© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/13 / 01. November 2013

Kleopatras Spitzbrüste
Marionettentheater: Spejbl & Hurvinek
Thorsten Thaler

Was in den Geschichtsbüchern steht, ist Fiktion“, erklärt die Erzählerin dem Vater und seinem Sohn. Es gebe nur eine Geschichte, aber viele Geschichtsbücher. Vater und Sohn, das sind Spejbl & Hurvinek, die beiden bekanntesten Marionetten des tschechischen Puppenspielers Josef Skupa (1892–1957). Spejbl betrat 1920 die Szene, gefertigt von dem Holzschnitzer Karel Nosek. Sechs Jahre später schnitzte dessen Neffe Gustav Nosek die Hurvinek-Figur. Jetzt gastierte das Prager Marionettentheater für einige Auftritte in Berlin. Nachmittags wurde ein Kinderprogramm gespielt, abends ein Stück für Erwachsene.

Zu Beginn blättert Hurvinek in einem Geschichtsbuch und findet darin nur Kriege, Kriege und nochmals Kriege. Schnell vergeht ihm die Lust, doch Spejbl besteht darauf, daß sein Sohn ordentlich lernen soll. Mit Hilfe der Erzählerin leitet der Vater den Sohn nun durch geschichtliche Ereignisse, um ihm die Achtung vor berühmten Figuren der Vergangenheit beizubringen und ihm zu zeigen, daß Geschichte nicht nur eine endlose Abfolge von Kriegen bedeutet, sondern auch eine ganze Reihe genialer Ideen, Taten und Entdeckungen zum Wohle der Menschen hervorgebracht hat. Die gedankliche Reise führt ins Griechenland von König Agamemnon, nach Ägypten zu Kleopatra und nach Rom zu Julius Cäsar, außerdem geht es ins Großmährische Reich und zu den Hussiten.

„Was in den Geschichtsbüchern steht, ist Fiktion.“ Was hätte dieser Deklarativsatz nicht für ein famoser Ausgangspunkt für ein ebenso lehrreiches wie zugleich humorvolles Theaterstück sein können. Hätte, hätte, Fahrradkette. Außer vordergründigem Pennälerklamauk – Kleopatra ist mit monströsen nackten Spitzbrüsten und einem riesigen Hinterteil ausgestattet, mit dem sie aufreizend vor Cäsar herumwackelt – bieten die zweimal 50 Minuten Programm hauptsächlich gepflegte Langeweile. Vereinzelte Wortwitzchen in den Dialogen zwischen Spejbl und Hurvinek lassen zwar schmunzeln, tragen das Stück aber nicht über die gesamte Dauer. Einzig die Kunstfertigkeit der beiden Marionettenführer, mit der sie ihre Figuren lebendig werden lassen, sowie Martin Klasék, der beide Stimmen spricht, verdienen großen Beifall.

Am Ende des Puppenspiels steht die banale Erkenntnis, daß große Ideen und Erfindungen, die den Menschen dienen sollten, auch mißbraucht wurden, und Spejbl betet: „Gebe Gott, daß unsere Kinder nie mehr ‘Warum?’ fragen müssen.“ Ach Gottchen.

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