© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/13 / 01. November 2013

Frisch gepresst

Widerstand. Der Leipziger Unternehmer Walter Cramer, der zwanzig Jahre lang erfolgreich an der Spitze der größten deutschen, international agierenden Kammgarnspinnerei stand, wurde am 14. November 1944 vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und am selben Tag hingerichtet. Der deutschnational eingestellte Konzernchef gehörte zum engeren Zirkel des bis 1936 amtierenden Leipziger Oberbürgermeisters Carl Goerdeler und war von ihm für den Fall des geglückten Attentats vom 20. Juli 1944 als „Politischer Beauftragter“ für Sachsen ausersehen. Seine Enkelin, die Ethnologin Beatrix Heintze, hat 1993 bereits eine Biographie des in der Widerstandsforschung wenig beachteten Hitlergegners vorgelegt, die sie nun mit einer Edition der Gefängnisbriefe und Haftnotizen ergänzt. Diese Dokumente vermitteln einen vorzüglichen Einblick in die unter den Bedingungen des vermeintlich „totalen“ NS-Staates intakt gebliebene großbürgerliche Gegenwelt Mitteldeutschlands, die sich erst unter der SED-Diktatur in Windeseile auflöste. (sd)

Beatrix Heintze (Hrsg.): Walter Cramer. Gefängnisbriefe an seine Familie nach dem 20. Juli 1944. Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2013, gebunden, 239 Seiten, Abbildungen, 28 Euro

 

Theodor Eicke. Sind unsere Nachwuchshistoriker weiterhin so emsig, so dürfte in absehbarer Zeit für jede SS-Charge, vom Sturmbannführer aufwärts, eine dickleibige Biographie vorliegen. Im Bann dieser negativen Faszination des Schwarzen Ordens entstand auch die Würzburger Dissertation von Niels Weise, die sich Theodor Eicke widmet, dem Kommandanten des Konzentrationslagers Dachau, der im Winter 1943 als Führer der Waffen-SS Division „Totenkopf“ an der Ostfront fiel. Unter welchen Bedingungen dieser verkrachten Existenz eine „exemplarische SS-Karriere“ gelingen konnte, stellt Weise erstmals quellennah, detailliert und nüchtern dar, indem er die seit langem erprobten Erklärungsmuster für „Täterbiographien“ im NS-Staat auch auf diese, sich von den Intellektuellen im Reichssicherheitshauptamt allerdings erheblich unterscheidende Landsknechtfigur anwendet. Ein großes Rätsel bleibt indes die Gewalt- und Tötungsbereitschaft dieses Mannes, der Ernst Röhm erschoß. Aber eine „Vollbiographie“ wollte Weise ausdrücklich auch nicht schreiben. (ob)

Niels Weise: Eicke. Eine SS-Karriere zwischen Nervenklinik, KZ-System und Waffen-SS. Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2013, gebunden, 456 Seiten, Abbildungen, 39,90 Euro

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