© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/13 / 01. November 2013

„Die Europäer benehmen sich wie verdammte Heuchler“
US-Abhörskandal: Für die große Mehrheit der Amerikaner sind die Spähaktionen der NSA kein Thema / Obama um Schadensbegrenzung bemüht
Thorsten Brückner

Ein paar tausend demonstrierten am Samstag in Washington gegen die Massenüberwachung durch den Geheimdienst NSA. Ein paar tausend, die sich der Kampagne „Stop Watching Us“ anschlossen – in einem Land mit knapp 300 Millionen Einwohnern.

Die Mehrheit der Amerikaner scheint kein Problem mit der Telefonausspähung zu haben. Weder mit der der eigenen Bürger, geschweige denn mit der von ausländischen Staatschefs. Bei manchem schwingt sogar so etwas wie heimlicher Stolz mit. Will Cain, politischer Analyst vom Fernsehsender The Blaze, brachte die Stimmung vieler Amerikaner auf den Punkt. „Ich wäre enttäuscht, wenn wir unsere Verbündeten nicht überwachen würden“, sagte er. Amerikas sicherheitspolitisches Schwergewicht unter den Kommentatoren, der neokonservative Publizist Charles Krauthammer, geht sogar noch einen Schritt weiter: „Die Europäer benehmen sich wie verdammte Heuchler. Sie haben die Spionage erfunden, und jetzt sind sie schockiert darüber, daß wir es tun. Ich glaube, sie sind neidisch, daß wir es so gut können“, sagte er dem Sender Fox News.

Einzig die Obama-Regierung setzt auf Schadensbegrenzung. In einem Beitrag für USA Today ließ der Präsident seine Beraterin für Innere Sicherheit Lisa Monaco eine Überprüfung der derzeitigen Überwachungsstrategie ankündigen. Dies geschehe vor allem aus „Respekt“ vor den Verbündeten.

Selbst für ein solch minimales verbales Entgegenkommen schlägt Obama aber ein eisiger Wind der alten republikanischen Garde um den New Yorker Kongreßabgeordneten Peter King entgegen. „Der Präsident soll aufhören, sich zu entschuldigen“, forderte er in der Sendung „Meet the Press“ auf NBC. Konkret sei die Abhörung dadurch zu rechtfertigen, daß in Hamburg die Planung für den 11. September begonnen habe, so King weiter. Viele sehen in der aufgeregten Debatte in Deutschland vor allem ein innenpolitisches Problem. Der latente Antiamerikanismus in Europa zwinge die Regierungen, unter dem Druck der Bevölkerung Botschafter einzubestellen und lautstark gegen Maßnahmen zu protestieren, die sie umgekehrt selbst jederzeit anordnen würden, meint der Wall-Street-Journal-Kolumnist Bret Stephens. Allgemein wird die Entrüstung in Deutschland als besonders stark wahrgenommen. Ehrliche Töne wie die des früheren französischen Außenministers Bernard Kouchner schätzt man dagegen im politischen Washington: „Wir wollen ehrlich sein, wir belauschen auch. Jeder hört jeden ab. Aber wir haben nicht dieselben Möglichkeiten wie die USA. Und das macht uns neidisch.“ Allgemein überwiegt in den US-Medien aber ein gewisses Desinteresse an der Merkel-Affäre.

In den Talkradio-Shows ist das große Thema weiterhin Obamacare. Innenpolitischen Gegenwind hat der Präsident eher wegen des Debakels um seine Gesundheitsversicherung zu erwarten als von der Spionageaffäre. Zehntausende, die ihre Versicherung verlieren, steigende Prämien für alle und immer mehr Menschen, die dadurch in das staatliche subventionierte System gezwungen werden, lassen auch liberale Journalisten aufstöhnen. „Das ist nicht das, was sie uns angepriesen haben“, sagte die der Obama-Regierung freundlich gesinnte Kolumnistin Kirsten Powers. Mit den anstehenden Beratungen über eine umfassende Einwanderungsreform steht auch schon das nächste Thema in den Startlöchern, das die Herzen der Amerikaner bewegt. In bezug auf Merkels Handy haben sie da eher eine lange Leitung.

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