© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/13 / 15. November 2013

Ohne Kinder sind wir arm
Immer mehr Frauen bleiben kinderlos. Das ist keine ökonomische, sondern eine emotionale Katastrophe
Jürgen Liminski

Akademikerinnen können rechnen. Das ist die banale Feststellung aus der Mitteilung des Statistischen Bundesamtes zur Geburtenentwicklung in Deutschland. Die Rechnung ist einfach: Kinder kosten Geld, und viele Kinder kosten viel Geld.

Da niemand gern freiwillig arm wird, ist das ein Grund, weshalb in Deutschland jede fünfte Frau lebenslang kinderlos bleibt, bei Akademikerinnen ist es mindestens jede vierte, manche Experten kommen gar auf 45 Prozent. Manche Politiker allerdings können trotz akademischer Ausbildung nicht rechnen. Sie ziehen aus den Daten das bekannte Fazit, man müsse nur mehr Krippen bauen und schon gäbe es mehr Kinder.

Aber es ist eine Rechnung ohne den Unbekannten. Denn für die meisten Kinderlosen rangiert die Betreuungsfrage seit Jahrzehnten ziemlich weit hinten, ganz vorne steht die Frage nach dem Partner. Dasselbe läßt sich aus dem „Monitor Familienleben“ der Bundesregierung schließen: Fehlende Betreuungsmöglichkeiten werden dort an letzter Stelle der möglichen Gründe gegen Kinder aufgeführt; auch dort steht an der Spitze der Hemmnisse zur Erfüllung des Kinderwunsches dagegen das Fehlen eines „passenden“ Partners. An zweiter Stelle kommen dann die Finanzen.

Diese Tatsachen verdrängen Politiker und Wirtschaftsfunktionäre gern, ihre publizistischen Hilfstruppen sowieso. Aber es muß doch aufhorchen lassen, wenn jedes fünfte Kind unter sieben Jahren in einem Haushalt von Sozialhilfeempfängern lebt. 1965 war es nur jedes 75. Kind. Und reich waren die Familien damals sicher nicht.

Es ist eine Systemfrage. Die Sozialabgaben, die auf Familien lasten, steigen, und zwar schneller als die Einkommen. Hinzu kommen die Konsumausgaben. Stichwort Strompreis. Oder Mehrwertsteuer. Oder Ökosteuer. Entscheidend ist nicht der nominale Wert, sondern die Kaufkraft, und die mißt sich in Arbeitszeit. Mitte der sechziger Jahre waren Kindergeld und Transferleistungen 400 Arbeitsstunden wert, heute allenfalls 200.

Familien konsumieren anders als Single-Haushalte. Sie haben keine Wahl, die Heizung muß laufen, wenn die Kinder nicht krank werden sollen. Das Brot muß auf den Tisch, und selbst billige Schuhe kosten Geld. Der ökonomische Druck auf junge Eltern ist enorm. Das sind die Rechnungen, die die Zukunft der Familien bestimmen. Nicht die Zahl der Krippenplätze. Diese Systemfrage muß auch von der Politik gestellt werden, sonst rutschen die Geburtenzahlen noch weiter nach unten.

Der ökonomische Druck auf junge Eltern schlägt außerdem auf die Kinder durch. Jedes dritte Kind ist bei der Einschulung verhaltens-oder entwicklungsgestört. Jedes vierte verläßt die Schule ohne Beherrschung der Kulturtechniken, die selbst für Hilfsarbeiten Voraussetzung sind. Politik und Wirtschaft jammern über die mangelnde Ausbildung, verschärfen aber die Situation, indem sie den Eltern noch mehr Zeit nehmen und damit den Druck erhöhen. Erziehung kostet nicht nur Geld, sondern vor allem Zeit. Beziehung auch. Das ist das Schlüsselwort: Zeit. Ohne Zeit gibt es keine oder kaum Kommunikation, fehlen Austausch, Gespräch, Zuwendung oder Zärtlichkeit. Nicht umsonst faßte schon Johann Heinrich Pestalozzi seine pädagogischen Forschungen und Erfahrungen in drei großen Z zusammen: Zuwendung, Zärtlichkeit, Zeit.

Ohne Zeit entsteht auch keine Bindung. Ein Partner, der keine Zeit hat, weil er sie sich vom Zeitschlucker Fernsehen aufsaugen oder vom Arbeitgeber rauben läßt, entfremdet sich. Hier liegt eine der großen Ursachen für Trennungen, die übrigens nicht nur die Paare viel Kraft und Leiden kosten, sondern die Gesellschaft über die Sozialsysteme auch viel Geld. Elternschaft ist eben keine Frage der Bildung, sondern der Liebe. Kinder sind sichtbar gewordene Liebe, beschreibt der Frühromantiker Novalis bündig das generative Verhalten. Das gilt auch für Akademiker.

Das Problem ist der Partner, den man für die „Sichtbarmachung der Liebe“ braucht. Nein, die Krippe bringt nicht mehr Kinder und regelt die Lebensprobleme nicht. Sie verschärft sie eher. Denn Bindung geht der Bildung voraus. Das gilt schon für die Primärbindung zum Partner, sie ist generativ. Und die Bindung zum Kind ist konstitutiv, nicht nur für die Bildung, sondern auch für die Familie. Das sehen die Akademikerinnen in der SPD nicht. Irgendwie ist es schizophren: Auf der einen Seite schimpfen sie auf die Wirtschaft, auf der anderen laufen sie ihr nach. Ein entkrampftes Verhältnis zu Familie und Beruf, eine Familienpolitik aus einem Guß hat allenfalls die CSU. Sie nimmt die Wahlfreiheit ernst. Das Betreuungsgeld ist eine Anerkennung der Erziehungs- und Bindungsleistung, die allen zugute kommt.

Die Bindungsfähigkeit, man könnte auch sagen, die Treue, ist übrigens ein Problem, das bei den Erörterungen über Geburtenzahlen und Folgen des demographischen Defizits in der Regel nicht erörtert wird. Es stimmt indes nicht, daß man bei den emotionalen Problemen nichts machen könnte. Hier geht es um das Humanvermögen im Sinne von Daseinskompetenzen, wie es in einem Familienbericht der Bundesregierung 1994 noch hieß. Und es geht um eine Misere, die uns alle betrifft: die emotionale Verarmung. Sie führt zu einer Gesellschaft mit Maschinenherz, zu einem Gemeinwesen ohne Solidarität, ohne Empathie, ohne Gemeinsinn.

Das aber sind die Voraussetzungen, von denen der Staat lebt und die er selber nicht schaffen kann (Ernst-Wolfgang Böckenförde). Hier könnte die Politik entsprechende Rahmenbedingungen schaffen, zum Beispiel mehr Zeit bieten durch Teilzeitjobs. Das ist der Lebensformwunsch für die meisten deutschen Paare. Die Politik präferiert das akademisch gebildete Doppelvollzeitverdienerpaar. Damit aber gehen die sozialen Gleichungen mit den Unbekannten nicht auf.

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