© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/13 / 08. November 2013

Kirchensteuer
Weder Segen noch Fluch
Stefan Mückl

Wie viele Institute des deutschen Staatskirchenrechts, ist auch dasjenige der Kirchensteuer nur vor seinem historischen Hintergrund voll zu erfassen und zu verstehen: Das heute geltende deutsche Verfassungsgesetz (Artikel 140 des Grundgesetzes) erhält die Bestimmung der Weimarer Reichsverfassung von 1919 aufrecht (Artikel 137 Absatz 6), der zufolge diejenigen „Religionsgesellschaften“ – also nicht allein die Kirchen! –, „welche Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, (berechtigt sind) ... Steuern zu erheben“.

Dahinter steht die geschichtliche Entwicklung seit Beginn des 19. Jahrhunderts: Hatte damals die Kirche mit der nahezu vollständigen Säkularisation ihres Vermögens ihre materielle Existenzgrundlage verloren, wurden in der Folgezeit die für ihre Sendung notwendigen Mittel, wie Unterhalt des Klerus sowie Aufwendungen für Kultusgebäude, aus dem allgemeinen Staatshaushalt erbracht. Um diesen zu entlasten, gingen die deutschen Einzelstaaten dazu über, die Finanzierungslast kirchlicher Aufgaben auf die Kirchenglieder abzuwälzen, wobei der Staat allerdings verwaltungstechnische und notfalls auch vollstreckungsrechtliche Hilfe leistete.

In der Summe ist die Kirchensteuer demnach weniger ein Relikt enger Verflechtung von Staat und Kirche als gerade umgekehrt ein System der Unabhängigkeit der Kirche vom Staat. Im Spektrum der verschiedenen Kirchenfinanzierungssysteme stellt sie ein Modell der kirchlichen Eigenfinanzierung dar:

- Die Mittel für kirchliche Zwecke werden allein von den Kirchengliedern und zusätzlich zu den staatlichen Steuern aufgebracht. Die vom Staat erbrachte verwaltungs- und vollstreckungsrechtliche Hilfeleistung wird ihm seitens der Kirche vergütet – in einem Maß, das den staatlichen Verwaltungsmehraufwand übersteigt.

- Das System der Kirchensteuer unterscheidet sich grundlegend von demjenigen der gelegentlich als Alternative vorgeschlagenen Kultussteuer nach italienischem Vorbild: Dort kann der Steuerpflichtige hinsichtlich eines geringen Teils der (von ihm ohnedies geschuldeten) Einkommensteuer dergestalt eine Zweckbindung vornehmen, daß dieser Teil kirchlichen (oder alternativ: sozialen, denkmalpflegerischen oder ähnlichen) Zwecken zugeführt werden soll. Vom Grundansatz her handelt es sich bei dieser Konzeption somit um eine Form staatlicher Fremdfinanzierung.

- Die grundlegende Alternative, die Kirche auf die eigenständige Akquirierung ihrer finanziellen Mittel zu verweisen – aus der Sicht einer konsequenten Trennung von Staat und Kirche folgerichtig –, wurde während der Weimarer Verfassungsberatungen 1919 verworfen, interessanterweise gerade im laizistischen Lager. Das Argument: Die Kirche solle gegenüber privaten Großspendern unabhängig sein.

Das geltende System der Kirchensteuer ist für Kirche und Staat gleichermaßen vorteilhaft: Die Kirche verfügt über verläßliche, ihrer Höhe nach beträchtliche Einnahmen, die sie der täglichen Sorge und Mühe um die Sicherstellung ihres Finanzbedarfs enthebt. Sie kann nicht nur ihre genuinen Aufwendungen wie den Unterhalt der Geistlichen und sonstigen Bediensteten, den Unterhalt der Kultusgebäude, die Bedürfnisse der Caritas bestreiten und fördernd und unterstützend in aller Welt wirken. Vielmehr vermag sie in der ganzen Breite des Spektrums kirchlichen Handelns mit eigenen Einrichtungen präsent zu sein.

Gerade hier liegt zugleich das Interesse für den Staat – weshalb die Kirchensteuer gelegentliche politische Anfechtungen in den vergangenen Jahrzehnten stets mühelos überstanden hat: Für ihn erbringt das kirchliche Wirken „überschießende Effekte“. An den (auch volkswirtschaftlich signifikanten) Gemeinwohlleistungen der Kirche, sei es im sozial-karitativen oder im Bereich von Bildung und Erziehung, partizipiert der Staat zu seinem Nutzen – und sei es nur im Ersparen der, im Regelfall höheren, Aufwendungen für Errichtung, Betrieb und Unterhalt der entsprechenden Einrichtungen in eigener Regie.

Unzweifelhaft ist die Kirche in Deutschland, zumal im internationalen Vergleich, materiell wohl bestallt. Das ist per se weder Segen noch Fluch: Denn „Reichtum“ ist, was schon Lebenserfahrung und mehr noch die Heilige Schrift lehren, ein ambivalentes Phänomen. In der Kirche haben die Finanzen, wie alle weltlichen Mittel, eine dienende Funktion – im Hinblick auf die Sendung der Kirche. So sehr gesicherte finanzielle Mittel diese Sendung erleichtern (können), muß sich die Kirche doch immer wieder bewußt werden, daß ihr eigentlicher Schatz nicht in Einnahmen und Vermögen liegen.

 

Prof. Dr. Stefan Mückl, Jahrgang 1970, studierte Rechtswissenschaften in Passau und Freiburg i. Br. sowie Theologie und Kanonisches Recht in Rom. Er ist seit 2008 außerplanmäßiger Professor für Öffentliches Recht an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und seit 2013 Professor für Staatskirchenrecht an der Päpstlichen Universität zum Heiligen Kreuz in Rom.

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