© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/13 / 08. November 2013

Unter Verschluß
„Ufo-Akten": Trotz eines Gerichtsurteils verweigert der Bundestag die Veröffentlichung zahlreicher Gutachten
Henning Hoffgaard

Gibt es außerirdisches Leben? Die Frage beschäftigt seit Jahrhunderten Philosophen, Wissenschaftler, Ufologen und seit neuestem auch den Deutschen Bundestag. Genaugenommen den Wissenschaftlichen Dienst des Parlamentes. Der erstellte 2009 eine Ausarbeitung mit dem Titel: „Die Suche nach außerirdischem Leben und die Umsetzung der VN-Resolution A/33/426 zur Beobachtung unidentifizierter Flugobjekte und extraterrestrischer Lebensformen“. Bis heute ist das Werk trotz zahlreicher Anfragen unter Verschluß.

Selbst ein Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts, das den Bundestag 2011 zur Herausgabe verpflichtete, blieb ohne Folgen. Die Bundestagsverwaltung ging in Berufung und verweigert seitdem mit dem Hinweis auf das „laufende Verfahren“ jede Stellungnahme. Auch eine Anfrage der JUNGEN FREIHEIT ließ die Behörde unbeantwortet. Für Kläger Frank Reitemeyer ist das Verhalten ein Skandal. „Ob es Ufos gibt, ist mir egal. Ich habe auch noch keins gesehen. Mir geht es ums Prinzip, und ich wundere mich, warum der Bundestag hier so mauert“, sagt er der JF. Reitemeyer beruft sich in seiner Klage auf das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) von 2006. Dieses gewährt jeder Person einen voraussetzungslosen Rechtsanspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen von Bundesbehörden. Eigentlich.

Für die Berufungsverhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg am 13. November munitionierte das Amt argumentativ auf. Ein eigens erstelltes Rechtsgutachten soll beweisen, daß das IFG auf den Wissenschaftlichen Dienst gar nicht anwendbar ist. In dem Papier des Staats- und Verwaltungsrechtlers Matthias Rossi heißt es unter anderem: „Das Informationsfreiheitsgesetz zielt nicht darauf, jedem dieselbe Informationsbasis zur Verfügung zu stellen wie Abgeordneten.“

Im Klartext: Die Gutachten, die im Auftrag der Abgeordneten angefertigt werden, sollen auch künftig allein diesen vorbehalten sein. Der Bürger, der die Arbeit mit seinen Steuergeldern bezahlt, schaut in die Röhre. Doch Rossi geht noch weiter. Die Grenzen der Informationsfreiheit seien auch dann gegeben, wenn die „Handlungs- und Funktionsfähigkeit der staatlichen Einrichtungen“ bedroht sei. Dieser Schutz gelte auch für den Wissenschaftlichen Dienst. Aber ist die Arbeit des Parlaments und der Abgeordneten wirklich bedroht, wenn die Gutachten und Ausarbeitungen veröffentlicht werden?

Vom Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit, Peter Schaar, gibt es dazu ein klares „Nein“. Auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT teilt er mit: „Es sind keine Nachteile zu erwarten, wenn auch die Öffentlichkeit über das Wissen und die Informationen der Abgeordneten verfügen kann.“ Eventuell wachse so auch das Verständnis für Entscheidungen des Parlamentes. Nun hofft Schaar, daß der Bundestag in der Berufungsverhandlung unterliegt. Ein einmaliger Vorgang. Auch das Urheberrecht des Bundestages an den Arbeiten steht nach Angaben des Berliner Verwaltunsgerichts einer Einsichtnahme durch die Kläger nicht im Weg. Wozu die Abgeordneten die Einrichtung mißbrauchen können, zeigt der Fall des ehemaligen Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenbergs (CSU). Der bestellte bei dem Dienst kurzerhand eine Reihe von Gutachten, die er für seine teilweise abgeschriebene Doktorarbeit nutzte.

Bis heute verweigert der Bundestag die Veröffentlichung der Arbeiten, obwohl ein öffentliches Interesse kaum zu bestreiten ist. Vor dem Oberverwaltungsgericht wird es deswegen auch um die „Guttenberg-Dossiers“ gehen. Trotz des Erfolgs in der ersten Instanz und der Rückendeckung durch den Datenschutzbeauftragten sieht Frank Reitemeyer schwarz. Während er sich lediglich einen Anwalt leisten könne, der über die Prozeßkostenerstattung kaum Geld bekomme, habe die Bundestagsverwaltung einen echten Profi engagiert. „Ich glaube nicht, daß ich das Papier jemals sehen werde“, sagt er resigniert.

Das Oberverwaltungsgericht wird nun die Frage klären müssen: Was darf der Bürger wissen und was bleibt auch künftig unter Verschluß? Vielleicht sind wir nach dem 13. November doch nicht mehr so allein um Universum.

 

Analysen des Bundestages

Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages soll die Abgeordneten mit „Fachinformationen sowie Analysen und gutachterlichen Stellungnahmen unterstützen.“ Derzeit beschäftigt die Abteilung knapp 100 Mitarbeiter. Davon arbeitet rund die Hälfte im „Höheren Dienst“. 2005 bekam der Wissenschaftliche Dienst knapp 2.200 Aufträge und fertigte etwa 500 Gutachten an. Nur ein kleiner Teil wird jedoch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. In diesem Jahr waren das bisher gut 80 Arbeiten. Daneben betreut der Dienst die Parlamentsbibliothek in der sich 1,1 Millionen Schriften befinden. Die Abgeordneten dürfen die Institution laut Vorschrift nur für mandatsbezogene Tätigkeiten nutzen.

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