© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/13 / 15. November 2013

Die Stimmung kocht über
Bulgarien: Der Zustrom illegaler Migranten verunsichert die Bevölkerung / Politiker warnen vor Xenophobie
Carl Gustav Ströhm

Das Dorf Telisch liegt nur ein paar Kilometer nördlich von Sofia. Im Grunde genommen ist dies kein außergewöhnlicher Ort. Man lebt hier tagein, tagaus für den Weinbau.

Doch seit ein paar Tagen wird in Telisch demonstriert. Die Dorfbewohner haben Angst. Angst, daß es ihnen so ergeht wie den Dörfern im Süden Bulgariens. Denn geplant ist die Eröffnung eines Aufnahmelagers für Asylanten. Eine alte Kaserne, ein starrer Zeitzeuge des Kalten Krieges, soll für 700 Asylanten als Unterkunft dienen.

Mit weiß-grün-roten Fahnen bewegt man sich vom Dorfplatz in Richtung der Straße, die nach Sofia führt. Man will hier nicht nur den Verkehr blockieren, um auf die schier aussichtslose Situation aufmerksam zu machen. Einfache Dorfbewohner, die sich bis dato nicht unbedingt für Politik interessierten, haben sich entschlossen, die Nacht an den Barrikaden zu verbringen.

In der Früh kreuzt das bulgarische Staatsfernsehen auf und interviewt einen nicht ganz ausgeschlafenen Dorfbewohner. „Es ist ein wenig kalt, und ich habe auch ein wenig Angst“, sagt er. „Doch die Regierung glaubt, wir in Telisch sind alles Idioten. Sie versprechen uns durch das Lager Arbeitsplätze und Beschäftigung; wir aber wissen, was Sache ist und daß sich unser Dorf in größter Gefahr befindet! Deshalb harre ich hier aus.“

Der alte Mann ist gewarnt, denn die Zustände rund um diese ominösen Auffanglager sind in Bulgarien schlichtweg katastrophal. Neben sich ausbreitenden Krankheiten, wie zum Beispiel der Kinderlähmung, herrscht dort unter anderem akuter Platzmangel, so daß die Behörden sich gezwungen sehen, Asylanten mit provisorischen Passierscheinen aus diesen Lagern zu entlassen.

Diese machen sich dann mit falschen Adressen, für die sie einige hundert Euro zahlten, damit man die Behörden zufriedenstellt, auf in Richtung Hauptstadt, wo sie sich in provisorischen Quartieren für die Weiterreise nach Serbien und dann nach Ungarn, über die Schengengrenze, vorbereiten.

Doch auch in Sofia ist die Stimmung angespannt. Die Messerattacke eines Arabers auf eine junge Verkäuferin ließ dem Unmut über die Situation freien Lauf. Tausende folgten den Aufrufen der nationalen Oppositionspartei Ataka und der Bulgarischen Partei VMRO demonstrierten unter den Rufen „Bulgarien den Bulgaren, Flüchtlinge raus“ gegen die illegalen Einwanderer. Deren stellvertretender Parteichef, Angel Dschambaski, forderte während der Kundgebung, daß man die Grenzen Bulgariens endgültig schließen solle. Falls dies nicht geschehe und keine Ruhe im Land einkehre, würde man „Bürgerwehren organisieren, um solche Vorfälle wie die an der Pirotska Ulica für immer zu vermeiden“.

Angesichts von über 10.000 illegalen Zuwanderen in diesem Jahr, die aus Syrien, anderen Ländern des Nahen Ostens sowie aus Afrika kommen, sieht sich die Regierung unter Zugzwang. Die bulgarische Armee hat bereits begonnen, einen Grenzzaun, an der bulgarisch-türkischen Grenze zu errichten, die den uneingeschränkten Zustrom von Asylanten aus der Türkei in das Land verhindern soll.

Es ist eine schiere Verzweiflungstat, welche unter anderem zeigt, wie überfordert das Land auf die derzeitige Asylproblematik reagiert. Der bulgarische Verteidigungsminister Angel Najdenov versicherte gegenüber den Medien, daß die sechs Millionen Euro teure Anlage im Januar 2014 fertig sein werde. Parallel dazu hofft Ministerpräsident Plamen Orescharski auf finanzielle Unterstützung durch die Europäische Union. Doch die von der EU-Kommission versprochene Bereitstellung von rund sechs Millionen Euro bis Jahresende verzögert sich von Woche zu Woche. Wasser auf Mühlen der Opposition.

Vor dem Hintergrund der aufgeheizten Stimmung warnten Premier Orescharski sowie Staatspräsident Rossen Plewneliew in einer gemeinsamen Erklärung vor der Instrumentalisierung und Politisierung der Flüchtlingsfrage. „Xenophobie und Pseudo-Nationalismus“ würden vor allem der Reputation Bulgariens in der EU „ernsthaften Schaden zufügen“.

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