© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/13 / 15. November 2013

„Der gute Diktator“
Seit über dreißig Jahren tagt, wie derzeit in Warschau, alljährlich der Weltklimagipfel – ohne Erfolg. Der Zukunftsforscher Jørgen Randers, Mitglied des Club of Rome, schlägt deshalb in der Klimapolitik die Abschaffung der Demokratie und die Errichtung einer Klimadiktatur vor
Moritz Schwarz

Herr Professor Randers, hierzulande haben wir zwei Diktaturen erlebt. Verstehen Sie, daß wir Ihrem Vorschlag einer Klimadiktatur skeptisch gegenüberstehen?

Randers: Ja natürlich, und deshalb möchte ich auch gleich erklären, was ich meine: Ich spreche von einer supranationalen Einrichtung, die die Politik der Nationalstaaten auf bestimmten Feldern, etwa beim Thema Klima, für bestimmte Zeit überwacht.

Was haben Sie gegen die Politik der Nationalstaaten?

Randers: Ihre Politik ist erfahrungsgemäß kurzfristig orientiert, und zwar weil es dort ständig Wahlen gibt.

Na klar, das nennt man Demokratie.

Randers: Und das ist auch gut so, aber so unterliegen Politiker stetem Druck, kurzfristig Erfolge vorweisen zu müssen. Langfristige Maßnahmen sind daher für sie weniger interessant. Die Klimafrage aber erfordert eine langfristige Perspektive, denn üblicherweise liegen die Vorteile von Maßnahmen zum Klimaschutz in der Zukunft und die Kosten in der Gegenwart. Die von mir vorgeschlagene supranationale Institution sollte von kurzfristigen Zwängen unbehelligt handeln können.

Sie meinen, „unbehelligt“ von demokratischer Kontrolle?

Randers: Lassen Sie mich ein Beispiel geben: Wenn man etwa die Emission von Treibhausgasen in der Zukunft durch neue alternative Technologien vermindern will, werden die Kosten für die Entwicklung dieser Technologien heute fällig. Der Vorteil der Emissionsminderung jedoch wird erst in zwanzig bis vierzig Jahren wirksam. Ein „guter Diktator“ könnte hoffentlich solche Projekte durchsetzen, bei denen die Gesellschaft heute Opfer auf sich nimmt, um morgen den Nutzen zu ernten.

Der deutsche Bundestag hat die Energiewende beschlossen, der Anteil an Solar- und Windenergie, obwohl teurer als Kohle, wird drastisch erhöht werden – alles ganz demokratisch, ohne Diktator.

Randers: Ja, hier hat ein nationalstaatliches Parlament einmal in dem Sinne gehandelt, den ich für richtig halte. Und doch halte ich meine Idee für besser.

Warum?

Randers: Weil die Entscheidung für die Energiewende eine Ausnahme war.

Zu der es wie kam?

Randers: Das, was Ihr Bundestag da getan hat, war so kompliziert, so intransparent, daß die meisten deutschen Wähler es gar nicht durchschaut haben.

Impliziert das nicht einen moralischen Vorwurf, das Volk ausgetrickst zu haben?

Randers: Keineswegs, im Gegenteil, die deutschen Parlamentarier sollten vielmehr stolz darauf sein, daß es ihnen gelungen ist, eine Entscheidung durchzusetzen, die mehr Wert auf langfristigen Nutzen als auf kurzfristige Kosten legt.

Also im Klartext: Sie fordern, in puncto Klimapolitik die Demokratie abzuschaffen und die Errichtung einer Diktatur ohne Wenn und Aber?

Randers: In meinem Buch spreche ich nicht von „Diktator“ und „Diktatur“, sondern von einer „starken Regierung“. Es waren Journalisten, die daraus den Begriff von einer „guten Diktatur“ gemacht haben.

Sie meinen also eine Diktatur – aber Sie wollen sie nicht beim Namen nennen?

Randers: Ich will vor allem, daß verstanden wird, was ich meine.

Und das ist?

Randers: Die Natur des Menschen ist auf Kurzfristigkeit konzentriert, und auch Gesellschaft und Politik sind so strukturiert. Die Lösung der Klimafrage aber bedarf langfristiger Maßnahmen. Diese aber sind auf kurze Frist notwendigerweise unpopulär, weil sie zunächst nur Kosten verursachen, während ihre Vorteile sich erst viel später zeigen. Also dürfen Entscheidungen in diesem speziellen Feld nicht kurzfristigen Zwängen, etwa in Gestalt von Wählern mit einem kurzfristigen Horizont, unterworfen sein.

Also doch: Abschaffung der Demokratie, Einführung einer Diktatur.

Randers: In dieser einen Frage, ja. Weil ich keinen anderen Weg sehe, so auch die Interessen unserer Kinder und Kindeskinder zu berücksichtigen. Zudem machen wir das in Europa doch mitunter schon längst so.

Zum Beispiel?

Randers: Denken Sie etwa an die EU-Kommission, die zum Teil außerhalb demokratischer Kontrolle arbeitet, und als Folge dessen hat die Kommission einige weise Beschlüsse im Bereich Klima und Energie gefaßt. Ein positives Vorbild!

Als weiteres positives Vorbild nennen Sie die Kommunistische Partei Chinas.

Randers: Weil auch sie einige Entscheidungen getroffen hat, die definitiv nicht von Vorteil für die Gegenwart der Chinesen sind, aber unwiderlegbar von großem Nutzen für die Zukunft des Landes.

China ist eine brutale Diktatur, die über Leichen geht, Personenkult pflegt und einer totalitären Ideologie huldigt. Schlimmer geht es eigentlich nicht.

Randers: Waren Sie je in China?

Nein.

Randers: Ich meine, daß wer über China spricht, egal ob gut oder schlecht, zumindest einmal dort gewesen sein sollte. Aber lesen Sie mein Buch, ich schlage im Grunde nichts anderes vor als das, was der Deutsche Bundestag oder die EU-Kommission schon getan haben. Und ich applaudiere der chinesischen Regierung, die mehr Windmühlen aufstellt als jede andere Regierung dieser Welt – und das, obwohl China jede Menge Kohle hat und dies für das Land die viel billigere Energiequelle ist.

Moment, ist China nicht einer der schlimmsten Klimasünder?

Randers: Absolut gesehen ja, das liegt aber an der Größe des Landes. Wenn Sie die Pro-Kopf-Verschmutzung berechnen, sind etwa Deutsche oder Norweger weit schlimmer als die Chinesen. Es ist traurig, daß sogar in reichen Ländern die Mehrheit jederzeit günstige Energie der nachhaltigen Energie vorzieht. Deshalb applaudiere ich auch dem Deutschen Bundestag, sich mit seinem Beschluß letztlich über die Meinung des Volkes hinweggesetzt zu haben: zum Nutzen für spätere Generationen der Deutschen!

Also sagen Sie doch im Grunde, daß die Demokratie, wenn es darauf ankommt, eigentlich gar keine so gute Idee ist?

Randers: Ganz und gar nicht. Was ich sage ist, daß eine demokratische Regierung nicht dafür geeignet ist, Probleme zu lösen, wenn der Nutzen erst Jahrzehnte nach den Kosten eintritt. Zum Beispiel hat China Hunderte Papiermühlen dichtgemacht und sie durch riesige Papierfabriken mit höchsten Umweltstandards ersetzt. Auch das sicher auf Kosten derjenigen, die in den kleinen Fabriken ihre Arbeit verlieren. Diese Entscheidungen nützen der Umwelt langfristig, aber sie wäre in einer demokratischen Gesellschaft nur schwer durchzusetzen.

Was ist denn mit dem demokratischen Weg zur Regulierung von Klimafragen, dem Weltklimagipfel, der derzeit in Warschau stattfindet?

Randers: Klimagipfel funktionieren nicht. Die erste Klimakonferenz fand 1979 statt, und kaum etwas Wirkungsvolles hat sich seitdem getan. Das ist auch kein Wunder, denn schließlich nehmen an den Konferenzen inzwischen 190 Nationen teil, und jede hat ein Vetorecht! Ich wünschte, der konsensuale Weg würde funktionieren, aber ich glaube, leider wird er das nicht. Also muß man sich fragen: Was ist die Alternative? Die USA, China, die EU, Japan und Brasilien verursachen rund siebzig Prozent der Treibhausgase. Wenn diese fünf Größen sich einigen, dann könnten sie eine starke internationale Regierungsinstitution aus Technokraten schaffen, die anstatt der nationalen Demokratien die Politik auf diesem Feld macht.

Kann es sein, daß Sie die Demokratie mißverstehen?

Randers: Inwiefern?

Die Idee der Demokratie ist nicht, die richtige oder gute Entscheidung zu finden, sondern alle am Entscheidungsprozeß zu beteiligen. Somit ist Ihr Vorschlag, auch wenn Sie es gut meinen, eine klare Absage an dieses Prinzip und damit keineswegs ein Kavaliersdelikt, sondern ein echter Putsch.

Randers: Andererseits: Wenn wir weiter auf den konsensualen Weg setzen, bedeutet das, die Zukunft unserer Kinder und Enkel zu opfern. Das wäre die Konsequenz. Ich will das nicht verantworten.

Dann aber kann jede Interessengruppe nach einem Diktator für ihr Anliegen verlangen: Ein Rentendiktator, der uns vor Altersarmut schützt, ein Gesundheitsdiktator, der uns vor krankmachendem Lebenswandel bewahrt, ein Diktator für Gleichheit und soziale Gerechtigkeit, einer zur Rettung des Euros etc. Warum nicht auch einer für eine menschenrechtsgemäße statt einer nationalstaatlich-egoistischen Außenpolitik? Und einen für Inneres, der Minderheiten vor Ausgrenzung und Diskriminierung und die Gesellschaft vor Kriminellen, Extremisten, Radikalen und Fundamentalisten schützt?

Randers: Ich verstehe, was Sie sagen wollen, das ist theoretisch denkbar, aber Sie übertreiben die Sache.

Warum?

Randers: Ich orientiere mich am Vorbild der Antike, in der es den Diktator auf Zeit gab, und zwar nur in solchen Fällen, da ein Konsens nachweislich unmöglich war. Wenn die Gesellschaft vor einem Problem stand, das sie nicht zu lösen vermochte, bestimmte sie für dieses spezielle Problem einen Diktator auf Zeit. War das Problem gelöst, trat dieser Diktator wieder ab. Diktatur wäre die Ausnahme, nicht der Normalzustand.

Und wer bestimmt, was die Ausnahme ist?

Randers: Die Gesellschaft muß sich einig sein, daß dieses sensible Thema eine solche „starke Regierung“ rechtfertigt. So unerhört, wie Sie tun, ist das in Wirklichkeit gar nicht, denn die demokratische Gesellschaft hat auch entschieden, daß Zentralbanken unser Geld verwalten sollen, unabhängig von demokratischer Einmischung. Ich verstehe aber, daß die Leute Angst davor haben, daß ein „guter Diktator“ auf Dauer an der Macht bleiben könnte. Deshalb schlage ich vor, seine Machtzeit zum Beispiel auf fünf Jahre zu begrenzen – das wäre lang genug, um die notwendigen Entscheidungen zu treffen. Ganz konkret schlage ich vor, dem Weltklimarat – also das IPCC – die Vollmacht zu verleihen, den nationalen Regierungen Anweisungen in Sachen Emissionsreduzierung geben zu können. Und idealerweise sollte der Weltklimarat mit eigenem Budget ausgestattet werden, so daß er selbst Projekte bezahlen kann. Dafür könnten die Staaten zu seinen Gunsten auf bestimmte Steuern verzichten.

Sie betrachten die Grünen als die Partei, die Ihren Vorstellungen am nächsten kommt. Der Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa hat allerdings 2012 ein Buch geschrieben, in dem er die Grünen als „Gefahr für die Demokratie“ beschreibt.

Randers: Das sehe ich nicht so. Aber die Grünen sind in der Tat die Partei, die sich mit Abstand am meisten über die Notwendigkeit, kurzfristige zugunsten langfristiger Vorteile aufzugeben, im klaren ist. Deutschland sollte stolz darauf sein, die größte grüne Partei in Europa zu haben.

Die Grünen versprechen den Bürgern einerseits grüne Politik, andererseits einen neuen, transparenten und bürgernahen Politikstil. Nach allem was Sie sagen, schließt sich das gegenseitig aus.

Randers: Ja, und als Konsequenz erhalten die Grünen nur eine kleine Anzahl der Wählerstimmen.

Als Fazit könnte man sagen, Sie schätzen gute Regierung höher als demokratische Beteiligung – demokratische Beteiligung ist für Sie also nicht der höchste Wert?

Randers: Ja, so ist es. Denn Ziel unserer modernen Gesellschaften sollte die Maximierung des persönlichen Glücks sein, die Voraussetzungen dafür sind aber zum Teil immateriell. Darüber hinaus gilt es, dies bei stabilen Löhnen und sinkender Bevölkerungszahl zu erreichen. So wird die entwickelte Welt im Jahr 2052 aussehen. Ich hoffe, die Demokratie ist dieser Herausforderung gewachsen. Aber ich glaube, es wäre viel einfacher mit einem „guten Diktator“, denn er oder sie könnte die Umverteilung der Einkommen vornehmen, die notwendig ist – den Reichen zu nehmen und den Armen zu geben.

 

Prof. Dr. Jørgen Randers, wurde als Koautor der Studie „Die Grenzen des Wachstums“ von 1972 des Club of Rome bekannt, die weltweite Berühmtheit erlangte. Als Autor der neuen Studie des Club of Rome, die auf deutsch unter dem Titel „2052. Eine globale Prognose für die nächsten vierzig Jahre“ im Oekom-Verlag erschienen ist, erreichte Randers 2012 erneut weltweite Medienpräsenz. Heute ist der norwegische Zukunftsforscher Professor für Klimastrategien an der Norwegian Business School. Diese leitete er, Jahrgang 1945, zeitweilig. Von 1994 an hatte Randers den Posten des Vize-Generaldirektors der Umweltschutzorganisation WWF inne, bevor er für 2005 und 2006 zum Vorsitzenden der Norwegischen Kommission zur Reduzierung von Treibhausgasen berufen wurde. Heute sitzt Randers auch im Beirat für nachhaltiges Wirtschaften der British Telecom und des US-Chemieriesen Dow Chemical.

www.2052.info

Foto: Ab in die Weltklimadiktatur auf Zeit: „Die Lösung der Klimafrage bedarf langfristiger Maßnahmen. Deshalb darf sie nicht kurzfristigen Zwängen, etwa Wählern mit kurzfristigem Horizont, unterworfen sein.“

 

weitere Interview-Partner der JF

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen