© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/13 / 08. November 2013

Zuviel made in Germany
Welthandelspolitik: US-Finanzministerium kritisiert die hohen deutschen Exportüberschüsse / Dollardominanz erlaubt Leben auf Pump
Markus Brandstetter

Laut den Statistiken der Welthandelsorganisation (WTO) hat sich an der Dominanz der großen Vier nichts geändert: China konnte 2012 seinen Titel als Exportweltmeister verteidigen, es folgen die USA, Deutschland und Japan. Berücksichtigt man jedoch die Importe sowie die Dienstleistungs- und Übertragungsbilanz, dann steht Deutschland unangefochten an der Weltspitze: Allein im ersten Halbjahr 2013 erwirtschafteten die Deutschen einen Leistungsbilanzüberschuß von 96 Milliarden Euro. Zum Jahresende könnten es dann fast 200 Milliarden Euro sein – das sind über sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP).

Die US-Regierung hält diesen Zustand für untragbar. In einem Bericht an den Kongreß wirft das Finanzministerium der Bundesregierung und der deutschen Wirtschaft vor, durch die hohen deutschen Überschüsse die wirtschaftliche Erholung speziell in der Euro-Zone zu behindern. Sprich: Ihr Deutschen konsumiert zuwenig, weshalb eure Inlandsnachfrage dahindümpelt. Da ihr aber Wachstum braucht und gleichzeitig mehr davon habt als viele andere Länder, läuft das bei euch alles über den Export, von dem ihr total abhängig seid. Nur die Niederländer haben mit zehn Prozent einen noch höheren Überschuß, allerdings auch eine kleinere Wirtschaft.

Eure Exportüberschüsse haben dermaßen zugelegt, daß ihr Deutschen sogar China übertrumpft. Euer Wirtschaftswachstum findet damit auf Kosten derer statt, die deutsche Produkte und Dienstleistungen einführen, dafür aber selber weniger produzieren und deshalb nicht mehr wachsen. Das alles führt zu einem Ungleichgewicht in der Euro-Zone, die sich durch eure Schuld nicht erholen kann. Die Krisenwirtschaften der EU sollten ihre Inlandsnachfrage senken und Importe reduzieren, damit ihre Zahlungsbilanzen wieder stimmen. Das funktioniert aber so lange nicht, wie ihr Deutschen diese Länder mit euren Exporten überschwemmt. Durch eure Exportfixierung bringt ihr das fragile Welthandelsgefüge durcheinander und sorgt für eine europaweite Deflation.

Das sind schwere Vorwürfe, die durch die Schärfe des Tones und die Fixierung auf Deutschland überraschen. Bislang hatte es die Obama-Regierung vermieden, Deutschland wegen seiner Exportstärke öffentlich anzugehen. Diese Kritik, die die bilateralen Beziehungen seit Jahren belastet, wurde bislang nur auf der Ebene von Ausschüssen und Staatssekretären abgehandelt. Nun aber hat sich Washington offenbar entschlossen, das Kind mit dem Bade recht öffentlich auszuschütten. Dafür gibt es Gründe.

Aktuell sind viele Demokraten wie Republikaner stinksauer, daß ihre weltweite Cyberspionage publikumswirksam aufgeflogen ist. Daß die Amerikaner Verbündete abhören, war bekannt, daß im „war on terror“ sogar Telefone befreundeter Staatschefs abgehört und der gesamte Weltdatenverkehr ein Selbstbedienungsladen der National Security Agency (NSA) wurden, hat dennoch viele überrascht. Die Kritik am deutschen Außenhandel könnte also eine Retourkutsche auf die unerwartete Kritik an der US-Spionagepraxis sein.

Aber das ist zu kurz gedacht. Seit Ausbruch der Finanzkrise tut sich die amerikanische Wirtschaft schwer, wieder auf Touren zu kommen. Obwohl die Zentralbank Fed das Land seit Jahren mit billigstem Geld überschwemmt, will das Wachstum nicht recht anspringen; inflationsbereinigt wuchs die US-Wirtschaft im ersten Halbjahr um nur 1,8 Prozent. Auch wenn die Arbeitslosenrate im September auf 7,2 Prozent fiel – den niedrigsten Wert seit 2008 –, ist das für die USA hoch, weil man jahrzehntelang mit Werten von unter fünf Prozent glänzte. In dieser Situation erhoffen sich die Amerikaner Aufwind vom Export, auch wenn dies wohl illusorisch ist.

Die USA importieren seit drei Jahrzehnten mehr als sie exportieren, und das nicht nur wegen des exorbitanten Erdölverbrauchs. „Made in USA“ ist in den dortigen Einkaufszentren kaum noch zu finden. Die Exportschlager von Apple sind „Made in China“, selbst die Chevrolets für Europa werden in Südkorea oder Polen fabriziert. In manchen Jahren betrug das US-Leistungsbilanzdefizit ein Prozent vom Welt-BIP.

Diese Lücke wird durch Schulden finanziert, was deshalb so leicht geht, weil die Amerikaner als Inhaber der Weltreservewährung überall Abnehmer für ihre Dollars finden und Chinesen und Japaner massenhaft US-Staatspapiere kaufen. Oder wie es der Ökonom Hans-Werner Sinn treffend in der Welt formulierte: „Die US-Sparquote lag in den vergangenen Jahren bei null Prozent. Die Hälfte der Amerikaner hat mehr konsumiert, als sie an Einkommen hatten. Sie haben sich beispielsweise deutsche Autos gekauft, und zurück zu uns kamen Lehman-Brothers-Papiere, die heute wertlos sind.“ Und das Leben auf Pump geht weiter, wie der Schaukampf um die Erhöhung der Staatsschuldenobergrenze auf mehr als 17 Billionen Dollar zeigt. Es ist absurd anzunehmen, daß die Reduzierung der deutschen Exporte daran auch nur ein Jota ändern würde.

Was bei der ganzen Schelte der US-Regierung außen vor bleibt, ist die Tatsache, daß hinter dem deutschen Exporterfolg keine Verschwörung steckt, sondern schlicht und einfach Qualität. Deutsche Autos fahren auf den Straßen der Welt, deutsche Werkzeugmaschinen stehen in jeder Fabrik, und nicht selten werden die weltweit fließenden Warenströme durch eine deutsche SAP-Software gesteuert. Solange deutsche Wertarbeit so gut bleibt, wie sie es seit jeher war, solange wird sich der deutsche Exportüberschuß kaum durch politische Initiativen allein reduzieren lassen.

„Semiannual Report on International Economic and Exchange Rate Policies“ 10/13: www.treasury.gov

Foto: Neuwagen für den Export auf dem Autoterminal in Bremerhaven: Exporterfolg durch deutsche Qualität

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