© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/13 / 25. Oktober 2013

Feigenblatt der Bürgernähe
Der EU-Bürgerbeauftragte: Obwohl nahezu unbekannt, und zudem ohne großen Einfluß, geriert sich die EU-Institution als gutes Gewissen Brüssels
Sverre Schacht

Probleme mit der EU? Wer kann Ihnen helfen?“ – die Antwort gibt die Europäische Union (EU) in diesem digitalen Ratgeber selbst: „Der Europäische Ombudsmann“. Der ist seit Anfang Oktober eine Frau: Emily O’Reilly war zuvor „Ombudsperson“ Irlands. „Ombuds-Wer?“, mag sich mancher fragen.

Doch dem Amt mißt das organisierte Europa große Bedeutung bei: Nicht weniger als die Schnittstelle zwischen Europas Bürgern und der EU-Verwaltung, gewissermaßen das offene Ohr für die Anliegen der immerhin rund eine halbe Milliarde Individuen zählenden Gemeinschaft, soll die erste Frau in der seit 1995 bestehenden Einrichtung sein. Ihr Ziel sei, das mit 248.000 Euro Jahresgehalt entlohnte Amt „auf das nächste Level anzuheben, was Einfluß, Autorität und Respekt angeht“, sagte die 56jährige zum Amtsantritt.

Im Mai stellte der Präsident des Europaparlaments Martin Schulz (SPD) sechs Kandidaten vor – O’Reilly drehte als einzige einen Werbefilm und stach damit ihre schärfste Konkurrentin, die Niederländerin Ria Oomen-Ruijten aus dem Vorstand der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten), im zweiten Wahlgang mit 359 gegen 276 Stimmen aus. Ein weiterer Kandidat war der Italiener Francesco Speroni (Lega Nord). Speroni ist zusammen mit dem Briten Nigel Farage (UKIP) Fraktionsvorsitzender der konservativ-EU-kritischen Fraktion im Straßburger Parlament Europa der Freiheit und der Demokratie (EFD), doch auch er scheiterte an O’Reillys medialer Charmeoffensive.

Ihr Vorgänger, der Grieche Nikiforos Diamandouros (71), hatte nach zehn Jahren in der Funktion seinen Ruhestand angekündigt. Ein Jahr vor dem offiziellen Ende. Er ging nicht ohne die Bedeutung seiner Aufgabe zu demonstrieren: „Es ist unser Europa: Laßt uns aktiv werden!“ Den anwesenden Festrednern, Martin Schulz und Viviane Reding, Vize-Präsidentin der EU-Kommission, durften Europas Bürger dabei über den Kurznachrichtendienst Twitter Fragen stellen.

Das selbstauferlegte Tagesgeschäft O’Reillys wie ihrer Vorgänger besteht indes in der Annahme von Beschwerden über Mißstände in Organen und Einrichtungen der EU. Laut bisheriger EU-Statistik werden vier von fünf Empfehlungen, die der Ombudsmann daraufhin aussprechen kann, von den EU-Organen auch umgesetzt. Falls nicht, kann O’Reilly dem EU-Parlament berichten, mehr nicht.

Was es konkret bedeutet, wenn die EU an rechtmäßige und faire Verfahrensweisen gemahnt wird, kann der Bürger auf der Internetseite anhand einer Vielzahl dokumentierter Fälle verfolgen. Es ist eine detailreiche anonymisierte Liste von Ärgernissen der EU-Bürger.

O’Reilly will nun nicht nur solche Fälle untersuchen, bei denen es um die Beschwerden von einzelnen gehe, sondern auch Angelegenheiten, die eine größere Gruppe von Menschen in der EU beträfen: „Europa sieht sich nicht nur einer Wirtschaftskrise, gegenüber sondern auch einer Krise politischer Legitimierung. Überall in Europa machen sich negative Gefühle und Spaltungen breit, das Vertrauen der Bürger in die EU-Institutionen sinkt, und viele haben das Gefühl, daß ihre Stimme einfach nicht zählt.“

Exemplarisch hierfür ist die Beschwerde eines spanischen Rechtsanwalts beim Ombudsmann. Er klagte im Oktober 2010 darüber, daß viele öffentliche Konsultationen der EU nur auf englisch veröffentlicht würden. Als Beispiele nannte er die Konsultationen über eine neue Partnerschaft zur Unterstützung von kleinen und mittleren Unternehmen sowie die Arbeitnehmerfreizügigkeit und bezeichnete die Sprachenpolitik der Kommission als „willkürlich“. Sie stünde, so der Spanier weiter, nicht „im Einklang mit den Prinzipien der Transparenz, der guten Verwaltung und der Nichtdiskriminierung“.

Diamandouros teilte die Ansicht des Beschwerdeführers, wonach von EU-Bürgern nicht erwartet werden könne, daß sie an einer Konsultation teilnähmen, die sie nicht verstünden. „Vielsprachigkeit“, so der Bürgerbeauftragte, sei „unerläßlich für das Recht der Bürger auf Teilnahme am demokratischen Leben der EU, das vom Vertrag von Lissabon gewährleistet sei.

In der Folge kam der Ombudsmann zu dem Schluß, daß die „restriktive Sprachenpolitik“ der Kommission eine „schlechte Verwaltungspraxis“ darstelle und rief die Kommission dazu auf, die Dokumente für öffentliche Konsultationen in allen 23 Amtssprachen zu veröffentlichen – oder auf Anfrage Übersetzungen anzubieten.

Doch die Kommission weigerte sich, die Empfehlungen des Ombudsmanns zu akzeptieren. Sie vertrat den Standpunkt, daß das Prinzip der Vielsprachigkeit von Zeitbeschränkungen und den zur Verfügung stehenden Mitteln abhänge. Der Kommission zufolge hätten die Bürger „kein Recht auf Zugang zu Konsultationen in allen EU-Sprachen“.

Im Anschluß erwog Nikiforos Diamandouros diesbezüglich die Abfassung eines Sonderberichts an das Europäische Parlament (EP). Doch dieses kam ihm zuvor und verabschiedete im Juni 2012 eine Resolution, in der es die Kommission „nachdrücklich“ aufforderte, ihre „restriktive Sprachenpolitik bei öffentlichen Konsultationen zu überprüfen“.

Monate später kritisierte der Europäische Ombudsmann via Pressemeitteilung die „Weigerung der Kommission“ und unterstrich, daß er den Standpunkt und die Kritik des Parlaments „voll und ganz“ teile.

Der EU-Bürgerbeauftragte hat Einblick in die alltäglichen Nöte der Menschen mit Europa: Ein Bulgare bemängelte, daß der EU-Buchladen im Netz nicht auf kyrillisch zugänglich sei, ein Ire beschwerte sich, weil die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) keinen Einblick in die Inhaltsstoffe eines Anti-Akne-Mittels geben wollte – sein Sohn hatte sich nach Einnahme des Mittels das Leben genommen. Ganz häufig geht es um ausstehende Zahlungen von Behörden, auch nationalen, und die Übereinstimmung solchen Handelns mit EU-Recht.

Dabei greift der Ombudsmann auch in das Arbeitsrecht ein – eigentlich keine Domäne der EU. So in einem Fall von gestoppter Arbeitslosenunterstützung an einen in Irland lebenden Tschechen, der bedingt durch eine Fortbildung in der Heimat Behördenfristen auf der Grünen Insel versäumt hatte.

Das Verbindungsnetz zu den nationalen Bürgerbeauftragten hilft O’Reilly, beispielsweise jungen Griechinnen den Weg auf Militärakademien ihrer Heimat zu bahnen oder EU-Angestellten strittige Gehälter einzutreiben.

Für Bürger, denen Informationen vorenthalten werden, Firmen, aber auch für Mitarbeiter der EU selbst gilt: Die Tür der Bürgerbeauftragen steht jedem Bürger der Gemeinschaft sowie Organisationen aus deren Geltungsbereich offen, was den Posten naturgemäß zu einer der wichtigsten Anlaufstellen bei Beschwerden über die Vergabe von EU-Posten macht.

Stichworte wie Diskriminierung, mangelnde Fairneß und Transparenz, aber auch das Zurückhalten von Informationen durch Akteure der EU bestimmen somit O’Reillys Arbeit. Doch der Handlungsrahmen eines Ombudsmanns ist eng gesteckt: Er oder sie kann nur Rügen und Empfehlungen aussprechen sowie Regierungen befragen. O’Reillys Werkzeuge seien recht stumpf, monieren Kritiker – das bei steigendem Budget ihres unmittelbaren Postens.

Für 2014 ist es mit 1.232.720 Euro angesetzt, während es nach Auskunft der EU dieses Jahr noch 1.185.676 Euro und 2012 knapp über eine Million (1.055.414) Euro betrug.

Die gesamten Personalausgaben der Stelle belaufen sich 2013 annähernd auf 7.583.000 Euro, für das nächste Jahr wird die Acht-Millionen-Marke anvisiert. Ein Großteil der 60 Mitarbeiter sind Juristen. Die Zahlen lassen auf wachsenden Beschwerdebedarf über EU-Handeln schließen, der große Personalaufwand hingegen auf wachsenden Bedarf an bezahlten Posten beim Sitz der Ombudsfrau, dem Salvador-de-Madariaga-Gebäude beim EU-Parlament in Straßburg.

Den alten Akteuren auf ihrer neuen Bühne kommt die mediengeschulte Ombudsfrau angesichts einer von der Euro- zur Solidarpaktdauerkrise strauchelnden EU gerade recht. „Transparenz“ und „Dienstleistungskultur“ lauten die Stichworte der Ombuds-Hilfefibel „Probleme mit der EU?“

Den neuen Kurs führender EU-Politiker, die Union ganz am vermeintlichen Bürgerwillen orientiert anzupreisen und zu legitimieren, strahlt die Irin aus wie kaum jemand in Straßburg und Brüssel: „Alle EU-Bürger und Einwohner müssen von einer effizienten Verwaltung profitieren, die sich vollständig darauf konzentriert, deren Bedürfnisse zu befriedigen“, kündigte sie an – Bedürfnisbefriedigung als neue Grundlage der Gemeinschaft.

Die nach wie vor um einen weiter aufgeblähten Haushalt feilschende EU preist sich ihren Bürgern als Dienstleister an. Wann immer die EU-Verwaltung nach O’Reillyschen Vorgaben ihr eigenes Handeln korrigiert, weist die dem Bürger nach, wie effizient er durch die Gemeinschaft erhört wird.

Kooperation mit der EU und Lösungen als Übereinkommen mit ihren Behörden machen das Gros der Arbeit aus. Für die Anwendung von EU-Recht durch nationale Stellen ist sie nicht zuständig, was den Charakter eines Wettbewerbs zwischen diesen politischen Ebenen nur unterstreicht: Zunächst ist die zuständige nationale Behörde anzusprechen, erst am Ende des Beschwerdeweges greift O’Reilly ein, gewissermaßen als letzte Instanz.

Ein Blick auf die Antzahl Bürgerbeschwerden zeigt für 2012 ganze 2.442 Beschwerden an O’Reillys Amtsvorgänger Diamandouros (2011 waren es noch 2.510). Ein Drittel der Beschwerden über die EU hat mit mangelnder Transparenz zu tun, mehr als die Hälfte mit der EU-Kommission. Für 740 erklärte er sich zuständig, 390 Untersuchungen wurden abgeschlossen, wobei fast 200 keinen Grund für weiteres Vorgehen sahen.

In 76 Fällen stellte der Ombudsmann keine Mißstände fest, und 80mal lenkte die jeweils bemängelte Verwaltung ein. So blieben ganze 56 als solche eingestufte „Mißstände“ (2011: 47). Das erscheint bei 38.000 Beschäftigen der EU-Kommission und 7.652 im Generalsekretariat und in den politischen Gruppen des Straßburger Parlaments Arbeitenden kaum als glaubhafte Größenordnung.

www.ombudsman.europa.eu

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