© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/13 / 08. November 2013

Energiewende sticht Landesverteidigung aus
Eine neue maritime Raumordnung erleichtert die Expansion von industriellen Windparks in Nord- und Ostsee
Patrick Gerster

Mehr als 75 Milliarden Euro sollen im Rahmen der deutschen „Ener-giewende“ in den Ausbau seeseitiger Windparks fließen. Diese „Offshore“-Anlagen benötigen viel Platz. Allein die bis 2011 genehmigte Betriebsfläche beansprucht 5.000 Quadratkilometer. Im eng begrenzten deutschen Anteil an Nord- und Ostsee muß es daher zwangsläufig zu Interessenskollisionen in den Ausschließlichen Wirtschaftszonen (AWZ) kommen, die als Standorte der Windparks favorisiert werden.

Auf ein bislang kaum beachtetes Konfliktpotential macht dabei Jan-Hendrik Dietrich von der Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Kassel aufmerksam (Natur und Recht, 9/13). Denn seit Jahrzehnten nutzt die Bundeswehr große Seegebiete zu Flottenübungen und Waffenerprobungen.

Die Genehmigungsbehörde für Off-shore-Anlagen in den AWZ, das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH), wird nach Dietrichs Einschätzung daher zunehmend Konflikte zwischen den Erfordernissen der Landesverteidigung und dem energiepolitischen Ziel, bis 2030 mit 5.000 Anlagen den Offshore-Anteil an der deutschen Stromversorgung auf 15 Prozent oder 25 Gigawatt zu steigern, entscheiden müssen. Die maritime Raumordnung weise zwar für Windparks in den AWZ inzwischen „Vorranggebiete“ aus, die aber bei den Dimensionen dieses „industriellen Großprojekts“ bei weitem nicht ausreichten. Es sei darum wahrscheinlich, daß die Realisierung der Offshore-Strategie auf militärisch genutzte Seegebiete vor Helgoland oder Amrum zugreifen werde, wo Artillerie- und Flugschießübungen stattfinden oder die U-Booten für Tauchübungen vorbehalten sind.

Da die öffentlich-rechtliche Gestattung von Offshore-Vorhaben mit der Seeanlagenverordnung vom Januar 2012 grundlegend novelliert wurde, hat sich auch ein neues Genehmigungsregime etabliert, in dessen Mittelpunkt ein Planfeststellungsverfahren steht, das es offenkundig erleichtert, bei der planerischen Abwägung die militärischen den energiepolitischen Belangen unterzuordnen. Der Primat der Energieerzeugung klassifiziert damit nicht nur den Natur- und Umweltschutz als nachrangig und nimmt auch auf das Landschaftsbild wenig Rücksicht (JF 40/13), sondern verändert auch die verwaltungsrechtlichen Maßstäbe zur Beurteilung von Erfordernissen der Landes- und Bündnisverteidigung.

Wenn die Bundeswehr im Planfeststellungsverfahren künftig Verteidigungsinteressen reklamiert, so ist das nicht mehr per se ein „abwägungsfester Belang“, sondern sie muß dem BSH „überzeugende militärfachliche Informationen“ liefern, um etwa den Tiefflugbetrieb über einem Seegebiet zu rechtfertigen. Gelingt es ihr nicht, eine „erhebliche Beeinträchtigung“ des Schutzgutes Landesverteidigung darzulegen, steht einer Nutzung durch die Energiebranche nichts länger im Wege.

„Offshore-Windparks vs. Landesverteidigung – Nutzungskonflikte in der ausschließlichen Wirtschaftszone“, in Natur und Recht 9/13: link.springer.com/

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