© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/13 / 01. November 2013

Nicht abwarten und Tee trinken
Unerwünschte Beimischungen in Tees sowie Heil- und Küchenkräutern gefährden die Gesundheit
Volker Kempf

Sanfte Medizin statt chemischer Keule – das fordern viele Deutsche. Tee statt Kaffee – so entscheiden sich im Zweifel die Gesundheitsbewußten. Aber beides kann tödlich enden. Daß grüner Tee weniger wegen Fukushima, sondern aufgrund des Pestizideinsatzes mit Vorsicht zu genießen ist, wissen Ökotest-Leser spätestens seit vergangenem Jahr. Aber Gift im Kräutertee? Ja, und es sind im wahrsten Sinne des Wortes sogar „natürliche“ Schadstoffe. Denn Kreuzkräuter, die als unerwünschte Beimischungen in Tees gelangen, enthalten Pyrrolizidinalkaloide (PA), welche in der Leber zu toxischen Abbauprodukten führen. Diese können mit der Zeit Leberfunktionsstörungen auslösen und tödlich wirken.

Die Verwechslung von Rauke mit Kreuzkraut führte daher 2009 zum kurzfristigen Zusammenbruch des deutschen Rucola-Markts. Das Problem ist in der Tiermedizin als Schweinsberger Krankheit oder Leberkoller (Seneziose) speziell bei Pferden seit Jahrzehnten berüchtigt. Eine Behandlung der Vergiftung ist laut Studien des Zürcher Instituts für Veterinärpharmakologie aussichtslos. Nur sofortiges Absetzen des PA-haltigen Futters helfe. Abwarten und Tee trinken ist daher die falsche Strategie. Denn 500 verschiedene PAs kommen in weltweit 6.000 Pflanzen vor, die meist den Familien der Korbblütler, der Rauhblatt- oder Borretschgewächse und der Hülsenfrüchtler zuzuordnen sind. Das macht die Lage unübersichtlich. Grundsätzlich sollten daher bei der Zubereitung von Salat, Blattgemüse und Kräutern unbekannte Pflanzenteile aussortiert werden.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnte bereits vor 25 Jahren in ihrem Programm für chemische Sicherheit (IPCS) vor den PA. Die identifizierten Hauptrisikobereiche waren damals Futtermittel und Heilkräuter. Vor zwei Jahren nahm sich dann das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in einem neuen Forschungsprojekt der „Bestimmung von Pyrrolizidinalkaloiden in Lebens- und Futtermitteln“ an. In ihren Stichproben wurden die Risikoforscher dieses Jahr so häufig fündig, daß sie eine Warnung aussprechen mußten. Am meisten belastet sind demzufolge mit einem Anteil von 57 Prozent Fencheltees. Getestete Babyfencheltees waren sogar zu 100 Prozent belastet. Die Konzentration sei hier zwar geringer. Dafür vertragen Babys PAs und deren Abbaustoffe auch schlechter. In Pfefferminztees seien vereinzelt hohe PA-Konzentrationen gefunden worden, deren Herkunft aber nicht geklärt werden konnte, erklärte BfR-Vizepräsident Rainer Wittkowski in einem Fernsehinterview. Auch in Schwarztee, Roibusch-und Kräutertees wurden die Wissenschaftler fündig. Als unbelastet seien dagegen Früchtetees einzustufen.

Bisher wurde aber lediglich die Pharmazie in die Verantwortung genommen, entsprechende Substanzen auszuweisen, um vor einer längeren Einnahme zu warnen und Risikogruppen gleich zum Verzicht aufzufordern: „Nicht anzuwenden in der Schwangerschaft und Stillzeit“, steht nun auf den Verpackungen. Auf der Basis von Tierversuchen ist neben Leberfunktionsstörungen auch mit Schädigungen von Embryonen und des Erbgutes zu rechnen.

Da die toxikologischen Daten aber noch immer als unzureichend gelten, hat das BfR schon in der Vergangenheit das in der EU geltende Nulltoleranzprinzip für Lebens- und Futtermittel für sinnvoll erachtet. Wo null Toleranz den Maßstab abgibt, ist eine Warnung schnell ausgesprochen. Zu schnell. Das meinen jedenfalls Kräuterexperten der Firma Dr. Pandalis Urheimische Medizin. Sie werfen dem BfR vor, altbekannte Tatsachen lediglich neu zu bewerten und „Angst bei den Verbrauchern auszulösen“.

Bei der EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) wird das PA-Problem in Lebensmitteln seit 2007 verfolgt und mehr Forschungsbedarf angemahnt. Die Verbraucherschutzzentrale NRW hält diesen Zustand für unbefriedigend und forderte bekannte Teeanbieter auf, das Problem selbst anzugehen. Die Resonanz, ein verläßliches Selbstkontrollsystem zu schaffen, sei sehr gemischt ausgefallen. Endlich Grenzwerte einzuführen und Kontrollmaßnahmen zu intensivieren, sei unabdingbar.

Aber auch die unternehmerischen Kräuterexperten zeigen sich unzufrieden. Keine deutsche Regierung habe es für notwendig befunden, PA-Grenzwerte bei Lebensmitteln festzulegen. Solange keine substantiell neuen Erkenntnisse vorlägen, bestünde keine neue Handlungsnotwendigkeit. Im Gegenteil: Die „jahrtausendealten, bewährten Pflanzen“ müsse man „vor den abstrusen Aussagen des BfR in Schutz nehmen“.

Skeptiker empfehlen, auf Pfefferminz aus dem eigenen Garten zurückzugreifen. Ansonsten warnen Verbraucherschützer in Anlehnung an das BfR vor dem Genuß von zuviel Kräuter-, Schwarz-, Roibusch- und grünem Tee. Eine Tasse pro Tag sei genug, für Kinder, Schwangere und Stillende eine Vierteltasse. Neben Tees gilt den Risikoforschern auch Honig als vermehrt PA-belastet. Als Ursache werden Pollen verschiedener Pflanzenarten genannt. Rohhonige aus einigen Ländern Mittel- und Südamerikas sowie Asiens weisen den Untersuchungen zufolge relativ hohe Werte aus.

Das BfR hat inzwischen auf die Kritik von Teefirmen reagiert. Es bestehe kein Grund zur Panik, heißt es in einer kürzlich aktualisierten Mitteilung: „Bei dem Verzehr von Honig oder Kräutertee- und Teeaufgüssen ist eine akute gesundheitliche Gefährdung für Verbraucherinnen und Verbraucher durch Aufnahme von PA unwahrscheinlich. Grundsätzlich sollten aber bei der Produktion und Herstellung von Honigen, sowie Kräutertees und Tees, Maßnahmen zur Reduktion von Pyrrolizidinalkoiden, getroffen werden, um auch das mögliche Gesundheitsrisiko bei einem langfristigen hohen Verzehr dieser Lebensmittel soweit wie möglich zu minimieren.“

Portal zu den Kreuzkräuter-Auswirkungen: phyto.pharma.uni-bonn.de

 

Pyrrolizidinalkaloide im Kräutermix

Sämtliche Produkte „werden aus ausgesuchten Rohstoffen hergestellt und stammen grundsätzlich aus Heil- und Lebensmittelpflanzen, die nicht für ihren Gehalt an Pyrrolizidinalkaloiden bekannt sind“, beteuert die Gesundheitsfirma Dr. Pandalis. Doch auch für Bioläden wird es immer schwieriger, PA-freie Kräutermischungen oder Tees anzubieten. Denn einer der Hauptverursacher, das gelbblühende Jakobskreuz- oder Greiskraut (Jacobaea vulgaris), breitet sich rasant aus. Längst ist die genügsame Pflanze auch in Amerika und Australien heimisch. Früher fand sich Greiskraut sogar in Samen zur Straßenbegrünung. Brachflächen und geringerer Herbizideinsatz fördern die Ausbreitung auf Äckern und Wiesen. Der Arbeitskreis Kreuzkraut empfiehlt neben Ausstechen und nachhaltiger Weidepflege für den Notfall „Totalherbizide“ für befallene Flächen. Wegen der Gefahr der Neueinwurzelung dürften Reste nicht kompostiert werden.

www.ak-kreuzkraut.de/verbreitung.htm

www.bfr.bund.de/

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