© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/13 / 25. Oktober 2013

Das Konfliktpotential des Regenwaldes
Die Politik Brasiliens öffnet sich ökologisch, trotzdem schwinden Amazoniens Wälder / Verlust an Artenvielfalt
Christoph Keller

Brasilien erlebt derzeit soziale Unruhen, nachdem das von einer Hochkonjunktur getragene, kraftstrotzende Schwellenland lange neben China und Indien als kommende Weltmacht gehandelt wurde. Gründlich vergessen war, daß Brasilien bis 2000 über Jahrzehnte hinweg ausschließlich aufgrund der Vernichtung des Regenwaldes im Amazonasbecken am Pranger stand.

Die eher positiven Berichte, bedingt auch durch den Glanz des künftigen Gastlandes der Fußball-WM (2014) wie der Olympischen Spiele (2016), änderten jedoch an der ökologischen Negativbilanz in der größten Waldregion der Welt kaum etwas. Allerdings, so berichtet Thomas Fatheuer (Politische Ökologie 134/13), der das Brasilien-Büro der Heinrich-Böll-Stiftung leitet, hat der Wald den monströsen Entwicklungsschub, der Amazonien in eine Wirtschaftsregion verwandelte, die von Millionenstädten, der Aluminiumindustrie und expandierenden Soja-Monokulturen geprägt ist, „in beachtlichem Ausmaß“ besser überstanden als befürchtet.

Denn durch die schon vor dem Zweiten Weltkrieg begonnene „Erschließung“ dieser gigantischen Naturräume sei „nur“ ein Fünftel des Regenwaldes zerstört worden. Bremsend wirkte dabei einerseits die technisch unzureichende Ausstattung, so daß Riesenareale unzugänglich blieben. Andererseits erfaßte seit den 1970er Jahren der „Umweltschutz“ auch Südamerika. In Brasilien avancierten die Erhaltung des artenreichen Ökosystems Regenwald zu einem der vordringlichsten Politikziele. Weiteren Rückhalt bekamen Amazoniens Anwälte nach der Veröffentlichung des britischen Stern-Klimareports (2006), der den stets umstrittenen Konnex zwischen Waldschutz und Klimawandel entschieden habe. Daß die Bewahrung tropischer Regenwälder zentraler Bestandteil der Klimapolitik sei, sei seitdem „allgemein akzeptiert“. Und seit der UN-Klimakonferenz auf Bali (2008) stehen tropische Wälder im Mittelpunkt eines künftigen globalen Klimaregimes mit seinem komplizierten Finanzierungssystem (REDD), das Emissionen aus Entwaldung und zerstörerischer Waldnutzung reduzieren soll.

Trotzdem schreite die Umwandlung von Wald in landwirtschaftliche Fläche in Amazonien voran. Auch die mit großen Erwartungen etablierte Holzzertifizierung erfasse in Lateinamerika „nur sehr geringe Flächen“. Brasilien erlebte 2004/05 sogar einen „neuen Höhepunkt der Entwaldung“. Der Aufstieg zum führenden Fleisch- und Soja-Exporteur ging zu Lasten des Regenwaldes. Gleichzeitig entfaltet der Fundo Amazônia, der größte Finanzierungsmechanismus auf REDD-Basis, der die Indianervölker am Amazonas für ihre „Ökosystemdienstleistungen“ entschädigen soll, auch Konfliktpotential. Zudem torpedieren Akteure wie der US-Gentechnikkonzern Monsanto den ökologischen Politikwechsel mit Gutachten, die die Förderung gentechnisch veränderter Direktsaaten als beste Strategie empfehlen, um den Verlust von Biodiversität zu stoppen.

amazonfund.gov.br

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