© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/13 / 08. November 2013

Veraltete Funktechnik und rationiertes Benzin
Grenzkriminalität: Die Polizei in Sachsen hadert mit der Strategie ihrer Führung bei der Bekämpfung international operierender Diebesbanden
Paul Leonhard

Im Oktober stoppte die polnische Polizei bei Glogau einen BMW 740 mit deutschem Kennzeichen. Der Fahrer flüchtete beim Anblick der Uniformierten zu Fuß. Mit der Sicherstellung des 75.000 Euro teuren Autos und gestohlener Kleidung im Wert von mehr als 12.000 Euro im Wageninneren konnte sich die deutsch-polnische Fahndungsgruppe Neiße (GFG) einen weiteren Erfolg an die Fahne heften.

Seit Juli 2010 ist diese im Einsatz. 20 Beamte gehören ihr an. Auch mit dem tschechischen Nachbarn arbeitet der Freistaat an einem länderübergreifenden Fahndungskonzept. Seit acht Monaten gibt es hier eine Gemeinsame Fahndungsgruppe. Im Kampf gegen die Rauschgiftkriminalität wurde ein „Joint Investigation Team“ gegründet, das durch die Europäische Staatsanwaltschaft Eurojust koordiniert werden soll. Auch in der Zusammenarbeit mit Tschechien war im Oktober ein Erfolg zu verbuchen. Die tschechische Polizei verhaftete eine Bande von elf Autodieben. Diese sollen im Raum Dresden mindestens 63 Autos gestohlen, über die Grenze gebracht und dort zerlegt verkauft haben. Das Verfahren gegen die Männer findet in Deutschland statt.

Angesichts steigender Kriminalität setzt man in der Grenzregion auf Fahndungsdruck. „Grenzüberschreitende Kriminalität kann wirksam nur grenzüberschreitend bekämpft werden“, versichert Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) immer wieder.

Allein der Beifall bleibt aus. Die Bevölkerung wünscht sich nur mehr Kontrollen und vor allem eine Verurteilung der gefaßten Täter, die Polizei selbst sieht gravierende Widersprüche zwischen der offiziell verkündeten Strategie und der täglichen Praxis. Besonders in der Kritik ist eine neue Strategie für die sächsische Polizei. Diese wurde an den Schreibtischen des Innenministeriums entwickelt und der Öffentlichkeit vorgestellt, ohne im Vorfeld die Personal- und Interessenvertretungen der Polizei zu informieren.

Das Ziel dieses Papier könne er nicht erkennen, „zumindest keines, das Sachsen und der Inneren Sicherheit hilft“, kritisiert denn auch der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Hagen Husgen. Es reiche einfach nicht, zur Bekämpfung der Kriminalität verschiedene Fahndungsgruppen wie „Neiße“, „Elbe“ oder „Autobahn“ aus dem Boden zu stampfen und auf Fahrrädern durch Leipzig radeln zu lassen, wenn im Vorfeld schon feststehe, daß das notwendige Personal aus den Beständen rekrutiert werde, so Husgen vor Journalisten in Dresden. Strategie bedeute doch das längerfristig ausgerichtete Anstreben eines Ziels unter Berücksichtigung der verfügbaren Mittel und Ressourcen. Die Situation der sächsischen Polizei sei aber von Personalabbau, hohem Krankenstand und an Grenzen stoßender Belastung geprägt.

Scharf kritisierte Husgen, daß das Innenministerium in den vergangenen Wochen und Monaten durch Positivmeldungen den Eindruck erwecken wollte, es werde alles getan, die Polizei voranzutreiben, den Polizeiberuf attraktiver zu machen und den Freistaat als eines der sichersten Bundesländer zu erhalten. Während Innenminister Ulbig versichert, daß an erster Stelle „mehr Sicherheit für die Menschen an der deutsch-polnischen Grenze“ stehe, und an seinem Polizeikonzept festhält, bezeichnete Husgen dieses als „Luftblase“. Eingebettet in dieses Konzept „sind Kapitulationen des Innen- gegenüber dem Finanzressort“, die sich auf die Sicherheit des Freistaates auswirken würden. Der Minister stoße lediglich „leere Worthülsen“ aus, um die Bürger zu beruhigen. Wenn die Polizei künftig tatsächlich nur „angemessene (für wen? Reaktionszeiten“ gewährleisten und lediglich an Schwerpunktorten und zu Schwerpunktzeiten präsent sein müsse, „fällt die innere Sicherheit endgültig dem Rotstift zum Opfer“, empört sich der GdP-Landeschef. Das Innenministerium müsse endlich den Personalabbau stoppen und sofort mit der Evaluierung der Reform „Polizei. Sachsen.2020“ beginnen.

Daß Sachsen dabei keine Ausnahme ist, zeigt die Diskussion in polizeiinternen Blogs. Jeden Tag würden von Görlitz im Süden bis Ahlbeck an der Ostsee gestohlene Autos, Lastkraftwagen, Busse, Bootsmotoren und vieles mehr festgestellt. Das Verschieben von Diebesgut, die unerlaubte Einreise und Diebstähle hätten zugenommen. Wie aber solle die Bundespolizei bestens organisierte Kriminelle in die Schranken weisen können, wenn die Funktechnik nicht einmal unter den Streifen funktioniere, der Fahrzeugpark überaltert sowie das Benzin rationiert sei und das Personal dauernd versetzt werde, wird dort gefragt. Eine Antwort der Polizeiführung blieb bislang aus.

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