© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/13 / 08. November 2013

„Das ist die Lösung der Euro-Krise"
In der Debatte um den richtigen Weg aus dem Euro-Desaster hat sich ein Ansatz herauskristallisiert: die Einführung einer Doppelwährung. Doch wie soll das funktionieren? Der Ökonom Wilhelm Hankel, der ihn in seinem neuen Buch vertritt, erklärt den Ansatz.
Moritz Schwarz

Herr Professor Hankel, ist das tatsächlich die Lösung der Euro-Krise?

Hankel: Ja. Eine Lösung der Euro-Krise muß nicht nur ökonomisch funktionieren – sondern auch politisch. Ökonomisch wäre durchaus auch anderes möglich, politisch nicht. Deswegen gibt es nur diese Lösung für die Euro-Krise: die Einführung einer Parallelwährung.

Sie schlagen das Konzept in Ihrem neuen Buch „Die Euro-Bombe wird entschärft“ vor.

Hankel: Es gibt zwei Wege, die Euro-Bombe zu entschärfen: den Euro abschaffen oder gründlich reformieren. Zu ersterem hat kein Politiker den Mut. Außer vielleicht die Alternative für Deutschland, doch die hat bei der Wahl kaum fünf Prozent bekommen. Der Grund ist, daß unsere Bürger das volle Ausmaß der Euro-Krise noch immer nicht richtig verstanden haben. Glauben Sie mir, wäre das der Fall, hätte die AfD fünfzig Prozent der Stimmen bekommen, mindestens! Leider ist dem nicht so und somit gibt es keine politische Basis für eine Abschaffung des Euro. Somit bleibt nur seine Reform. Ich schlage den „Euro-Plus“ vor: die Ergänzung des Euro um eine nationale Währung in jedem Euro-Land, so wie wir sie früher hatten.

Also eine Rückkehr zur D-Mark!?

Hankel: Ja, aber eben plus dem Euro!

Wie soll das funktionieren, zwei Währungen parallel in einem Lande?

Hankel: Ganz einfach. Es gibt eine Währung für den Alltag, in dieser erhalten wir unseren Lohn, kaufen im Supermarkt ein, das ist die jeweils nationale Währung, also D-Mark, Drachme, Franc etc. Und es gibt den Euro mit einer Doppelfunktion: erstens hält er die Euro-Zone zusammen, indem er als Umrechnungsfaktor von Währung zu Währung dient; zweitens ist er Europas sicherstes Anlage- und Vermögensgeld, denn er schützt jeden Bürger, wenn Inflation und Abwertung der eigenen Währung sein Erspartes bedrohen, vor Wertverlust und Ausplünderung.

Die nationale Währung wäre also als Münz- und Scheingeld physisch verfügbar, der Euro nur noch ein virtuelles Buchgeld, eine Verrechnungseinheit?

Hankel: So würde es vermutlich sein, aber eigentlich ist das nicht die Frage. Denn wie Löhne, Renten und andere Zahlungen zu leisten sind, hängt ja nicht von Münzen und Scheinen ab. Über neunzig Prozent dieser Zahlungen erfolgen unbar, nämlich giral von Konto zu Konto. Man kann den neuen Euro wie seinen Vorgänger, den ECU, deshalb als reines Giralgeld fortführen. Man könnte ihn aber auch wie bisher weiter zirkulieren lassen – nach dem Muster des alten ECU in Luxemburg. Entscheidend ist, daß jedes Land die Währung erhält, die zu seiner Volkswirtschaft paßt und ihren realwirtschaftlichen Bedürfnissen gerecht wird.

Wenn schon zurück zur D-Mark, warum dann überhaupt noch den Euro? Früher ging es doch auch ohne.

Hankel: Ich sagte bereits: Er hält die Euro-Zone zusammen und garantiert allen Bürgern der Euro-Zone einen zusätzlichen Inflationsschutz für ihre Ersparnisse. Jeder Sparer kann so bei nationaler Inflation in den von dieser unberührten Euro „flüchten“, oder aber er „verläßt“ den Euro, wenn ihm seine nationale Währung, wie etwa im Fall ihrer Aufwertung gegenüber dem Euro – so was kann es auch geben – Vorteile bietet.

Warum ist das die Lösung der Euro-Krise?

Hankel: Der jetzige Euro ist wie ein Anzug für alle: für Große, Kleine, Dünne, Dicke. Paßt er dem einen, paßt er dem anderen nicht. Der Euro-Plus dagegen ist wie ein Maßanzug für jedes Land und seine Probleme.

Inwiefern?

Hankel: Derzeit läßt der „zu schwache“ Euro im Norden der Euro-Zone immer mehr Ersparnisse besorgter Bürger in „totes Kapital“ abfließen: Statt in neue Unternehmungen, Arbeitsplätze, Innovationen, die künftigen Wohlstand schaffen, wird das Geld aus Furcht vor der Krise in bereits bestehende Alt-Werte wie Gold, Immobilien oder sichere Aktien investiert. Das aber erzeugt weder Wachstums- noch Innovationsimpulse: Wer Häuser, Gold oder Aktien kauft, schafft keine neuen Werte, er übernimmt bestehende. Wir sehen bereits die Folgen: Jeder neue Konjunkturaufschwung auch in Deutschland ist bereits schwächer als der letzte. Der Süden der Euro-Zone wiederum leidet unter dem für ihn „zu harten Euro“. Er ist für ihre schwachen Volkswirtschaften zu stark. Sie können ihn nicht abwerten, um ihre Produkte in der Euro-Zone und am Weltmarkt erfolgreich absetzen zu können. Folglich verdienen sie auch zuwenig Euro, um ihre Schulden zahlen zu können. Im Gegenteil: Sie machen ständig neue, indem sie kommerzielle Schulden, die sie schon hatten, in neue gegenüber den diversen „Rettungsfonds“ und der EZB verwandeln. Der Süden braucht eine Währung, die er abwerten kann, damit er seine Konkurrenzfähigkeit zurückgewinnt und seine inneren Strukturprobleme lösen kann. Mit der Wiedereinführung nationaler Währung kann jedes Euro-Land seine Probleme selber lösen. Was wir in Europa brauchen, ist die Abkehr von der Vorstellung „einer Lösung für alle“.

Da bei Wiedereinführung der nationalen Währungen die D-Mark gegenüber dem Euro stark aufwerten würde, hätten wir Deutsche allerdings keinen Nutzen vom Erhalt des Euro als Zweitwährung.

Hankel: Für deutsche Sparer würde es sich in der Tat nicht lohnen, ihr Geld in Euro anzulegen. Für Griechen, Spanier, Italiener oder Franzosen aber schon. Dennoch, da der europäische Währungszusammenhalt erhalten bliebe, könnten vor allem dem deutschen Export schädliche Kampf-Abwertungen gegen die D-Mark leichter ausgeschlossen werden. Dazu kämen die Vorteile auf dem Feld der Europa-Politik.

Nämlich?

Hankel: Zunächst: Mit dem Euro-Plus schützt sich Deutschland vor dem Vorwurf, den Euro aus nacktem nationalen Egoismus aufgegeben zu haben. Deutschland darf ja bekanntlich alles sein, nur nicht „anti-europäisch“ oder gar „nationalistisch“.

Dem Vorwurf würde man auch anders entgehen: mit der Aufteilung der Euro-Zone in einen Nord-Süd-Euro. Wäre das nicht die klarere Lösung?

Hankel: Im Gegenteil: Er würde das Chaos in Europa vergrößern. Es gäbe statt der monetären Zweiteilung innerhalb der EU eine Dreiteilung, innerhalb Europas sogar eine Vierteilung: zwei Euro-Zonen, eine Nicht-Euro-Zone; dazu kämen außerhalb der EU die monetär unabhängigen Länder, wie Schweiz, Norwegen oder Rußland. Der große europäische Charme des Euro-Plus-Projekts liegt darin, daß er EU und Rest-Europa zusammenführt und die bestehenden Währungsgräben beseitigt: Dem Euro-Plus-Raum könnten alle 18 alten Euro-Staaten, die zehn bisherigen EU-Nicht-Euro-Staaten sowie die monetär gänzlich unabhängigen Staaten Europas beitreten. Sie alle hätten und behielten ihre nationalen Währungen und wären doch über den Euro miteinander verbunden. Diesem Verbund könnten also auch Rußland, die Schweiz oder Norwegen beitreten. Der Euro-Plus wäre also eine kräftige Vital-Spritze für das in der Euro-Krise zerbröckelnde Europa!

Sie reklamieren, mit dem Euro-Plus würde der Verfassungsbruch beendet, in den uns die Euro-Rettung geführt hat.

Hankel: Der „Arbeitsvertrag der EU“, kurz AEUV, verbietet den fiskalischen Beistand von Euro-Ländern für andere Euro-Länder aus Mitteln ihrer Steuerkassen und Budgets, Stichwort „No-Bailout“. Jetzt aber hebelt die Geldpolitik der EZB diese Bestimmung aus. Indem die EZB die Schulden der Krisenstaaten durch massive Geldschöpfung und durch die Euro-Rettungsfonds übernimmt. Das ist glatter Verfassungsbruch, gegen den das Bundesverfassungsgericht hoffentlich in den noch laufenden Prozessen demnächst vorgehen wird.

Was wird denn aus der Euro-Rettung?

Hankel: Die wird nicht mehr gebraucht, denn die Euro-Krise wäre vorüber! Jedes Euro-Land wäre, wie im Maastricht-Vertrag vorgesehen, wieder für sich selbst verantwortlich und auch in der Lage, seine Probleme selbst zu lösen. Was allerdings notwendig bliebe, ist eine Regelung der Euro-Altschulden. Denn die durch die bisherige Euro-Rettung aufgelaufenen Schuldenberge wären ja nicht über Nacht verschwunden. Da müßte man sich zusammensetzen und eine Lösung à la Pariser oder Londoner Club finden, wie in den Fällen Argentinien, Mexiko oder Ukraine.

Würde bei deren Wiedereinführung der deutsche Export nicht unter der dann starken D-Mark einbrechen?

Hankel: Dieses „Argument“ war schon früher falsch, heute ist es noch falscher als damals. Deutschlands Exportwirtschaft profitiert mehr denn je vom Rückgriff auf Ressourcen aus dem Ausland: Rohstoffen, Zulieferern, ausgelagerter Produktion. Dieser billige Ein- und Zukauf nivelliert durch seine Kosteneinsparungen jede etwaige aufwertungsbedingte Verteuerung deutscher Produkte im Ausland. Zudem zeigt der Rückblick auf die D-Mark-Aufwertungen der siebziger Jahre, daß auch damals unser Export nicht geschrumpft ist, sondern gewachsen, obwohl wir damals viel weniger ausländische Zulieferer hatten als heute.

Mal ehrlich, im Grunde ist Ihr Euro-Plus doch nichts anderes als die Rückkehr zum ECU des Europäischen Währungssystems EWS, wie wir es schon bis 1999 gehabt haben. Im Klartext: Euro-Plus ist die Abschaffung des Euro zugunsten seiner Vorstufe.

Hankel: Warum denn nicht, wenn diese Vorstufe die Höchststufe des realistischerweise zu Erreichenden war und bis heute geblieben ist! Die damaligen Politiker kannten die Grenzen des in Europa Machbaren, die heutigen nicht. Diese haben sich in die Idee des gemeinsamen Geldes verrannt als Vorstufe und Motor für einen Großstaat Europa: die Vereinigten Staaten von Europa als Gegenstück zu den USA. Doch die Rechnung geht doppelt nicht auf. Weder schafft sich das Geld seinen Staat – es ist seit über 3.000 Jahren umgekehrt! Jeder Staat schafft sich Geld. Noch läßt sich aus dem vielfachen Kultur- und Sprachenraum Europa ein Einheitsstaat à la USA formen – eine Wahnvorstellung sowohl „vaterlandsloser“ wie „geschichtsloser“ Eurokraten. Denn mit jedem nationalen Geldschein verbindet sich auch ein Stück nationaler Identität, Geschichte und bürgerlicher Kultur. Nicht umsonst gab Lenin den Seinen den Rat: „Zerstört das Geldwesen – und ihr zerstört diese Gesellschaft.“ Die Europa-„Ingenieure“ scheinen ihn zu befolgen. Jetzt müssen sie lernen, daß es ohne Währungsvielfalt und Währungskonkurrenz nicht weitergehen kann. Genau das tut der Euro-Plus: ein gemeinsames Währungssymbol nach außen, das interne Reparaturen in den EU-Staaten nicht ausschließt.

Wird der Euro-Plus wirklich kommen?

Hankel: Ja. Denn selbst wenn unsere Politiker wild entschlossen sein sollten, die bisherige Euro-Rettung unter allen Umständen fortzusetzen, irgendwann fliegt ihnen der Laden um die Ohren. Man kann es nicht oft genug sagen: Das Schlimme am Euro war, ist und bleibt die Eliminierung des Krisenrisikos. Staaten, die niemals kreditwürdig waren oder es werden konnten, wurden es mit dem Euro über Nacht. Mit der Ersetzung der nationalen Währungen durch den Euro wurden also die nationalen Schuldenbremsen demontiert. Denn bei der Verschuldung, die Griechen, Spanier etc. in den letzten Jahren aufgebaut haben, wären sie eigentlich abgestürzt. Dank des Euro ist das nicht passiert, weil der vor allem von der deutschen Wirtschaftskraft stabil gehalten wurde, und so konnte die Verschuldung ungebremst weitergehen. Übrigens, in den ersten sieben Jahren des Euro haben die deutschen Banken zwei Drittel der deutschen Ersparnisse in diese Länder als Kredite exportiert. Damit hat der Euro die enorme Verschuldung dort weiter angeheizt. Jetzt versucht die EZB den enormen Schuldenberg abzubauen, indem sie Geld in unvorstellbarer Menge druckt. Das aber ist das perfekte Rezept für Inflation. Nein, dieser Wahnsinn kann nicht ewig weitergehen. Und deshalb bin ich ganz sicher, früher oder später kommt eine Lösung der Euro-Krise über den Euro-Plus.

 

Prof. Dr. Wilhelm Hankel, der Euro-Kritiker der ersten Stunde begann seine Karriere 1952 in der Deutschen Bundes-bank, als diese noch Bank deutscher Länder hieß. Er war ein Jahrzehnt als Chefökonom der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) Deutschlands führender „Entwicklungshelfer“. Bundeswirtschafts- und Finanzminister Karl Schiller (SPD) machte ihn als Leiter der Abteilung Geld und Kredit zum obersten Bankaufseher. Deutschlands Sparer ver-danken ihm zahlreiche Innovationen, etwa das „Bundesschätzchen“. Dann wurde er kurzzeitiger Präsident der Hessischen Landes-bank, lehrte schließlich in Frankfurt, Harvard, Washington und Bologna. Schon vor Ein-führung des Euro stritt er vor dem Bundes-verfassungsgericht gegen diesen. Hankel (84) publizierte etliche Bücher, jüngst: „Die Euro-Bombe wird entschärft“.

Foto: Der Euro und die Deutsche Mark: „Die Ergänzung des Euro um eine nationale Währung in jedem Euro-Land, so wie wir sie früher hatten. Ich nenne diese Lösung Euro-Plus.“

 

weitere Interview-Partner der JF

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen