© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/13 / 25. Oktober 2013

Mit dem Messer eingegraben
Aufbruch in die Fläche: In einer Ausstellung in Quedlinburg sind Lyonel Feiningers Holzschnitte erstmals in ihrer ganzen Breite zu sehen
Fabian Schmidt-Ahamd

Mit der Promotion zum Doktor der Rechtswissenschaften schien 1929 die berufliche Bahn Hermann Klumpps vorgezeichnet zu sein. Doch begann der kunstsinnig Interessierte noch einmal mit 27 Jahren ein Kunststudium am Bauhaus in Dessau. Zentrale Figur der Kunstschule war damals Lyonel Feininger (1871–1956), dessen Name heute untrennbar mit den berühmten, in geometrische Formen aufgelösten Architekturdarstellungen verknüpft ist. Eine lebenslange, enge Freundschaft sollte aus dieser Begegnung des „lieben Rochus“ – so nannte Feininger Klumpp – mit dem Meister erwachsen. Es war Klumpp, der so das Ehepaar Feininger 1937 bei der Auswanderung aus Deutschland unterstützte.

Von den Nationalsozialisten als „entartet“ verfolgt, von der DDR-Führung als „bürgerliche Kunst“ angefeindet, fristete die Feininger-Sammlung des gebürtigen Quedlinburgers Klumpp ein Schattendasein. Doch selbst als die Erben einige Arbeiten in den siebziger und achtziger Jahren erfolgreich eingeklagt hatten, war der Grundstock in Quedlinburg noch immer umfangreich und insbesondere an Drucken einzigartig. Erst seit 1986 – ein Jahr vor Klumpps Tod gegründet – macht die Lyonel-Feininger-Galerie der Stiftung Dr. Hermann Klumpp durch mehrere hochwertige Ausstellungen auf das Werk Feiningers aufmerksam. Ein Höhepunkt dürfte dabei die jetzt gezeigte Ausstellung zu Feiningers Holzschnitten darstellen, die dieser vor allem zwischen dem Frühjahr 1918 und Ende 1920 anfertigte.

In und um Braunlage, seinem mehrmaligen Urlaubsort im Harz, fand Feininger Motive, die ihn lange Jahre beschäftigten und seinem Anliegen entsprachen – „Kirchen, Häuser, Mühlen, Brücken und Friedhöfe“. Obssesiv widmete er sich der Technik des Holzschneidens. Mit ihren strengen Linien und festgelegten Formen bot die Architektur vielleicht eine besonders geeignete Vorlage, diese in das spröde, widerständige Material des Druckstockes mit dem Messer einzugraben. Der Holzschnitt mit seinen ganz besonderen Eigenarten gegenüber anderen Drucktechniken bot ihm auch die Möglichkeit, die kristalline Dynamik, die seine Arbeiten kennzeichnen, weiterzuentwickeln und zu erproben.

Diese Grundsicht fließt auch in die organischen Naturformen ein, in Bäume, Hügel, aber auch Gestirne. Sieht man in der Ausstellung seine Zeichnungen und dann die Holzschnitte, läßt sich der große formale Sprung in seinem Gestaltungswillen erkennen. Jegliche atmosphärischen Andeutungen werden negiert. Was so fest gefügt erscheint – über Jahrhunderte gerät es in Bewegung. Der Bildraum ist nicht mehr existent, nur Flächen werden rhythmisch gegliedert und im Hell-Dunkel verschiedene Blickwinkel gleichzeitig dargestellt.

Als Walter Gropius, der außerordentlichen Wert auf handwerkliche Fertigkeiten legte, 1919 Feininger zum Werkmeister an das Bauhaus in Weimar beruft, ist dessen Können derart gereift, daß er bereits 1921 die Druckwerkstatt leitend übernimmt. Auch in Dessau ist er noch für das Bauhaus tätig, jedoch spielt der Holzschnitt keine herausragende Rolle mehr in seinem Schaffen.

Bei der Ausstellung geht es also um eine relativ eng begrenzte Schaffensperiode, deren außerordentliche Bedeutung hier erlebbar wird. Der Besucher wird durch ausgewogene Spannungsbögen geführt, die akzentsetzenden Gemälde, darunter selten zu sehende Leihgaben, sind sensibel plaziert.

Nichts Spektakuläres stört die Aufmerksamkeit, die man den Holzschnitten erfreulich ungestört zuwenden kann, ohne einem Eindruck von Eintönigkeit zu unterliegen. Hilfreich dabei sind auch die zahlreichen Drucke auf farbigem Papier, zum Teil Probe- und Bestandsdrucke, darunter Blätter, die nicht im Werkverzeichnis Feiningers aufgeführt sind. Selbst die kleinen plastischen Entwürfe für Holzspielzeug, die Feininger für eine Spielwarenfirma fertigte, vermitteln die Sichtweise des Künstlers.

Ein besonderes Erlebnis ist es, aus den Galerieräumen zu treten und von Quedlinburgs berühmter mittelalterlicher Fachwerkarchitektur und dem monumentalen Kirchenbau umgeben zu werden, die so oft Sujet Feiningers waren. Der Blick Feiningers, der zu den maßgeblichen Künstlern der klassischen Moderne und hervorragenden Holzschneidern des 20. Jahrhunderts zählt, kann unmitelbar erlebt, die eigene sensibilisierte Sehweise des Ausstellungsbesuchers in der Realität erprobt werden.

Der sehr gut gestaltete Katalog nimmt sich textmäßig erfreulicherweise sehr zurück, beschränkt sich auf notwendigste Informationen. Im Zusammenhang jedoch mit dem hervorragenden Bildmaterial bleibt es dem Besucher überlassen, sich intensiver mit der Gestaltungsweise Feiningers zu befassen, Anregungen zu überprüfen und überhaupt seiner Kunst näher zu kommen.

Die Ausstellung „Lyonel Feininger: Auf dem Weg zum Bauhaus-Künstler. Holzschnitte“ ist bis zum 6. Januar 2014 in der Lyonel-Feininger-Galerie Quedlinburg, Finkenherd 5 a, täglich außer montags von 10 bis 17 Uhr zu sehen. Der Eintritt kostet 5 Euro (ermäßigt 3 Euro), der Katalog 29,90 Euro. Telefon: 039 46 / 68 95 93 - 0

www.feininger-galerie.de

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen