© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/13 / 01. November 2013

Die mitteldeutsche Sowjetunion von 1923
Als Friedrich Ebert die Koalitionen seiner Genossen mit der KPD in Thüringen und Sachsen beendete
Wolfgang Kaufmann

Am 29. Oktober beziehungsweise 6. November 1923 erließ Reichspräsident Friedrich Ebert zwei Notverordnungen gemäß Artikel 48 der Reichsverfassung, in denen er „zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ in Sachsen und Thüringen verfügte, daß Reichskanzler Gustav Stresemann ermächtigt sei, Mitglieder der Landesregierungen in Dresden und Weimar „ihrer Stellung zu entheben und andere Personen mit der Führung der Dienstgeschäfte zu betrauen“. Und das tat Stresemann dann auch umgehend: So ernannte er noch am 29. Oktober einen Reichskommissar für Sachsen und ließ hernach die Vertreter der SPD/KPD-Koalitionsregierung unter Ministerpräsident Erich Zeigner von bewaffneten Reichswehrkommandos aus den Ministerialgebäuden entfernen. In Thüringen traf es dann kurz darauf in gleicher Weise das Kabinett von August Frölich (SPD), zu dem ebenfalls KPD-Minister gehörten.

Aus der Sicht linksgerichteter Historiker handelte es sich hierbei um einen glatten Verfassungsbruch, der nur einem Zweck diente, nämlich dem „Wiedererstarken des deutschen Imperialismus“. Dabei verdrängen sie allerdings, was der sogenannten Reichsexekution nach Artikel 48 vorausgegangen war.

Beispielsweise brachte die Prawda, das Parteiblatt der russischen Bolschewisten, am 5. Oktober 1923 einen Beitrag aus der Feder von KPD-Chef Heinrich Brandler, der in der Feststellung gipfelte: „Die Lage in Deutschland hat sich soweit zugespitzt, daß das Problem der siegreichen Revolution zweifelsohne in seiner ganzen Größe vor uns steht.“ Und genau diesen Brandler hatte sich der sächsische Sozialdemokrat Zeigner gemeinsam mit zwei weiteren hochrangigen Kommunisten, nämlich Paul Böttcher und Fritz Heckert, am 10. Oktober 1923 in sein „Kabinett der republikanischen und proletarischen Verteidigung“ geholt, genauso wie sein Thüringer Amtskollege und Parteigenosse Frölich das sechs Tage später mit den KPD-Funktionären Karl Korsch und Albin Tenner tat.

Angesichts des revolutionären Impetus von Brandler und dessen Genossen versteht es sich von selbst, daß die kommunistischen Minister als offensichtliche Feinde der verfassungsmäßigen Ordnung der Weimarer Republik angesehen wurden, die nichts in einer Landesregierung zu suchen hatten – auch wenn man in Berlin noch keineswegs alle alarmierenden Fakten kannte. Letztlich war die KPD-Beteiligung an den linkssozialdemokratischen Kabinetten in Mitteldeutschland nämlich sogar das Ergebnis einer geheimen Weisung des Chefs der Kommunistischen Internationale Grigori Sinowjew an die Parteizentrale in Berlin: „Da wir die Lage so einschätzen, daß der entscheidende Moment nicht später als in vier, fünf, sechs Wochen, nicht später, kommt, so halten wir es für notwendig, jede Position, die unmittelbar nützen kann, sofort zu besetzen. Aufgrund dessen glauben wir: bei gegebener Lage muß man die Frage unseres Eintretens in die sächsische Regierung praktisch stellen. Dasselbe in Thüringen.“

Die Hauptaufgabe der fünf Komintern-Handlanger war dabei, ihre jeweiligen Ministerposten zu nutzen, um für die Bewaffnung von 50.000 bis 60.000 Mitgliedern der „Proletarischen Hundertschaften“ zu sorgen. Diese paramilitärische Bürgerkriegstruppe der Kommunisten, die seit August 1923 immer provokanter auftrat, sollte nach den Wunschträumen der Moskauer Parteiführung am 9. November, dem Jahrestag der Revolution von 1918, losschlagen.

Daß Brandler und die anderen vier hierbei versagten, tut genausowenig zur Sache wie der Beschluß der Betriebsräte- und Arbeiterkonferenz in Chemnitz vom 21. Oktober 1923, Brandlers flammenden Aufrufen zum Generalstreik und Volksaufstand nicht nachzukommen. Aus der Sicht der Reichsführung war mit dem Regierungseintritt hochrangiger KPD-Funktionäre eine akute Gefahrensituation entstanden, welche die naiven Linkssozialdemokraten in Dresden und Weimar billigend in Kauf nahmen, um ihr politisches Programm umzusetzen, das im Kern lautete: Entfernung der „reaktionären Kräfte“ aus Verwaltung und Polizei, Kampf gegen „faschistische“ Organisationen, Ausbau „proletarischer Notwehren“, Erweiterung der Arbeiterrechte, staatlich geförderte Arbeitsbeschaffung und Reformen in Justiz- und Bildungswesen.

Ebenso wird vor diesem Hintergrund verständlich, warum Reichswehrminister Otto Geßler und Reichspräsident Ebert das Militär bereits am 21. Oktober nach Sachsen in Marsch setzten: Es stand einfach zu befürchten, daß kommunistische Kämpfer die Reichsexekution verhindern sowie schwere Unruhen provozieren könnten, wie es dann unmittelbar darauf beim kurzlebigen Hamburger Aufstand vom 23. und 24. Oktober 1923 tatsächlich auch der Fall war.

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