© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/13 / 08. November 2013

Ein Vertrag zu Lasten Dritter
Große Koalition: Erste Ergebnisse der Verhandlungen zwischen SPD und Union deuten auf eine stärkere finanzielle Belastung der Bürger hin
Paul Rosen

Bei den Berliner Koalitionsverhandlungen zeichnen sich erste Ergebnisse ab: CDU/CSU und SPD planen einen Vertrag zu Lasten Dritter, in diesem Fall der Beitragszahler. Damit bestätigt sich eine Erfahrung der Großen Koalition von 2005 bis 2009, vor deren Beginn die SPD jede Steuer-erhöhung ablehnte, die Union eine zwei Prozentpunkte höhere Mehrwertsteuer wollte und beide Partner sich auf eine Erhöhung um drei Prozentpunkte einigten. Diesmal soll es die Rentenbeitragszahler treffen: Zur Umsetzung versprochener Wohltaten könnte die zum 1. Januar 2014 gesetzlich geregelte Rentenbeitragssatzsenkung von 18,9 auf 18,3 Prozent entfallen.

Schon zuvor hatte Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) erkennen lassen, daß die mittelfristige Finanzplanung des Bundes von der neuen Koalition geändert werden könnte. Bisher ist vorgesehen, die ab 2016 prognostizierten Haushaltsüberschüsse zur Tilgung von Staatsschulden einzusetzen. Doch genausowenig wie ein Hund auf den Gedanken käme, sich einen Wurstvorrat anzulegen, kommt Politikern die Rückzahlung von Staatsschulden in den Sinn. So war denn die mittelfristige Finanzplanung, die 2016 einen Schuldenabbau von 5,2 Milliarden und 2017 von 9,6 Milliarden Euro vorsah, von vornherein das Papier nicht wert, auf das sie geschrieben wurde.

Während die Schuldenberge von heute erst zu den Steuererhöhungen von morgen führen werden, werden die Belastungen durch die Sozialbeitragsveränderungen bereits nach Weihnachten konkret spürbar sein. Nach Berechnungen der Bild-Zeitung hätte ein Arbeitnehmer mit 3.000 Euro Monatsbrutto ohne den jetzt geplanten Verzicht auf die Rentenbeitragssenkung 17 Euro mehr im Monat in der Geldbörse gehabt. Die Beiträge zur Pflegeversicherung könnten steigen, laut Bild um rund 20 Euro im Monat.

Selbst Mini-Jobbern drohen 17,55 Euro monatlich Mehrbelastung durch einen neuen Pflichtbeitrag für die Rentenkasse. Berliner Politiker schieben natürlich hehre Absichten vor: „Eine weitere Senkung der Rentenbeiträge kann es derzeit nicht geben, wenn wir wirksamen Schutz vor Altersarmut bieten wollen“, tönte CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe in der Welt, und SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles assistierte mit der Aussage: „Gröhe hat recht, wenn er die Absenkung des Beitragssatzes zur Rentenversicherung nicht für vordringlich erachtet.“

Denn gerade in der Sozialpolitik soll nicht gespart, sondern die jeweilige Klientel möglichst vollständig bedient werden. Der Union liegt die Mütterrente am Herzen. Alle Mütter mit vor 1992 geborenen Kindern sollen danach 28 Euro pro Kind mehr Monatsrente bekommen. Die SPD will langjährig Rentenversicherten (mindestens 45 Versicherungsjahre) ab 63 Jahren Rente gewähren. Beide Maßnahmen kosten zwölf Milliarden Euro. Noch teurer dürfte mit 15 Milliarden die Aufstockung niedriger Renten kommen, die als „Solidarrente“ (SPD) oder „Lebensleistungsrente“ (Union) in den Wahlprogrammen steht.

Bei den meisten Themen lassen die ersten Ergebnisse den Schluß zu, daß die neue Regierung auf mehr Obrigkeit, Regulierung, Kontrolle und weniger auf Freiheit setzt: So soll es eine Mietpreisbremse, Preiskontrollen für Pharmahersteller, Begrenzungen von Managergehältern, einen Rechtsanspruch auf befristete Teilzeitarbeit sowie gleiche Löhne für Zeit- und Stammarbeitskräfte geben.

Daß es noch vor Weihnachten zur Bildung der großen Koalition und zur Wiederwahl von Kanzlerin Angela Merkel kommen wird, gilt als sicher, auch wenn dann noch bei einigen Themen Unruhe herrscht. Offenbar haben sich in der Union immer noch nicht alle mit dem Mindestlohn abgefunden, den die SPD unbedingt will. Daher appellierte Merkel an die Mitglieder: „Wir wissen, daß wir in der Frage des Mindestlohns kompromißbereit sein müssen. SPD-Chef Sigmar Gabriel wiederum warnte vor übertriebenen Erwartungen an den Koalitionsvertrag und stellte die rhetorische Frage: „Kann es sich eine Partei wie die SPD leisten, alles oder nichts zu sagen?“ Und gab gleich die Antwort: „Meiner Meinung nach ist das falsch.“

Möglicherweise hatte Gabriel die Maut-Diskussion im Sinn. Hier hatte sich CSU-Chef Horst Seehofer festgelegt, was bei dem wendefreudigen Ingolstädter selten ist. Seehofer will keine Koalitionsvereinbarung unterschreiben, in der keine Einführung einer Pkw-Maut für Ausländer steht (Lkw-Fahrer bezahlen sie schon). Das Problem für die Union besteht nun darin, daß Merkel im TV-Duell gegen SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück die Pkw-Maut definitiv ausgeschlossen hatte: „Mit mir wird es keine Pkw-Maut geben.“ Sie wähnte sich sicher, in dieser Frage die EU hinter sich zu haben. Nun gibt es aus Brüssel aber verschiedene Signale, so daß die Ablehnungsfront auf einmal bröckelt. Die CSU frohlockt, und die SPD pocht auf Merkels Verläßlichkeit. Regierungssprecher Steffen Seibert interpretierte Merkels Äußerung jetzt dahin, daß die Kanzlerin ihre Aussage in den Zusammenhang gestellt habe, daß inländische Autofahrer nicht zusätzlich belastet werden dürften. Die Rede ist daher von einer Reduzierung der Kfz-Steuer, die nur von deutschen Autofahrern bezahlt wird.

Mit Blick auf die vergangene Mehrwertsteuererhöhung darf bezweifelt werden, daß die Einführung einer Maut für deutsche Autofahrer aufkommensneutral ausfallen wird.

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