetauscht werden müssen – auch wenn sie noch gut in Schuß waren. Laut der nun beschlossenen Novellierung müssen jetzt auch Kessel, die bis einschließlich 1985 eingebaut wurden und damit älter als 30 Jahre sind, herausgerissen und durch neue ersetzt werden. Nicht betroffen von der Neuregelung sind Brennwertkessel und Niedertemperaturheizkessel, die einen besonders hohen Wirkungsgrad haben.

Der eigentliche Stein des Anstoßes sind die sogenannten Konstanttemperatur-Heizkessel. Das sind Anlagen, die bis Anfang der 1980er Jahre in Deutschland Standard waren. Ein Konstanttemperatur-Kessel, den man auch „Standardkessel“ nennt, kann konstruktionsbedingt nur mit hohen Temperaturen (in der Regel über 70 Grad Celsius) betrieben werden, weil es bei niedrigeren Temperaturen zur Korrosion des Kessels durch Wasserdampfkondensation käme. Das Hauptproblem des Standardkessels liegt nun darin, daß er rund um die Uhr mit gleichbleibend hoher Temperatur betrieben werden muß – ganz egal, wie kalt es draußen ist und wieviel Leistung die Heizanlage bringen muß. Dadurch geht fast die Hälfte der vom Kessel erzeugten Wärme durch Abstrahlung – weshalb Heizungskeller mit solchen Kesseln immer so warm sind – und das dauernde Aufrechthalten der Betriebstemperatur verloren.

Nach Schätzungen des Bundesbauministeriums sind in Deutschland noch 500.000 Standardkessel in Betrieb – eine verschwindend geringe Anzahl, wenn man bedenkt, daß im ganzen Land 24 Millionen Heizkessel ihren Dienst tun. Viele energiebewußte Hausbesitzer und Vermieter tauschen die Anlagen ganz von selbst aus, beträgt doch die Lebensdauer eines deutschen Heizkessels im Schnitt nur 24 Jahre. Das räumt auch das Bundesbauministerium ein. Dennoch mußte wegen dieser Auslaufmodelle – und dem Dauerargument Klimaschutz – nun eine Gesetzesnovellierung auf den Weg gebracht werden, die Vernunft durch Strafandrohung zu erzwingen sucht.

Allerdings gibt es kein Gesetz ohne Ausnahmen, und auch hier ist das selbstverständlich so. In der Praxis gilt die seit der EnEV 2002 bestehende Regelung nach wie vor, daß die Besitzer von Ein- und Zweifamilienhäusern, die am 1. Februar 2002 mindestens eine Wohnung in ihren Standardkessel-Häusern selbst bewohnt haben, ihren alten Kessel nicht ersetzen müssen, weshalb selbsternannte Umweltverbände und Lobbyisten für erneuerbare Energien die Novellierung als „völlig wirkungslos“ bezeichnen. Ginge es nach Leuten wie Hermann Falk, dem Geschäftsführer des Bundesverbandes Erneuerbare Energie (BEE), der gerne und laut sagt, daß 80 Prozent aller Deutschen mit veralteter Technik heizen, dann würden die elf Millionen Besitzer von Niedrigtemperaturheizungen ebenfalls per Gesetz zum Austausch ihrer Kessel gezwungen werden. Der BEE, eine Lobbygruppe für Wind- und Solarenergie, fordert seit Jahren, daß Heizkessel für Öl oder Gas per Gesetzesverordnung nach spätestens 30 Jahren ausgetauscht werden müssen. Laut BEE gelten Heizungen schon nach 15 bis 20 Jahren in der Regel als nicht mehr auf dem Stand der Technik, weshalb sie dann turnusmäßig ausgetauscht werden sollten.

Ein solcher Austausch kann freilich teuer werden. Beispielsrechnungen ergeben, daß der Einbau einer neuen Heizungsanlage bei einem Einfamilienhaus 12.000 Euro und bei einem Mehrfamilienhaus 15.000 Euro kostet. Und mit diesen Beträgen hat man noch lange nicht den Mercedes unter den Heizkesseln im Keller stehen, sondern gerade einmal eine funktionelle Standardanlage ohne viel Schnickschnack. Will ein Hausbesitzer eine richtig gute Heizungsanlage, dann summieren sich Technik, Material und Einbau bei einem Einfamilienhaus schnell auf 20.000 Euro, und bei einem Mehrfamilienhaus ist man mit 25.000 Euro dabei. Hat der Hausbesitzer Pech, dann müssen Kamin, Wasserboiler, Umwälzpumpen und Rohrleitungen gleich mit saniert werden, was die Investition verdoppelt.

Und wieviel Energiekosten spart man tatsächlich pro Jahr, wenn man seinen Standardkessel gegen einen modernen Brennwertkessel austauscht? Bis zu 30 Prozent im Jahr, sagen die Heizkesselhersteller. Bei einer jährlichen Öl- oder Gasrechnung über 3.000 Euro wären das also 1.000 Euro im Jahr, wenn alles optimal läuft. Dann würde sich die Standardanlage im Einfamilienhaus in zwölf Jahren amortisieren, bei High-Tech-Anlagen kann das auch 20 Jahre dauern, also so lange, bis der neue Heizkessel schon wieder am Ende ist.

Das ist daher alles wie beim Streichen der Golden-Gate-Bridge in San Francisco: Haben die Maler das eine Ende der Brücke erreicht, dann können sie am anderen gleich wieder von vorne anfangen. Es mag nachvollziehbar sein, daß Umweltlobbyisten, Heizungshersteller und Handwerker hier aus Eigennutz einen Schulterschluß versuchen, sinnvoll ist es nicht – weder für den individuellen Hausbesitzer noch für die Umwelt.

Novelle der Energieeinsparverordnung (EnEV): www.enev-2014.info

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