© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/13 / 25. Oktober 2013

Keine Besserung in Sicht
Finanzmarkt: Banken und Versicherungen wollen Risiken und Nebenwirkungen für private Anlagekunden weiterhin verschleiern
Heiko Urbanzyk

Sie heißen PIBs, VIBs, KIIDs und PRIPs. Die Rede ist nicht von synthetischen Drogen der Technoszene, sondern von den gesetzlich verordneten „Beipackzetteln“ für Finanzprodukte. Nach der Lehman-Brothers-Pleite 2008 avancierte das Thema zum Dauerbrenner. Kleinanleger sahen sich durch waghalsige Finanzprodukte betrogen, desinformiert und durch Verkaufsprospekte überlastet. Die Gerichte gaben ihnen oft recht, der deutsche Gesetzgeber versuchte sich in Anlegerschutz – halbherzig, unübersichtlich und letztlich vergeblich.

Die Beipackzettel verfehlten ihre Wirkung. Dem einfachen Anleger, der nur sein Erspartes sicher wissen will, helfen die nach wie vor unverständlichen Zettel nicht. Bis Dezember soll sich das ändern. Banken und Sparkassen lenkten im September nach anderthalb Jahren heftiger Gegenwehr ein. Gemeinsam mit Verbraucherschützern und Regierungsvertretern einigten sie sich auf einen Katalog einfacher Formulierungen für Beipackzettel zur Kundeninformation. Der Weg dahin war lang.

2011 beschloß der Bundestag das „AnsFuG“. Dieses Anlegerschutz- und Funktionsverbesserungsgesetz machte Produktinformationsblätter (PIB) für die Anlageberatung verpflichtend. Die Bundesregierung handelte souverän, ganz ohne EU-rechtliche Vorgaben. Es folgte dann aber unter Brüsseler Richtliniendruck das Key Investor Information Document (KIID) für Investmentfonds und Aktiengesellschaften. Wiederum national souverän führte die Regierung das Vermögensanlageninformationsblatt (VIB) ein. Für Ende 2014 kündigte die EU mit dem Packaged Retail Investor Product (PRIP) ein einheitliches Kurzdokument an. Neuerdings auch Key Information Document (KID) genannt, wird es seit 2007 ausgetüftelt und soll Anleger im Bereich Retailmarkt und zu Anlagezwecken vertriebener Versicherungen aufklären. Die Zeitschrift für Bankenrecht (1/13) spricht von „äußerst inkohärenten“ Regelungen.

Allen Beipackzetteln ist gemeinsam, daß sie „die wesentlichen Informationen zu einzelnen Produkten besser als bisher weithin üblich auf den Punkt bringen und verständlich aufbereiten sollen“, wie es in der Regierungsbegründung zum AnsFuG heißt. Der Anleger solle in kurzer und verständlicher Form über Graumarktprodukte aufgeklärt werden. Verkaufsprospekte mit Hunderten von Seiten sollten auf wenige Blätter zurechtgestutzt werden. Die Zeitschrift für Bankenrecht schreibt: Das VIB müsse die „wesentlichen Informationen enthalten, insbesondere zu Art der Vermögensanlage, Anlagestrategie, -politik und -objekten, Risiken, Aussichten auf Kapitalrückzahlung und Erträge unter verschiedenen Marktbedingungen, Kosten und Provisionen, Identität des Anbieters, fehlende Prüfung des VIB durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), Verkaufsprospekt und seiner Erhältlichkeit“. Doch die Anleger bekamen statt Klarheit weiterhin Indexdisclaimer, Medium Term Notes, Swaps und ETC um die Ohren gehauen.

Juristen lernen in der praktischen Ausbildung, daß sie komplizierte rechtliche Wertungen dem Laien in einfacher klarer Sprache verständlich zu machen haben. Angehende Verwaltungsbeamte lernen, daß der Bürger einen Bescheid ohne Fachkenntnisse verstehen können muß. Es kann auch jeder das Handbuch seines Navis verstehen, ohne Techniker zu sein. Schließlich gibt es Grundschüler, die die Anleitung ihres Chemiebaukastens verstehen, ohne daß sie jemals Chemieunterricht hatten. Einzig die Banken wollten nicht in der Lage sein, ihre Kunden leicht verständlich über ihre Produkte zu informieren.

Vier Monate nach der Einführung der Beipackzettel urteilte die BaFin, daß diese unklar seien. Im Januar 2012 bestätigte eine Studie der Universität Bamberg diese Einschätzung und zeigte, daß es besser ginge, wenn die Banken es wollten. Nichts tat sich.

Es ist die unendliche Geschichte einer Branche, deren Ansehen längst im Keller ist. Ob es nun hilft, wenn künftig in deutschen Beipackzetteln zu lesen ist: „Anleger sind dem Risiko der Insolvenz, das heißt einer Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit der Bank XYZ ausgesetzt. Ein Totalverlust des eingesetzten Kapitals ist möglich.“ Das klingt geschäftsschädigend, aber die Formulierung hätte vielleicht manchen Lehman-Geschädigten von seiner fatalen Anlageentscheidung abgehalten. Man darf gespannt sein, wie die Finanzvertriebe das unterlaufen. Und für sympathische Vertreter und Banker, die allein durch ihr gewinnendes Wesen alles verkaufen, dürfte das ohnehin keine Hürde sein.

Die deutsche Beibackzettelflut trägt ironischerweise sogar dazu bei, die Deutschen vom kostengünstigen Aktienkauf fernzuhalten und stattdessen in gebührenbelaste Fonds und andere windige Anlageformen zu investieren. Ein Bankberater dürfe den Kauf einer Aktie nur dann empfehlen, „wenn ihm seitens der Bank ein unternehmensspezifisches Produktinformationsblatt zur Verfügung gestellt wurde“, erläuterte Marc Tüngler, Chef der Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) in der Welt.

Für provisionsstarke Finanzkonstrukte sind solche Infoblätter vorhanden, für Aktien lohnen sie sich nicht. Das habe die Bundesregierung wohl falsch eingeschätzt – „oder sie wollte bewußt verhindern, daß Privatanleger ihr Geld direkt in Aktien investieren“, vermutet Tüngler.

Verbraucherinformationen der BaFin: bafin.de

Foto: Eine gutgemeinte Papierflut soll deutsche Kleinanleger warnen: „Ein Totalverlust des eingesetzten Kapitals ist möglich“

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