© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/13 / 25. Oktober 2013

Posten statt Inhalte
Große Koalition: Noch bevor sich Union und SPD auf ein Regierungsprogramm geeinigt haben, stehen bereits Personalfragen im Vordergrund
Paul Rosen

Der Start in die neue Legislaturperiode dürfte Parteienkritiker von Richard von Weizsäcker („machtversessen und machtbesessen“) bis Hans Herbert von Arnim („Der Staat als Beute“) bestätigt haben: Die sich abzeichnende große Koalition verschaffte sich im Bundestagspräsidium als erste Maßnahme einen teuren zusätzlichen Vizepräsidentenposten. Der mit einem Rekordergebnis wiedergewählte Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) bekommt jetzt sechs Stellvertreter statt bisher fünf an die Seite gestellt, obwohl durch das Ausscheiden der FDP auf einen „Vize“, der 50 Prozent höhere Diäten, einen Dienstwagen und ein gut ausgestattetes Büro bekommt, hätte verzichtet werden können. Nun bekommt jede große Fraktion zwei Stellvertreter und die kleinen jeweils einen.

Auffällig am neuen Präsidium war nicht nur die Wahl von Ex-Grünen-Chefin Claudia Roth (Siehe Seite 6), die einen gleichwertigen Ersatz für den ausgeschiedenen dauerbetroffenen Zivilgesellschaftler Wolfgang Thierse (SPD) darstellen dürfte. Vielmehr hat die den Zenit ihrer Macht erreichende Bundeskanzlerin Angela Merkel, an deren Wiederwahl im Dezember es in Berlin keinen Zweifel gibt, mit Peter Hintze (CDU) einen Aufpasser für Lammert im Präsidium installiert. Merkels treuer Paladin Hintze, in der Vergangenheit Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, soll zum frühestmöglichen Zeitpunkt eingreifen, wenn Lammert wieder abweichende Meinungen bei der angeblich „alternativlosen“ Euro-Rettung zulassen will. Daß die europäischen Probleme auch in der 18. Legislaturperiode ganz oben auf der Tagesordnung bleiben und manche Maßnahmen erfordern werden, bezweifelt niemand.

Nach dem Ende der Gespräche mit den Grünen folgte die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der SPD. Die große Koalition, eine „Staatsdampfwalze ohne Wunsch, Wille und Vision“ (Die Welt), nahm schnell Fahrt auf. Schließlich sind die Unterschiede zwischen beiden Parteien kaum noch wahrnehmbar. Die vom SPD-Parteikonvent beschlossenen zehn Kernforderungen der SPD können CDU und CSU mühelos unterschreiben. „Gerechte Löhne für gute Arbeit“ wollen auch die Unionsparteien, die längst bereit sind, dem Mindestlohn von 8,50 Euro zuzustimmen. Die Aussage „Wir wollen Altersarmut dauerhaft verhindern“ könnte ebenso von der Union stammen wie die SPD-Forderung „Die Gleichstellung von Frauen und Männern in allen Bereichen wollen wir verbessern“. Auch die „gleichberechtigte Teilhabe der Zuwanderer in unserer Gesellschaft“ ist unstrittig, so daß auch das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht durch Beliebigkeit ersetzt werden könnte: Dann kann jeder so viele Pässe und Staatsangehörigkeiten haben, wie er will. Bisher mußten sich Ausländer ab einem bestimmten Alter entscheiden (Optionsmodell).

Es wäre für die Union schwierig gewesen, der SPD zehn eigene Kernforderungen entgegenzuhalten. Vereinzelt, aber lautstark wurde in der Union die Forderung vertreten, es dürfe keine Mehrbelastungen der Bürger geben. Die sind allerdings für 2014 längst beschlossen: So steht eine starke Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze für Besserverdienende in der Sozialversicherung an, die EEG-Umlage für erneuerbare Energien wird alle Haushalte um durchschnittlich 70 Euro pro Jahr belasten, und Gehaltserhöhungen werden durch die „kalte Progression“ selbst bei Durchschnittsverdienern größtenteils vom Staat abkassiert. Inzwischen wird auch spekuliert, daß Union und SPD die Leistungen der Pflegeversicherung ausweiten und dafür den Beitragssatz anheben könnten. Ein Sündenfall zeichnet sich ab: Danach will die Union auf die ab 2015 vorgesehene Zurückzahlung von Staatsschulden verzichten. Als Begründung gelten andernfalls nicht erfüllbare Ausgabenwünsche der SPD. In Wirklichkeit hat sich aber auch die Union von den Grundsätzen der Marktwirtschaft, des bescheidenen Staates und der finanziellen Solidität entfernt. Für die neuen Regierungsparteien gilt die alte Volksweisheit, daß sich eher ein Hund einen Wurstvorrat anlegt, als daß Politiker mit dem Sparen Ernst machen würden.

Wichtiger als die Inhalte sind für die Beteiligten ohnehin die Personalbesetzungen. Falls die SPD das Finanzministerium etwa mit Frank-Walter Steinmeier besetzen könnte, würde Wolfgang Schäuble (CDU) das Außenamt übernehmen können. Das Finanzministerium könnte aber auch an den bisherigen Parlamentarischen Geschäftsführer der SPD, Thomas Oppermann, gehen. Um das Sozialministerium streiten sich Ursula von der Leyen (CDU) und Manuela Schwesig (SPD), während Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) von den meisten Beobachtern ebenso stabil im Amt gesehen wird wie Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU). Wenn die SPD das Arbeitministerium bekommt, wäre von der Leyen auch im Gesundheitsressort vorstellbar.

Nur ein Ressort will keiner haben, und deshalb dürfte Thomas de Maizière weiter für alle Miseren in der Verteidigungspolitik zuständig bleiben. Dies wirft vielleicht das größte Schlaglicht auf ein Land, das sich nicht einmal mehr für seine Verteidigung und damit den Schutz seiner Bürger interessiert.

Foto: Bundeskanzlerin Angela Merkel begrüßt am Dienstag vor der konstituierenden Sitzung des Bundestages SPD-Chef Sigmar Gabriel: Die Sozialdemokraten präsentieren ihre Wunschliste

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