© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/13 / 18. Oktober 2013

Er wollte spielen um jeden Preis
Urkraft deutscher Kunst: Eine Erinnerung an den großartigen Künstler Heinrich George
Thomas Kuzias

Als Götz George im Juli seinen 75. Geburtstag beging, „beschenkte“ ihn die ARD mit einem Doku-Drama, das dem Großschauspieler Heinrich George gewidmet ist und in dem der Sohn den Vater spielt (JF 30-31/13). Die doppelte Hommage war von Unstimmigkeiten begleitet. Denn Götz George wollte nicht, daß diese aufwendige Filmproduktion ins Sommerloch fiele. Im Herbst, zum Geburtstag des Vaters am 9. Oktober, sollte sie gesendet werden und ein möglichst großes Publikum an jenen erinnern und zur gerechteren Bewertung von dessen Lebensweg beitragen.

Als der vereinbarte Sendetermin platzte und der Film um wichtige sieben Minuten gekürzt wurde, machte der Fernsehstar seinem Ärger über die hohen Herren in den Medienzentralen Luft: „Letztlich ist es immer die gleiche Geschichte: Man wird mit dem Rolls-Royce abgeholt und mit einer Taxe nach Hause geschickt.“

Nachzulesen ist die Episode in dem von Regisseur Joachim A. Lang herausgegebenen Begleitbuch. Es gibt Einblicke in die Entstehung des Films und läßt zahlreiche Zeitzeugen oder deren Angehörige ausführlich zu Wort kommen.

Heinrich George wurde vor hundertzwanzig Jahren in Stettin geboren und verstarb am 25. September 1946 an den Folgen einer Blinddarmoperation und an Entkräftung im Konzentrationslager Sachsenhausen, welches der sowjetische Geheimdienst NKWD von den Nationalsozialisten übernommen hatte und bis 1950 weiterbetrieb. Er ist nicht verhungert, wie immer wieder behauptet wird. Dies ist eine der vielen Richtigstellungen, die sich aus dem Buch ergeben. Leider ist das von einem Mitgefangenen überlieferte und hier abgedruckte Gedicht „Was mir verblieb“ nicht enthalten.

Heinrich George repräsentiert als Künstler den Typus des wuchtig-zärtlichen, besessen-sanften und vielseitig wandlungsfähigen Theaterschauspielers, der schon in der Weimarer Republik und vollends im Dritten Reich die Filmkunst mitprägte und das Kino eroberte. Seine Körperfülle war legendär, seine innere Kraft unerschöpflich. Er liebte die Sinnenfreuden, wirkte aus einem dionysischen Antrieb heraus. Paul Fechter nannte ihn einmal einen „Berserker des Daseins“.

In Georges tragischem Schicksal, dem der Film und vertiefend das Buch nachgehen, bündelt sich wie in einem Brennglas die verwickelte Problematik des 20. Jahrhunderts, die die neuen Ideologen und Vereinfacher immer wieder auf den Plan ruft. Die Reaktionen der Mainstream-Medien auf den subtilen Film zeigten dies deutlich.

Das ganze Elend der andauernden Auseinandersetzung der Deutschen mit ihrer Geschichte wird erneut greifbar. Der Ausgang des Historikerstreits vor über fünfundzwanzig Jahren zeigt seine verhängnisvolle Langzeitwirkung. Es gibt einfach kein anerkanntes Paradigma, das Grautöne zuläßt, keine vermittelnde Sprechweise, die jenseits der Extrempositionen (absolute Dämonisierung und unbedarfte Apologetik) im Umgang mit der historischen Erfahrung des Nationalsozialismus liegt.

Somit verbleibt nur die privat gehaltene Auseinandersetzung, wie sie die Söhne Heinrich Georges, Götz und Jan, betreiben. Von hier aus fällt ein mildes Licht auf ihre Bemühungen; wer will es ihnen vorwerfen, daß sie mit der ganz und gar nichtideologischen Zustimmung des Vaters zum Nationalsozialismus nicht so recht fertig werden.

Die Generallinie ihrer verteidigenden Deutung des Vaters setzt beim Künstler an. Heinrich George wollte „spielen um jeden Preis“, ja besaß einen „Wahnsinnsspieltrieb“, so der Sohn Jan. Und in der Tat – George spielte im Kaiserreich für den Bürger, in der Weimarer Republik unter Anleitung roter Avantgardisten, für die Verwertungsprofis in Hollywood, anschließend für die Nationalsozialisten, „für den Staat“, er spielte ganz großes Theater und magisch fürs Kino, als Botschafter deutscher Kultur im von der Wehrmacht besetzten Ausland, für die Propaganda („Jud Süß“), im zerbombten Schauspielhaus, fürs letzte verzweifelte Durchhalten („Kolberg)“, und er spielte in der Haft in Hohenschönhausen für die Mitgefangenen, im sowjetischen Konzentrationslager für Wachmannschaften und Offiziere. „Dauernd, auch im Leben“ spiele er Rollen, gab ein Denunziant dem NKWD zu Protokoll.

Das Spielen ist für einen Schauspieler gewiß so wichtig wie für einen Maler das Malen. Dennoch gerät die empathische Deutung der Söhne in eine gewisse Schieflage, die weder dem Künstler noch der Geschichte gerecht wird. Zwischen den Verhaftungen durch die Sowjets sagte George zu seiner Frau: „Sie sollen mir alles nehmen, was ich besitze, mich hungern lassen und demütigen. Wenn sie mir aber verbieten zu spielen, werde ich sterben.“ Doch mit dem Sterben ist das so eine Sache – in einem Lager der Sieger im großen Weltanschauungskrieg stirbt man einen besonderen Tod: Den Tod eines absoluten Verlierers eines durch absolute Feindschaften gekennzeichneten Krieges. Dieser Tod ist sinnlos. Das gesamte Dasein des Unterlegenen erscheint nunmehr verfehlt. Aus dieser Niederlage gibt es keinen „Ausstieg“ ohne Bekenntnis zu den Siegern, welches vielen Deutschen überhaupt erst ein Weiterleben nach 1945 ermöglichte. Aber Heinrich Georges Position ist deutlich erkennbar – wiederholt lehnte er Angebote ab, sich den Siegern schauspielernd als Aushängeschild zur Verfügung zur stellen. Der lebensnotwendige Verrat hätte ihn gerettet!

Wie schnell die Aufarbeitung der Söhne in weitere Widersprüche gerät, zeigt sich an nicht wenigen zeitgeschichtlichen Momenten des Films, unter anderem an der Übernahme antifaschistischer Stereotype, der übervorsichtigen Nachsicht gegenüber der Siegerwillkür, an der wenig realistischen Darstellung des sowjetischen Lagersystems; nicht die Russen hätten den Vater das Leben gekostet, sondern das Agieren deutscher Neider, heißt es in einem Interview der Söhne. Die an sich ehrenwerte und einfühlsame Form der Auseinandersetzung der George-Brüder kann diesen Schwierigkeiten nicht entkommen, weil die festgezurrten Voraussetzungen der allgemeinen Geschichtspolitik dies verhindern. Hier beginnt die Tabuzone.

Neben solchen Aporien kommt es andererseits zu einer gewissen Einseitigkeit des Bildes von Heinrich George. Daß er als Künstlerpersönlichkeit auf den Typus des Besessenen, einen dem schauspielerischen Handwerk Verfallenen, auf einen übermächtigen Spieltrieb reduziert wird, trifft nicht den Kern seiner Auffassung von Kunst. Kunst war für ihn eine viel ernstere Sache als disziplinierte, harte Arbeit, als das bloße Ausleben von subjektiven Veranlagungen oder dunklen Trieben, über die er zweifellos im Übermaß verfügte. Schon seine Distanzierung vom kommunistisch-proletarischen Theater 1930 war ein klarer und unzweideutiger Vorgang. „Das Theater gehört der Persönlichkeit, ob Schauspieler oder Direktor, (…) sie allein trägt die Verantwortung, sie allein ist schöpferisch.“ Dagegen liefen die Vertreter einer marxistisch-proletarischen Kunst seinerzeit Sturm, mancher sogar bis heute.

Aus Anlaß seines fünfzigjähren Geburtstages teilte sich der Schauspieler und Intendant Heinrich George in dem Aufsatz „Nationale Kultur und Weltoffenheit“ (1943) über eine wesentliche Wurzel seines künstlerischen Schaffens mit. „Es ist meine Überzeugung“, heißt es dort, „daß es eine internationale Kunst nicht geben kann. Das Fundament aller Kultur liegt in der Nation. Eine vollkommene Verschmelzung der verschiedenen nationalen Kulturen Europas ist nicht nur unmöglich, sondern müßte notwendig ein konstruiertes und blutleeres Gebilde ergeben.“

Weltoffenheit und Neugier dem Fremden gegenüber waren für ihn dennoch selbstverständlich: „Ich glaube, daß nur die Kunst ihre Mission wahrhaft erfüllen kann, die auf der einen Seite den Charakter der eigenen Nation in ihren besten Kräften spiegelt, auf der anderen Seite aber so weltoffen ist, daß sie zugleich die Meisterwerke fremder Nationen in sich aufzunehmen und aus eignem Nationalempfinden neu zu formen in der Lage ist.“

Diese Auffassungen waren gewiß nicht nationalsozialistisch, sondern hier sprach ein wirklich Großer aus, was ihn in seinem tiefsten Inneren bestimmte; und dies ganz ohne die einer solchen Position heute stets unterstellte chauvinistisch-defizitäre Einstellung. „Heute mehr denn je“, forderte George, „muß der Schauspieler Kulturpionier sein. Er muß an der Spitze marschieren, Hindernisse beseitigen, zerstörte Brücken wieder aufbauen, die Wege bahnen von Land zu Land, von Volk zu Volk!“

In dem Begleitbuch zum Film sticht das Interview mit Götz George besonders hervor. Man merkt dem Schimanski-Darsteller an, daß sein Leben ohne Laptop und Telefon auf Sardinien der Besinnung auf die wesentlichen Dinge förderlich ist. Zum Schluß spitzt er mit Blick auf den Vater seine zeitkritischen Überlegungen zu: „Heutzutage schwellen die Köppe an, weil sie sich nicht entleeren, weil so viel Druck an Problemen drin ist und weil man nicht den Mut hat, sich frei zu sprechen, weil man glaubt, Schaden zu nehmen.“ Erst wenn sich hier ein Wandel vollziehe, werde der Weg wieder frei für „große Kunst“.

Der Sohn erweist sich hier als Erbe des Vaters, des großen deutschen Künstlers Heinrich George.

Joachim A. Lang: Heinrich George. Eine Spurensuche, Henschel Verlag, Leipzig 2013, gebunden, 223 Seiten, Abbildungen, 24,95 Euro

 

Was mir verblieb

Wenn ich einmal frei sein werde,

Frag ich mich, wie wird das sein?

Grabe dann in deine Erde,

Heimat tief die Hände ein.

Gehe einsam durch die Straßen

Wie in einem stillen Traum,

Kann die Freiheit noch nicht fassen,

Lehn den Kopf an einen Baum.

Wenn mich jemand wollte fragen,

Wo ich denn gewesen bin,

Werde ich verhalten sagen:

War in Gottes Mühle drin.

Sah die Müller Spuren mahlen

In der Menschen Angesicht

Musste mit dem Herzblut zahlen

Wie in meinem Leben nicht.

Wenn ich einmal frei sein werde,

Frage ich mich, was mir verblieb:

Du-o deutsche Heimaterde

Dich hab ich von Herzen lieb!

Heinrich George

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