© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/13 / 01. November 2013

Pankraz,
Ingo Maurer und der Tod der Glühbirne

Lightopia“ nennt sich – etwas überkandidelt und allzu modisch – eine Ausstellung im Vitra-Design-Museum in Weil am Rhein über Geschichte, Gegenwart und Zukunft elektrischer Beleuchtungskörper. Pankraz empfand die Schau eher als melancholischen Abgesang einer Epoche denn als utopischen Ausgriff in künftige Gefilde. Wer sich auf späte feuchtfröhliche Wein-Rhein-Tour begibt, sollte dem „Vitra“ in diesen Tagen wohl lieber fernbleiben.

Dokumentiert wird dort vor allem eines: der Tod der Glühbirne. Seitdem im Jahre 2008 die Brüsseler EU-Bürokraten die Glühbirne und ihre Derivate als „Energieverschwender ersten Ranges“ verboten haben und alle Hersteller ultimativ aufforderten, sie umgehend vom Markt zu nehmen, läutet das Totenglöcklein. In den virtuellen Kaufhäusern herrschen Zorn und Aufregung. Kunden, die den neuen (und durch die Bank potthäßlichen) Ersatzprodukten nicht trauen, versuchen sich immer noch mit den letzten verfügbaren Glühbirnen-Beständen einzudecken, andere, zu spät gekommene, klagen laut.

In Weil am Rhein hängt eine Petition prominenter Autoren, Künstler und Architekten aus dem Jahre 2010 an der Wand, in der in leidenschaftlichen Worten gegen das Brüsseler Glühbirnenverbot protestiert wird. Initiator und Erstunterzeichner war der legendäre Industriedesigner und Schöpfer vieler Licht-Installationen Ingo Maurer (81), der auch beim Aufbau der jetzigen Ausstellung mitgeholfen hat. „Wir können die Glühbirne nicht aufgeben“, erklärte er damals, „sie ist eine kulturhistorische und künstlerische Ikone ohnegleichen.“

In der Ausstellung stehen Vitrinen, in denen, wie eine lokale Zeitung schrieb, diese Ikonen in allen Größen und Formen „feierlich aufgebahrt“ liegen, in den verschiedensten Fassungen und Wendeln, mit Kohleglühfäden und Wolframfäden. Daneben sieht man höchst eindrucksvolle Derivate, so etwa die berühmte Großlampe „MT 10“ von Wilhelm Wagenfeld und Carl Jakob Jucker aus dem Jahre 1924 oder Poul Henningsens „PH Kogle“ von 1958, an deren Stahlbögen insgesamt 72 Lichtblätter installiert sind; auch die gewaltigsten Kerzenleuchter der elektrolosen Barockzeit reichten nicht an diese Vielfalt heran, von ihrer Leuchtkraft zu schweigen.

Verglichen mit solchen Exorbitanzen nimmt sich das, was in Weil als „Lightopia“, also als Ausblick auf unsere Lichtzukunft, gezeigt wird, recht mickrig aus. Es sind ganz überwiegend krampfige Versprechungen, keine seriösen Realitäten; auch das die ganze Schau überwölbende „Highlight“, die Installation „Temporali“ von Alberto Garutti von 2010, ist von dieser Art: ein mit einer Wetterstation in Italien verbundener riesiger Kronleuchter, der jeweils aufflammt, wenn sich dort ein Blitz entlädt. Ach Gott, wie witzig! Aber so steht es nun einmal mit Utopien, die unbedingt ins Bild gesetzt werden sollen.

Auch der die Schau intensiv durchziehende Lobpreis des Beleuchtungswesens geht ein bißchen auf die Nerven. Natürlich stimmt es: Jahrtausendelang hat sich die Menschheit nach Licht gesehnt, nach Licht und immer mehr Licht. Alles, was mit Licht, mit Erleuchtung und Strahlenkranz zu tun hatte, wurde gepriesen, gefeiert, angesungen, in Verse gefaßt. Sämtliche Religionen auf Erden sind Lichtreligionen. Im Lichte zu wandeln, war identisch mit Erlösung und ewigem Leben.

Als vor hundert Jahren mittels Elektrizität die große Beleuchtungssause losging, gab es keine soziale Fraktion, die das nicht begeistert begrüßt hätte. Bald wurde die Nacht zum Tag, und damit weiteten sich die industriellen und kulturellen Möglichkeiten gewaltig aus. Das Unterhaltungsgewerbe kam erst jetzt richtig in Fahrt, verlegte den größten Teil seiner Veranstaltungen, speziell die anrüchigen und degoutanten, in die elektrisch illuminierten Abend- und Nachtstunden. Keinem Kulturkritiker wäre es jedoch eingefallen, deshalb vor Lichtverschmutzung zu warnen.

Heute jedoch ändert sich das. Man merkt allmählich, daß „Licht pur“ in einer hämischen Kurve zur Finsternis zurückführt, daß das Licht die Finsternis, die Dunkelheit, die Schatten und Halbschatten braucht, um überhaupt wahrgenommen zu werden. Wir sehen nicht das Licht, sondern nur Beleuchtetes, und wir sehen es einzig deshalb, weil es die Dunkelheit gibt. Erst Licht und Schatten zusammen lassen für uns Welt entstehen. Ein von allen Seiten grell und gleichmäßig angeleuchteter Gegenstand entschwindet aus unserem Auge, seine Vorhandenheit muß vom Tastsinn bezeugt und sichergestellt werden.

Ein Übermaß an Licht hat physiologisch schlimme Folgen. Es schmerzt, wie jeder Häftling weiß, dem beim Verhör die Verhörlampe ins Gesicht gehalten wird. Man kann mit Licht foltern. Man kann mit ihm sogar (Laserstrahl) die härtesten Substanzen zerstören. Und was für die Physiologie, für die Körperwelt, gilt, gilt für die Psyche, die Seelenwelt, nicht minder. Licht, „Aufklärung“ und Laserstrahl allein zerstören. Es muß die Möglichkeit zur Verbergung dazutreten, zur Geheimnis-Stiftung, man muß einen Absonderungswinkel haben, in dem man ganz für sich oder mit den nächsten Seinen unter sich bleiben kann.

Von alledem zeigt die Weiler Schau leider nichts. Sie jubelt stattdessen, daß die neuartigen digitalen Beleuchtungstechniken das Licht endlich voll „demokratisieren“ würden, und zeigt anklagend eine Weltkarte, auf der zu sehen ist, wie wenig letztlich doch der „Beleuchtungsgrad“ bisher durchgesetzt sei. Grell beleuchteten Weltgegenden, besonders in Europa und in den USA, stehen da riesige Flächen in Afrika, Asien oder Südamerika entgegen, über denen sich nach wie vor Finsternis ausbreitet. „Es gibt viel zu tun“, will man damit sagen. „Beleuchtungstechniker an die Front!“

Um aber mit Ingo Maurer zu sprechen: Beileibe nicht alle Beleuchtungstechniken liefern gutes Beleuchtungsdesign, einige zerstören es sogar, siehe das Schicksal der Glühbirne. Man darf auch in Sachen Beleuchtung nicht alles den Technikern überlassen, sonst steht man bald als bloßes Folterobjekt da.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen