© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/13 / 15. November 2013

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Hyperventilierende Medien
Paul Rosen

Journalisten in Deutschland genießen ein Privileg, das in anderen Ländern keineswegs selbstverständlich ist: Sie dürfen mit einer recht einfach zu erhaltenden Jahresakkreditierung von Presseamt und Bundestag die Berliner Bundestagsgebäude betreten. Da öffentliche Einrichtungen angesichts terroristischer Bedrohungen stärker gesichert werden, geht es an den Eingängen des Bundestages inzwischen zu wie bei Einlaßkontrollen auf Flughäfen: Es wird durchleuchtet, gescannt und abgetastet.

Und in jüngster Zeit gab es viel zu berichten: Die Veröffentlichungen des ehemaligen NSA-Mitarbeiters Edward Snowden führten zu regelmäßigen Sitzungen etwa des Parlamentarischen Kontrollgremiums. Das sind die Abgeordneten des Bundestages, die die Geheimdienste kontrollieren sollen und so geheim tagen, daß nicht einmal der Sitzungssaal bekanntgegeben wird. Trotzdem stehen vor dem Saal im Keller des Jakob-Kaiser-Hauses, an dem sich kein Hinweisschild befindet, regelmäßig große Gruppen von Journalisten. Und in diesem Gremium halten sich sogar kleine Reste der FDP-Fraktion. Da der neue Bundestag noch kein neues Gremium bestimmt hat, tagt die Kontrollkommission in alter Besetzung – und damit mit FDP-Vertretern, auch wenn diese keine Abgeordneten mehr sind.

Fernsehteams und Journalisten ziehen wie eine Meute durch die Hauptstadt. Tagt die Koalition im Konrad-Adenauer-Haus, werden dort die bis zu 20 Kameras aufgebaut. Bei der nächsten Sitzung geht es weiter ins Willy-Brandt-Haus, dann in die Bayerische Landesvertretung.

Wer sich das aus der Nähe anschaut, spürt eine seltsame Aufgeregtheit. Schon mehrere Stunden vor Beginn einer Sitzung gibt es Live-Schaltungen von den Senderzentralen in den Reichstag oder eine Parteizentrale, wo ein Journalist dann den Zuschauern oder Zuhörern erklären soll, was gerade stattfindet oder bevorsteht. Dabei ist weder etwas passiert, noch können die Wartenden einschätzen, was genau passieren wird. Das wissen die am Verhandlungstisch sitzenden Politiker vermutlich selbst nicht.

Aber Warten-können und Geduld gehören nicht mehr zu den Grundeigenschaften heutiger Medienschaffender. Der ehemalige Zeitungschefredakteur Wolfgang Bok hat die heutige Journalistengeneration als „Generation Greenpeace“ bezeichnet: „Sie ist mit der ständigen Apokalypse aufgewachsen. Der grüne Alarmismus ist ihnen in Fleisch und Blut übergegangen“, analysiert Bok, der den Journalisten von heute eine „eingeschränkte Wahrnehmung“ attestiert.

So wächst nach einem Sturm auf den Philippinen in Berlin der mediale Druck auf in den Koalitionsverhandlungen sitzende Politiker, mehr für den Klimaschutz zu tun. Aufgrund des selbst aufgebauten Drucks beginnt der Medienbetrieb regelrecht zu hyperventilieren, schafft es aber dennoch problemlos, vom Klimawandel innerhalb von Stunden auf vergiftetes Essen umzuschalten. „So hecheln die Dauerbesorgten im medialen Geleitzug von Skandal zu Skandal“, spottet Bok.

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