© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/13 / 18. Oktober 2013

Laura und der böse Wolff
Archetypische Bilder: Die geistreiche Komödie „Unter dem Regenbogen – Ein Frühjahr in Paris“ im Kino
Sebastian Hennig

In Frankreich besitzt man seit je das größere Geschick, um ein europäisches Selbstbewußtsein mit unwillkürlicher Anmut gegen die angloamerikanische Kulturhegemonie zu behaupten. Die Märchen-Filmkomödie „Unter dem Regenbogen“ ist in eine warme Farbigkeit getaucht und verzichtet darauf, die Szene mit bestimmenden Attributen vollzustellen. Viele Dialoge geben dem Film etwas Theaterhaftes und rücken verunsicherte Menschen mit ihrer unbewußten Anmut in den Mittelpunkt des Geschehens.

Agnès Jaoui und Jean-Pierre Bacri haben als Schauspieler und Drehbuchautoren in Frankreich die geistreiche moralische Komödie in das neue Jahrhundert begleitet. Mit ihrem neuesten Film konnte das Filmpaar, das zeitweilig auch privat eines war, beim heimatlichen Stammpublikum an seine vergangenen Erfolge triumphal anknüpfen. Für uns ist der Film zusätzlich bemerkenswert, weil er uns mit dem Habitus unserer wichtigsten Nachbarn einen Spiegel vorhält.

„Unter dem Regenbogen“ schildert auf heitere, aber keineswegs leichtfertige Weise das Dilemma des zeitgenössischen Menschen, den sein emanzipatorischer Furor aus der Bahn drückt. Der Film handelt von Glaube und Aberglauben. Zahlreiche Anklänge an bekannte Märchen überhöhen die banalen Probleme der Personen.

Die gescheiterte Schauspielerin Marianne (Agnès Jaoui) hält sich mit Märchentheater für Kinder über Wasser. Immer wieder kommt ihr Mann, um in kleinen Dingen hilfreich zu sein. Beide bekennen gegenseitig ihre unerloschene Liebe und sehen sich doch außerstande, sie zu leben. Mariannes Proben mit den kostümierten Kleinen schließen sich als ein zierlicher Rahmen um den Film.

Zwischen den Musikstudenten Sandro (Arthur Dupont) und Clémence (Nina Meurisse) knüpft sich ein zartes Band. Bis Sandro als männliches Aschenbrödel auf einer Party der Oberschicht erscheint. Dort kommt es zum atemberaubenden Tanz mit der schönen Fabrikantentochter Laura (Agathe Bonitzer). Abrupt bricht er auf, um seine Mutter abzuholen. Dabei verliert er auf der Treppe einen Schuh.

Seinen Reiz erhält das Geschehen dadurch, daß es nicht in erwarteter Weise aufgeht oder immerhin so, daß dem Betrachter bewußt wird: er hat hier wieder einmal gerade das Naheliegendste nicht erwartet. Denn so glanzvoll es erscheint, gehört auch das junge Paar im Zentrum eigentlich nicht zusammen. Gegen die äußerliche Verheißung setzt sich die stille Bestimmung durch.

Weitere archetypische Bilder begegnen uns in Lauras biologischer Mutter Fanfan (Béatrice Rosen). Sie stilisiert sich mit Verjüngungsmaßnahmen zu einer Art stiefmütterlichen Königin. Der König dazu ist ein Industriekapitän. Es braucht eine Weile, ehe sich das Beziehungsgeflecht der Personen untereinander erschließt. Fast alle sind hier irgendwie auseinandergegangen und sich dabei doch unentbehrlich geblieben, weil die Nähte der Patchwork-Familien eben weniger haltbar sind als das Gewebe eines Familienschicksals.

Sandros Vater (Jean-Pierre Bacri) ist ein Fahrschullehrer und Agnostiker. Den Töchtern seiner neuen Beziehung erklärt er lapidar das Mysterium des Todes: „Man bleibt in einer Kiste und wird ein Skelett.“ Es gelingt ihm nicht, ans Bett der Stiefkinder zu treten, um ihnen eine gute Nacht zu wünschen. Doch dann beginnt ihn eine frühere Prophezeiung seines Todestages mit dem Heranrücken ihres Datums mehr und mehr zu verunsichern.

Der Sänger Benjamin Biolay weist als Musikkritiker Maxime Wolff der Laura mit dem roten Käppchen den rechten Weg. So landet sie geradewegs in seinen Fängen und muß schließlich verstört eingestehen, daß ihre Liebe zu ihm einseitig war und sie jene andere treuherzige Zuneigung leichtfertig aufgegeben hat.

Die Machenschaften des bösen Wolff führen auch den ehrlichen Musiker Sandro zuletzt zurück zu seiner Clémence. Was wie Kleinmut und Entscheidungsschwäche wirkt, ist der Ausdruck von Charakterstärke.

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