© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/13 / 25. Oktober 2013

Peps, Ruß, Robber und die Deutschen
Richard-Wagner-Jubiläumsjahr: Leben und Werk des Meisters in ausgewählten Neuerscheinungen
Sebastian Hennig

Inmitten der Wirkung seiner Kunst bleibt die Person Richard Wagners ein offenbares Geheimnis. Es nehmen darum die Buchveröffentlichungen kein Ende über den großen Geist, der unerhörte Signale aussendete, die ebenso rigorose Erwiderungen hervorriefen. Sofern es sich nicht um die Ausleuchtung einzelner Aspekte handelt, entscheidet vor allem der eigene Ton, die besondere Haltung des Autors über die Lesbarkeit seiner Hervorbringung. Die Veröffentlichungen können kaum neue Erkenntnisse bieten, allenfalls Einsichten.

Ganz besonders raffiniert ist der Einfall, sich Wagner von der Seite seiner stummen Begleiter her anzunähern. „Richard Wagner mit den Augen seiner Hunde betrachtet“ von Kerstin Decker ist ein liebenswürdiges, unterhaltsames und gerechtes Buch. Denn die komplizierte Wahrheit dieses Lebens wird nicht für einen launigen Einfall zurechtgestutzt. Dafür kann die gebieterische Attitüde des „Meisters“ im Verhältnis zu seinen vierbeinigen Freunden klar zutage treten. Seinen vorbehaltlos Getreuen war er ein getreuer Schutzherr. Und wo er selbst darbte, mühte er sich zudem, diesen Kreaturen ihren teils recht großen Rachen zu füllen.

Das Gefühl unangemessener Wahrheitsanmaßung mancher Autoren, die berichten, als wären sie selbst als Zeugen dabeigewesen, wird hier ironisiert durch den Bericht der Hunde-Augenzeugen. Der reicht von der frühen Vorpremiere aller musikalischen Einfälle vor den Ohren des kritischen Zwergspaniels Peps bis zum Zeitpunkt, da der getreue Ruß sehen muß, wie der Herr im gefährlichen Abgrund des Bayreuther Orchestergrabens versinkt. Die Flucht aus Riga und vor der Verantwortung mißglückte insofern, als ihn zumindest sein schwarzer Neufundländer Robber in Mitau einholte. Da keine Kutsche auf dessen Leibesumfang berechnet war, schiffte man sich für die Weiterreise ein.

Betrachtungen über „Richard Wagner und die Deutschen“ hat Sven Oliver Müller angestellt. Der Historiker leitet eine Forschungsgruppe der Max-Planck-Gesellschaft zum Verhältnis von Emotion und Musik und über „gefühlte Gemeinschaft“. Bei dieser Aufgabenstellung liegt nun freilich Richard Wagner ebenso nah wie für Wagner selbst das deutsche Thema. Doch Müller blickt äußerst mißtrauisch auf die Sache. Das Deutsche an sich ist ihm heikel. Daß es zu Wagners Zeit für jeden geistig regsamen Menschen das ursprünglich gegebene Thema war, die eigentliche Idee von Fortschritt und Freiheit erfüllte, spielt für ihn keine Rolle.

Der Wagner-Experte Udo Bermbach bemängelte bereits zu Recht in seiner Rezension, daß der Autor den Begriff des Deutschen, der seinen Betrachtungen zugrunde liegen müßte, nicht genauer kennzeichnet. Der Autor fischt im Trüben, das er selbst um das Thema verbreitet, indem er ständig Unzugehöriges aufwühlt. Aus Leiden, Wollen und Werden wachsen Gestalten und Mythen hervor. Ihre Entstehung gibt ihnen Berechtigung. Doch Müller zermüllert sie alle im harten Mörser seines Büchleins.

Weit gehaltvoller berichtet eine kleine und umfassende Studie über Wagner-Aufführungen in der SBZ und der DDR in der Reihe „Leipziger Beiträge zur Wagner-Forschung“ über das gemeinsame Schicksal von Richard Wagner und den Deutschen. In den ersten Jahren dominierten Werke, für welche zumindest der technische Aufwand überschaubar war, wie „Holländer“, „Tannhäuser“ und „Tristan“. Als 1960 in Leipzig der einzige Opern-Neubau der DDR eröffnet wurde, geschah das programmatisch mit „Die Meistersinger von Nürnberg“. Die einzige heitere Oper Richard Wagners wurde in der DDR bevorzugt gegeben, da in ihr die guten deutschen Kräfte vermutet wurden, aus denen das ohnmächtige Land wieder zu Bewußtsein gelangen könnte. Das Kunststück, gemeinschaftsstiftende Faszination von Wagners Werken in einer marxistischen Deutung zusammenzuführen, gelang während vier Jahrzehnten DDR jedoch keinem.

Das Werk wurde genommen, wie es war; willkürliche Entstellungen wurden von Kritik und Publikum einhellig zurückgewiesen. So eine „Ring“-Inszenierung von Ruth Berghaus 1979 an der Berliner Staatsoper, die nach dem „Rheingold“ als „mißlungen“, „langweilig“, „geistige Reduzierung des Stoffes“ und „auf die leichte Schulter genommen“ charakterisiert wurde. Diese Tetralogie wurde abgebrochen. Anders als heutzutage war man nicht gewillt, jedes Experiment gegen den Augenschein und unter der Parole der künstlerischen Freiheit beim Publikum durchzupeitschen.

Bei der Lektüre dieser Untersuchung entsteht der Eindruck, daß zeitgleich in der Bundesrepublik eine weit stärkere Tendenz zur Politisierung und soziologisch-psychologischen Formalisierung herrschte, sogar und gerade im Neu-Bayreuth Wieland Wagners. Mehr als die Hälfte des Buchs wird eingenommen von einer präzisen Dokumentation und Statistik über die Aufführungen in diesem Teil Deutschlands zwischen 1945 und 1990. Der Autor dieser Bilanz, Werner P. Seiferth, war als Sänger und Regisseur selbst maßgeblich in dieser Theaterlandschaft tätig. In den großen Partien auf der Bühne stand ebenfalls der Bariton Bernd Weikl. Später inszenierte er auch Wagners Werke.

Gemeinsam mit Peter Bendixen erörtert er in seinem Buch die üblichen Vorwürfe und entlarvt sie als einen Phantom-Prozeß, für den eine Wagner-Gestalt als Popanz mit allen Zügen vorgebildet wird, die dann mißbilligt werden. Der letzte Satz ihres Buches lautet: „Wir fordern daher den längst fälligen Freispruch für Richard Wagner.“

Um das Selbstdenken, Vertiefen und Einordnen der Lektüre und Opernbesuche zu erleichtern, gibt es im Laaber-Verlag „Das Wagner-Lexikon“. Auf über neunhundert Seiten beschreiben 74 Autoren (unter ihnen auch Dieter Borchmeyer und Rüdiger Jacobs) in einer Fülle von Einträgen Personen, Orte und Werke. Ein Werkverzeichnis und eine Chronik sind angehängt. Die Artikel sind flüssig formuliert und tragen den stilistischen Stempel ihrer jeweiligen Autoren. Damit lädt dieses facettenreiche Nachschlagewerk auch zu einer absichtslosen Lektüre ein. Leben, Werk und jene Epoche sind spannend genug für die vielfältigsten Anknüpfungen.

Kerstin Decker: Richard Wagner mit den Augen seiner Hunde betrachtet. Berenberg Verlag, gebunden, 288 Seiten, 25 Euro

Sven Oliver Müller: Richard Wagner und die Deutschen. Eine Geschichte von Haß und Hingabe. C.H. Beck, München 2013, gebunden, 350 Seiten 22,95 Euro

Das Wagner-Lexikon, herausgegeben von Daniel Brandenburg, Rainer Franke und Anno Mungen. Laaber-Verlag, Laaber 2013, gebunden, 929 Seiten, Abbildungen, 148 Euro

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