© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/13 / 01. November 2013

Streit in der Backstube
EU-Recht: Der Europäische Gerichtshof muß darüber entscheiden, ob in Görlitz noch Schlesischer Streuselkuchen hergestellt werden darf
Paul Leonhard

Bei Michael Tschirch in Ober Neundorf bei Görlitz gibt es Schlesischen Mohnkuchen und Schlesischen Kleckskuchen, beide natürlich mit Butterstreusel. Aber es gibt keinen Schlesischen Streuselkuchen mehr. Dabei war das bisher eine Spezialität des Handwerksmeisters, der sich selbst Schlesien-Bäcker nennt, für die dieser gerühmt wurde. Stattdessen hat Tschirch seit einiger Zeit etwas im Angebot, das wie Original Schlesischer Streuselkuchen aussieht, aber in der Bäckerei und allen Filialen Schlesischer Butterdrückstreusel genannt werden muß.

Was das ist? Tschirch grinst, schweigt und verweist auf seine Internetseite. Immerhin ist er Obermeister der Niederschlesischen Bäckerinnung, und der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks hat des Streuselkuchens wegen gerade ein Verfahren beim Europäischen Gerichshof anhängig. Unter dem Aktenzeichen T-354/13 haben die Bäcker gegen einen Beschluß der Europäischen Kommission geklagt. Die hatte abgelehnt, den geographischen Schutz für den Schlesischen Streuselkuchen zu löschen.

Der Streit geht ins Jahr 2011 zurück. Damals hatte die EU-Kommission einem Antrag Polens zugestimmt, und die Bezeichnung „Kolocz slaski/Kolacz slaski“ in das Register der geschützten Ursprungsbezeichnungen und der geschützten geographischen Angaben eingetragen. Damit durfte nur noch in der oberschlesischen Woiwodschaft Oppeln sowie zwei Dutzend benachbarten Kreisen und Städten dieser Kuchen gebacken werden. Die mögliche Einspruchsfrist verstrich, ohne daß ein Widerspruch angemeldet wurde. Die Bäcker im übrigen Schlesien einschließlich des seit 1945 zu Sachsen gehörenden Teils Niederschlesiens hatten den polnischen Vorstoß nicht wahrgenommen. Erst als bekannt wurde, daß die Oberschlesier mit „Kolocz slaski“ offenbar den Schlesischen Streuselkuchen meinten, war die Aufregung groß.

Bis heute ist umstritten, ob das polnische Backwerk mit seiner Füllung aus Quark, Mohn und Äpfeln überhaupt mit dem deutsch-schlesischen identisch ist. Gemeint sei nicht Schlesischer Streuselkuchen, sondern „Schlesische Kolatsche“, versuchte kurz vor Weihnachten 2011 die Sächsische Staatskanzlei die Gemüter der Niederschlesier zu beruhigen. Allerdings riet der Chef der Staatskanzlei der Bäckerinnung, ihrerseits einen Geoschutz-Antrag zu stellen. Auch der sächsische Europaabgeordnete Hermann Winkler (CDU) ermunterte zu diesem Schritt: Vereinigungen mit berechtigtem Interesse könnten einen Antrag auf Erweiterung des geographischen Gebietes stellen, für das der Namensschutz gilt.

Damit schien der Streit ausgestanden. In Ober- und Niederschlesien wurde weiterhin Kolocz slaski beziehungsweise Schlesischer Streuselkuchen gebacken und verkauft. Dann aber warnte der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks seine Mitglieder vor möglichen saftigen Geldstrafen wegen Verstoßes gegen das EU-Siegel. Daß der Verband aber auch Anfang Juli dieses Jahres Klage beim Gericht der Europäischen Union in Luxemburg eingereicht hatte, wurde erst durch einen Blog von Hans Peter Lehofer, einem Richter am Österreichischen Verwaltungsgerichtshof, Mitte September bekannt, den wiederum der Spiegel für einen Beitrag nutzte. Lehofer hatte den im Amtsblatt der EU angekündigten Rechtsstreit auf seiner Internetseite unter der Schlagzeile „Streuselkuchen und Grundrechte – oder: Wenn deutsche Bäcker vor dem EuG über die Grenzen Schlesiens streiten“ genüßlich kommentiert. Der Richter, der einräumt, die näheren Umstände des Streuselkuchen-Verfahrens nicht zu kennen, erinnert darin an andere „juristische Grenzkonflikte“, wie den Streit um das steirische Kürbiskernöl.

Und er weist vorsorglich darauf hin, daß unlängst im EU-Amtsblatt ein Antrag veröffentlicht wurde, nach dem der Name „Bayerische Brezen“ als geographische Angabe geschützt werden soll.Damit die österreichischen Bäcker auch fortan „bayerische Brezen“ anbieten dürften, müßten sie schnell Einspruch einlegen. Sonst hätten sie ihre Rechte ebenso „zerbrezelt“ wie die niederschlesischen Bäcker ihre „versemmelt“. Auf die Rechtsprechung der Richter in Luxemburg darf man gespannt sein. Bäcker Tschirch hatte bereits mitgeteilt, seine Ware notfalls mit „illegaler Streuselkuchen“ zu etikettieren. Den gibt es dann nur unterm Ladentisch.

Und was ist nun Schlesischer Butterdrückstreusel? Etwas im schlesischen Görlitz und der ganzen Welt mit Ausnahme Oberschlesiens in der Herstellung per europäischer Anordnung Verbotenes, was dick mit Butterdrückstreusel bedeckt wird und über das der Mundartdichter Herrmann Bauch im schönsten schlesischen Dialekt reimte: „Schläscher Kucha, Sträselkucha, doas is Kucha, sapperlot, wie’s uff Herrgotts grußer Arde, nernt nich su woas Gudes hoot. Wär woas noch so leckerfetzig, ein Geschmack ooach noch su schien, über schlescha Sträselkucha tutt halt eemol nischt nicht gihn!“

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