© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/13 / 18. Oktober 2013

„Der Euro-Schattenstaat“
Beinahe unbemerkt von den Bürgern tobt ein Kulturkampf um den Euro zwischen Deutschen und Lateineuropäern. Nun geht diese vielleicht letzte Schlacht für Deutschland verloren, warnt Thomas Mayer, ehemals Chefvolkswirt, heute Chefberater der Deutschen Bank.
Moritz Schwarz

Herr Dr. Mayer, tobt in Europa ein heimlicher Kulturkampf?

Mayer: Kulturkampf ist ein sehr großes Wort, auf jeden Fall aber gibt es eine von den Bürgern kaum verstandene Auseinandersetzung zwischen dem deutschen und dem lateineuropäischen Modell.

Um was geht es?

Mayer: Schon bevor der Euro eingeführt wurde, rangen zwei verschiedene Vorstellungen miteinander, wie die gemeinsame Währung funktionieren soll.

Auf der einen Seite die deutsche Konzeption einer Hartwährung ...

Mayer: Genau, mit einer zu strikter Unabhängigkeit verpflichteten Zentralbank, die allein Hüterin der Währung sein soll, also nur der Preisstabilität verpflichtet und unempfänglich gegenüber Einflußnahme durch die Politik ist. Auf der anderen Seite die Vorstellung der Lateineuropäer einer dehnbaren Währung mit einer Zentralbank, die auch Wirtschaftspolitik macht. Die also den Regierungen notfalls finanziell unter die Arme greift und die Währung dazu einsetzt, durch deren Abwertung der Volkswirtschaft Wachstumsimpulse zu geben.

Moment, Deutschland ist das stärkste Euro-Land, vor allem wir bezahlen am Ende die ganze Euro-Rettung, also wird doch wohl auch nach unseren Regeln gespielt?

Mayer: Oh, das ist aber ein gründlicher Irrtum.

Aber wir haben doch ein Vetorecht, damit wir verhindern können, daß andere ihre Schulden auf unserer Staatsbilanz abladen.

Mayer: Stimmt, aber in der EZB ist die deutsche Position in der Minderheit.

Was konkret bedeutet?

Mayer: Na, daß die Vergemeinschaftung der Schulden still und leise über die Bilanz der EZB abläuft. Die frühere Bundesregierung wußte von diesem Vorgang geschickt abzulenken, indem sie proklamierte, eine Schuldengemeinschaft abzulehnen. Doch was die Bundesregierung statt dessen eingefädelt hat, ist viel subtiler. Denn findet die Vergemeinschaftung in der Zentralbankbilanz statt, merkt es keiner. Welcher Laie versteht schon eine Zentralbankbilanz? Die verstehen ja selbst viele Ökonomen nicht! Zudem kann man auf einer Zentralbankbilanz eine Zeitlang fast unbemerkt alles mögliche abladen. Erst mit der Zeit kontaminieren die dorthin verschobenen Vergemeinschaftungen unser Geld.

Wie lange dauert dieser Prozeß?

Mayer: Tja, um mit Milton Friedman, dem Großmeister des Monetarismus, zu antworten: „Die zeitliche Verzögerung der Wirkung von neuem Geld auf die Inflation ist lang und variabel.“

Das heißt?

Mayer: Das heißt, daß Ihnen das keiner genau sagen kann, daß sich der Prozeß aber auf jeden Fall vollzieht: Denn belaste ich die Aktiva einer Bank, sickert das langsam auf die passive Seite durch. Und auf der steht unser aller Geld.

Aber warum läßt die Bundesregierung das zu? Schließlich hatte Deutschland den Kampf Hart- oder Weichwährung mit dem Maastricht-Vertrag bereits gewonnen!

Mayer: Stimmt, der Maastricht-Vertrag fixierte, daß die EZB nach dem Modell der Bundesbank konstruiert und der Euro so solide wie die D-Mark werden würde. Aber dann kam die Euro-Krise.

Bekanntlich vollzog sich der Sündenfall im Mai 2010, als die Kanzlerin die No-Bailout-Klausel – das Verbot, Krisenstaaten finanziell zu retten – preisgab und damit den Maastricht-Vertrag zerstörte.

Mayer: Viele erzählen die Geschichte so. Aber ich sage, das ist ein Mißverständnis. Was im Mai 2010 tatsächlich gemacht wurde, war nicht die Abschaffung Maastrichts und damit des Hartwährungsmodells, sondern dessen Erweiterung um einen befristeten Krisenhilfsmechanismus. Zum Vergleich: In den zwanziger Jahren galt für den US-Dollar der Goldstandard und das Ergebnis war, daß man ungebremst in die Weltwirtschaftskrise von 1929 schlitterte. Also wurde später der Internationale Währungsfonds IWF gegründet, um Ländern in der Krise – befristet – zu helfen, wieder auf die Beine zu kommen, ohne aber deshalb das Goldstandard-System aufzugeben. Eben das war es, was im Mai 2010 auch in der Euro-Zone gemacht wurde: Von der reinen Lehre des Maastrichter Vertrages wurde durch dessen Modifizierung in Gestalt befristeter Rettungsprogramme abgewichen. Das heißt, zwar wurde nationale Souveränität eingeschränkt und finanzielle Hilfe gewährt, aber nur mit dem Vorbehalt einer zeitlichen Begrenzung dieser Notfallmaßnahmen, bis die Euro-Krisenländer wieder die Anforderungen der Währungsunion erfüllen könnten. Es ging also nicht darum, Maastricht aufzugeben, sondern darum, gemeinsam dorthin zurückzukehren.

Die Bundesregierung hat also versucht, Maastricht zu verteidigen?

Mayer: Ja, absolut! Und zunächst sah es auch so aus, als ob Deutschland diesen erneut aufgebrochenen Kampf um das Hartwährungssystem gewinnen würde. Denn Anfang 2012 schien sich in der Euro-Zone ein fundamentaler Wandel anzukündigen: Plötzlich schienen Reformen, wie sie für eine Durchsetzung des deutschen Hartwährungsmodells notwendig sind, in Angriff genommen zu werden. In Italien war eine Technokraten-Regierung angetreten, die sich Wirtschaftsreformen auf die Fahnen geschrieben hatte. In Spanien war ebenfalls eine neue, scheinbar reformwillige Regierung an die Macht gekommen. Und in Frankreich verkündete Sarkozy, sich künftig die deutsche Agenda 2010 zum Vorbild nehmen zu wollen.

Das war Anfang 2012 – Ende des Jahres aber sah die Lage ganz anders aus.

Mayer: Sehr zu meinem Erschrecken. Mario Monti versackte schnell im Treibsand italienischer Interessengruppen und wurde abgewählt. Mariano Rajoy hat seine Dynamik verloren und steckt jetzt im Sumpf der spanischen Korruptionsaffäre. Und in Frankreich will François Hollande alles andere, nur keine umfassenden Wirtschaftsreformen. Und Griechenland kommt immer noch nicht auf die Beine.

Aber aus diesem Scheitern der deutschen Hartwährungsoffensive folgt doch noch nicht automatisch der Sieg der lateineuropäischen Weichwährungskultur über uns?

Mayer: Na ja, erinnern Sie sich, wie im Jahr 2012 plötzlich überall vom „Grexit“, also dem Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone, die Rede war?

Ja.

Mayer: Und dann ist das Wort plötzlich wieder verschwunden. Ist Ihnen das nicht aufgefallen?

Stimmt ...

Mayer: Im Laufe des Jahres 2012 stellte sich heraus, daß Griechenland trotz aller Hilfen weiter fußlahm war. So stellte sich die Frage, nun für Griechenland die Konsequenz zu ziehen, das heißt den „Grexit“ einzuleiten. Oder aber statt für Griechenland, dann für das Maastricht-System zu Konsequenzen zu kommen.

Sie meinen, im Sommer 2012 also wurde Maastricht still und leise beerdigt.

Mayer: Genau, und ich wage die These, Sie können den genauen Zeitpunkt ermitteln, wenn Sie recherchieren, wann das Wort „Grexit“ aus der Diskussion verschwunden ist. Erst Mitte 2012 also, nicht schon 2010, hat die Bundesregierung Maastricht aufgegeben. Damit war 2012 das wirkliche Schicksalsjahr des Euro. Seitdem befindet sich die Euro-Zone nicht mehr auf dem Weg zurück zum deutschen Hartwährungsmodell, sondern auf dem Weg ins lateineuropäische Staatsgeldmodell.

Das heißt konkret?

Mayer: Inzwischen geht es nicht mehr darum, die Währungsunion auf Basis der Maastricht-Kriterien zu erhalten und in Kauf zu nehmen, daß nicht alle mithalten können. Sondern um den Erhalt der Mitgliedschaft aller Beteiligten um jeden Preis. Dazu hat man den Euro umgebaut, und zwar von einer Hartwährung, deren Wert durch die Zentralbank wie beim Goldstandard garantiert ist, hin zu einem staatlichen Schuldgeld, einer dehnbaren Währung, hinter der nur noch das Versprechen der Politik steht, das Geld werde auch in Zukunft noch etwas wert sein.

Schon warnen Sie vor einem „Euro-Schattenstaat“.

Mayer: Der ist doch längst Realität. Herr Draghi hat die EZB zu einer Staatszentralbank umgebaut. Damit sie einen Gegenpart hat, haben Frau Merkel und ihre Kollegen einen Euro-Schattenstaat geschaffen. Diesen sehe ich konstituiert durch die diversen Verträge, wie den ESM, den Fiskalpakt etc. Als Euro-Schattenregierung fungiert der Europäische Rat, als Schattenexekutive die Euro-Gruppe, und dann hat man noch eine mobile Einsatzgruppe, die Troika. Mit diesem System wird man so lange weitermachen, bis sich die Wähler dagegen auflehnen.

Sie glauben also nicht, daß die Deutschen begriffen haben, daß sie mittlerweile einen ganz anderen Euro haben und von einem Euro-Schattenstaat teilregiert werden?

Mayer: Viele haben wohl ein Bauchgefühl, daß der Kurs der Euro-Rettung falsch ist, aber ich glaube nicht, daß der deutsche Normalbürger verstanden hat, was seine Regierung tatsächlich tut.

Dann war die Bundestagswahl eine Art Volksabstimmung über die Fortsetzung des Marschs in Weichwährungskultur und Schattenstaat – nur keiner hat’s gemerkt?

Mayer: Keiner stimmt nicht, die AfD hat die Skepsis artikuliert, nur hat die den Bundestagseinzug verpaßt.

Welche Bedeutung hat das AfD-Scheitern?

Mayer: Einerseits hat der relative Erfolg der AfD vermutlich die FDP den Wiedereinzug gekostet, und nun wird die Union wohl mit der SPD eine Regierung bilden, die – nicht in der Essenz, aber in der Nuance – noch eurorettungsfreundlicher sein wird als Schwarz-Gelb. Andererseits hätte ein Einzug der AfD ein Weckruf sein können. In jedem Fall aber artikuliert die AfD ein Thema, das von den Etablierten nicht so angesprochen wird, wie es der Wähler – laut Umfragen – möchte. Insofern erfüllt die AfD eine wichtige demokratische Funktion.

Sie haben im „Spiegel“ gesagt: „Könnten die Leute täglich in der Tagesschau sehen, wie durch die Niedrigzinsen ihr Erspartes an Wert verliert, wären sie entsetzt.“ Wäre dann auch die Wahl anders ausgegangen?

Mayer: Ich weiß es nicht, möglich ist es. Jedenfalls werden sich jetzt, wo wir die Euro-Krisenländer versorgt haben, deren Probleme langsam zu uns verschieben. Bis jetzt hat ihnen der Euro-Schuh gedrückt. Nun haben wir ihn für sie passend gemacht. Aber jetzt paßt er uns nicht mehr. Nach und nach wird er nun anfangen, uns zu drücken. Ich vermute, die Bundestagswahl 2017 wird die entscheidende Wahl über den Euro sein.

Ist es dann nicht längst zu spät?

Mayer: Wenn sich die Situation erst mal spürbar verschlechtert, wird sich der Wählerwille wohl in weit größerem Ausmaß wandeln als bisher. Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Bundesregierung beständig gegen diesen Wählerwillen wird regieren können.

Bis 2017 wird sie Euro-Verträge schließen, aus denen wir nicht mehr herauskommen.

Mayer: Schwer vorzustellen, daß sich der deutsche Wähler damit abfinden wird, im „Gefängnis“ zu sitzen. Wenn der Wähler will, werden sich Wege finden, diesen Willen umzusetzen – zumindest solange wir eine Demokratie sind.

In Ihrem Buch „Europas unvollendete Währung. Wie geht es weiter mit dem Euro?“ schlagen Sie eine Parallelwährung vor.

Mayer: Das könnte eine Lösung sein: In der Tasche haben wir eine weichere Währung, aber auf unserem Konto eine Hartwährung. Das heißt also eine Aufteilung des Euro in ein Bargeld und ein Buchgeld. So ähnlich wie das 1999 bis 2001 der Fall war, als es den Euro schon gab, allerdings nur als Buchgeld, und wir die D-Mark noch in der Tasche hatten. Diesmal hätten wir aber den Euro in der Tasche und eine andere Währung auf dem Konto, die gegenüber dem Euro mit der Zeit an Wert gewinnen würde.

Der Euro sollte alles einfacher machen. Nun würde er zu zwei Währungen gleichzeitig führen. Ist das nicht absurd?

Mayer: Warum? Kreditkarten, Bitcoins, etc. – im Grunde haben wir doch schon jede Menge Parallelwährungen. Im Computerzeitalter ist das kein Problem mehr. Der Vorteil ist, daß der Harteuro gegenüber dem Tascheneuro langsam aufgewertet werden würde. Je nach Wechselkurs würde man also für einen Harteuro unterschiedlich viele Tascheneuro bekommen. Mit dem Harteuro aber hätten wir ein Mittel, um unsere Vermögen ohne große Inflation relativ sicher aufzubewahren.

 

Dr. Thomas Mayer, ist Chefberater der Deutschen Bank und war als Nachfolger von Norbert Walter von 2010 bis zu seinem freiwilligen Rückzug 2012 deren Chefvolkswirt sowie Leiter von Deutsche Bank Research. Bereits seit 2002 ist Mayer für das größte deutsche Kreditinstitut tätig, zunächst als dessen „Chief European Economist“ und als „Co-Head of Global Economics“ in London. Der 1954 im schwäbischen Backnang geborene Volkswirt und Konjunkturforscher begann seine Karriere am Institut für Weltwirtschaft in Kiel, arbeitete für die Bankhäuser Salomon Brothers und Goldman Sachs und war in verschiedenen Funktionen beim Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington tätig. Sein im Frühling beim renommierten Wiley-VCH-Verlag erschienenes Buch „Europas unvollendete Währung. Wie geht es weiter mit dem Euro?“ lobte etwa die Welt am Sonntag mit den Worten: „ Die Vorschläge, die Thomas Mayer macht, haben es in sich ... Von manchen Büchern wünschte man sich, die Politiker nähmen sie mit in ihren Urlaub. Dieses Jahr sollte das ‘Europas unvollendete Währung’ sein.“

Foto: Deutsche-Bank-Berater Mayer: „Nicht etwa 2010, sondern 2012 war das Schicksalsjahr des Euro: Seitdem befinden wir uns nicht mehr im deutschen Hartwährungsmodell, sondern auf dem Weg ins lateineuropäische Staatsgeldmodell ... (und) ich glaube nicht, daß der deutsche Normalbürger verstanden hat, was seine Regierung tatsächlich tut.“

 

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