© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/13 / 25. Oktober 2013

Den Zahn der Zeit soll man sehen
Neuer Trend bei alten Autos: Restaurierungen konservieren Verfall und Patina
Bente Holling

Wann wurden je ästhetischere Fahrzeuge gebaut, als in den Kindertagen und Jugendjahren des Automobils? Namen wie Bu­gatti, Maybach oder Lancia Aurelia beschleunigen den Puls von Kfz-Enthusiasten, die auch vor dem herannahenden Winter schon von der nächsten Saison träumen. Dabei muß es nicht mal eine Benzinkutsche aus Diesels Lebzeiten sein, selbst ein Heckflossen-Benz oder original VW-Bulli mit H-Kennzeichen degradieren jeden SUV zum profanen Fortbewegungsmittel. Glücklich ist, wer so einen Schatz besitzt, denn er hat nicht nur ein geschmackvolles Auto, sondern eine Zeitmaschine, eine Schutzkapsel gegen den modernen Zeitgeist.

Doch er hat auch Probleme. Bevor der Scheunenfund wieder im Glanz seiner besten Tage erstrahlt, sind Restaurierungsprofis gefragt. Wenn an Lack und Chrom der Zahn der Zeit genagt hat, ist guter Rat buchstäblich teuer. Vor allem beim Lack ist die Wiederherstellung des Originalfarbtons schwierig: Musterpaspeln, die Lackmuster für die Mischformel der Farbtöne längst nicht mehr existenter Automarken, fehlen, oder die Nitrolacke sind mit modernen wasserbasierten Farben kaum darstellbar.

Das macht den Werterhalt historischer Fahrzeuge schwierig. Ein fahrbereiter Oldtimer, an dem bei der Restaurierung unsachgemäß herumgepfuscht wurde, kann unter Umständen weniger wert sein als ein Fahrzeug, das unrestauriert seit Jahrzehnten unter Staub und Spinnweben schlummert.

Das erklärt einen neuen Trend im Umgang mit historischen Kfz. Grundlage ist die „Charta von Turin“, die, in Anlehnung an ähnliche Satzungen zur Erhaltung von Schiffen und Eisenbahnen, vom Weltdachverband der Oldtimer-Clubs Fiva 2011 formuliert und 2013 in München in Kraft gesetzt wurde. Danach empfiehlt der Verband statt einer Restaurierung auf fabrikneuen Stand, den natürlichen Verfallszustand „einzufrieren“.

Dieses Konzept wurde bereits umgesetzt. Eine Sonderausstellung in Kassel zeigte vierzig „Schlafende Schönheiten“ aus der Sammlung der legendären Gebrüder Schlumpf aus dem elsässischen Mülhausen. Darunter Minervas und Maseratis aus den 1920er und 30er Jahren. Doch wer blanken Chrom, glänzendes Leder und leuchtenden Lack erwartet hatte, wurde enttäuscht: Rost, Risse und Bakterien ließen die Schönheit der Karossen nur noch dunkel erahnen.

Die meisten Oldtimerbesitzer wollen ihre Schönheiten aber auch auf die Straße ausführen. Es muß ja nicht gleich die sagenhafte „Mille Miglia“ sein, auch in Deutschland ziehen Historik-Rallyes regelmäßig ein großes Publikum an. Ob AvD Histo-Monte (Hessen-Monte Carlo), Hamburger Stadtpark-Revival oder Sachsen Classic – wenn Oldtimerfans mit Lederhauben und Fliegerbrillen in Dinosauriern des Straßenverkehrs durch die Landschaft tuckern, erhebt sie das in einen Ritterstand über den gewöhnlichen Verkehrsteilnehmer. Die Blicke der Hinterherschauenden dienen ihnen dabei als antreibender Rückenwind ...

Die Lack-Tochter des Konzerns BASF, das deutsche Traditionsunternehmen Glasurit, hat mit „Classic Car Colors“ eine Marktlücke geschlossen: Die eigens geschaffene Produktreihe ermöglicht Lackierwerkstätten die authentische Restaurierung von Oldtimern. Basis ist das weltweit größte Archiv von Farbtönen und Mischformeln. Die Lackprofis arbeiten mit Autoherstellern, Museen und Sammlern zusammen und recherchieren an Ort und Stelle. „Nach unserer Erfahrung sind alle Farbtöne und Effekte darstellbar, selbst bei den Motorkutschen von vor 1920“, freut sich Glasurit-Experte Jürgen Book.

Ob also fahrtüchtig oder als „schlafende Schönheit“, Oldtimer bleiben als Sachwert in der Euro-Krise interessant, auch wenn sie keine Erträge produzieren. Anlageexperten empfehlen beim Kauf aber auf jeden Fall, den Rat eines Sachverständigen einzuholen. Gebrauchtwagenkauf ist ja immer so eine Sache ... Doch bei dem emotionalen Wert eines Oldtimers wird die Entscheidung wohl stets eine Mischung aus Sachverstand und Bauchgefühl sein.

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