© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/13 / 08. November 2013

Heimat der Christenheit
Deutungen Europas aus dem Mittelalter
Wolfgang Kaufmann

Seit längerem ist es Usus, die Wurzeln Europas im Mittelalter zu suchen, und dabei insbesondere in der Zeit der Karolinger. Allerdings seien viele Beiträge dazu durch „viele Meinungen und wenig Wissen“ gekennzeichnet. Das jedenfalls behauptet der Heidelberger Mediävist Klaus Oschema in seiner voluminösen Habilitationsschrift, welche sich konsequent an zeitgenössischen Quellen orientiert.

Zwar sei der Europa-Begriff im Mittelalter tatsächlich erstaunlich oft benutzt worden, jedoch nicht, um damit ein politisches Ideal oder gar das Ziel utopischer Vereinigungspläne zu kennzeichnen, sondern einfach als Synonym für „Heimat der Christenheit“. Deshalb habe er auch immer dann Hochkonjunktur gehabt, wenn eine heftige Konfrontation mit militanten „Heiden“ anstand, wie beispielsweise zur Zeit der Kreuzzüge oder der Abwehr der Mongolengefahr, „während auf dem Zenit der Herrschaft Karls des Großen der Erdteil-Name keine vergleichbare Rolle spielte – wir sollten uns daher vom Nimbus der solitären Formel des pater Europae nicht allzusehr blenden lassen“.

Mit Fachkollegen aus dem gegenwärtigen „beschleunigten und oberflächlichen Forschungsbetrieb“, die dies dennoch bei jeder sich bietenden Gelegenheit tun, geht Oschema hart ins Gericht: Ergebnisse der älteren Forschung aus der Zeit von vor fünfzig Jahren würden einfach als vollkommen gesichert übernommen und dann auch noch nachlässig rezipiert, ohne die seinerzeit verwendeten Quellen selbst noch einmal vorurteilsfrei zu überprüfen.

„Die Entfernung zahlreicher Diskussionsbeiträge von den Grundlagen der fachlich verankerten, methodischen Anforderungen ist unterdessen so groß, daß eine intensive Rückbindung an die ursprünglich auszuwertenden Materialien nötig erscheint.“ Oder anders ausgedrückt: Die Geschichtswissenschaft verstößt beim Thema Europa offenkundig gegen ihr Grundprinzip der Quellennähe, weil sie von opportunistischem Wunschdenken geleitet wird und „passende“ identitätsstiftende Aussagen herbeifabuliert, die in der Realität nie getan wurden – jedenfalls nicht im Sinne des modernen Europagedankens, der natürlich keine Frontstellung gegen das Nichtchristliche impliziert.

Klaus Oschema: Bilder von Europa im Mittelalter. Thorbecke-Verlag, Ostfildern 2013, gebunden, 678 Seiten, Abbildungen, 85 Euro

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